Montag, September 16, 2024

Randnotizen: Das neue Trucksystem Bezahlkarte

Die sogenannte Bezahlkarte ist ein diskriminierendes Mittel, um eine Zwei-Klassen-Gesellschaft zu etablieren. In Deutschland gibt es erste Gerichtsurteile, die zeigen, dass über ihre Rechtmäßigkeit und vor allem die Rechtmäßigkeit einer Bargeldobergrenze noch nicht entschieden ist.

Mit dem Kampf Viktor Adlers für die Ziegelarbeiter in Inzersdorf begann auch sein Kampf gegen das Trucksystem, eine Pseudowährung aus dem Manchester-Liberalismus. Die Arbeiterinnen und Arbeiter bekamen kein Geld, sondern Blechmarken. Der Effekt: Manche Händler akzeptierten die Marken nicht, andere verlangten für die damit gekauften Waren höhere Preise.

Dasselbe wird auch in Österreich und Deutschland passieren und überall, wo die sogenannte »Bezahlkarte« (einmal heißt es, sie sei für »Asylanten«, dann wieder für »Flüchtlinge«, dann gar für »Migranten«) eingeführt wird. Zusammen mit der Bargeldobergrenze ist die Bezahlkarte der Beginn einer Segregation; des Ausschlusses einer Gruppe vom Zugang zu bestimmten Waren und Leistungen. In Deutschland wird diese Segregation nun erstmals vor Gericht bekämpft. Am 24. Juli 2024 schrieb die Deutsche-Presse-Agentur:

Das Sozialgericht Hamburg hat entschieden, dass starre Bargeldobergrenzen auf der Bezahlkarte für Geflüchtete nicht geeignet sind, um den Mehrbedarf beispielsweise von Schwangeren oder Familien mit Kleinkindern zu decken. Die für die Karte zuständige Sozialbehörde müsse die persönlichen Lebensumstände der Antragstellenden berücksichtigen und starre Obergrenzen würden das nicht ermöglichen, sagte eine Gerichtssprecherin der Deutschen Presse-Agentur.

Wir bekommen die klaren Widersprüche kapitalistischer Politik mit neo-faschistischer Prägung bei uns deutlich zu spüren: Man will die Zuwanderung eindämmen, braucht sie aber als billige Arbeitskräfte. Man betont in der Präsentation einer Leitkultur den Wert der Familie und fordert, dass Zuwanderer sich integrieren, will aber den Familiennachzug stoppen. Man gibt Menschen Geld auf einer Karte, die sie in Österreich, wo vielerorts keine Kartenzahlung möglich ist, häufig nicht verwenden können. Die Auswirkungen sind inhuman. Nadine Conti in der taz über den Hamburger Fall:

Geklagt hatte eine dreiköpfige Familie, die in einer Hamburger Erstaufnahmeeinrichtung lebt. Dort werden seit Februar die Leistungen nur noch über die sogenannte Social Card ausgegeben. Mit der Karte kann in vielen Läden und Einrichtungen bezahlt werden, die Auszahlung von Bargeld ist jedoch auf 50 Euro pro Erwachsenem und 10 Euro pro Kind im Monat beschränkt. Der Familie stehen im Monat also 110 Euro in bar zur Verfügung.

Nun wird ja auch im Wahlkampf klar, dass sich die ÖVP direkt gegen die österreichische Bundesverfassung wendet. Wieder einmal ist es eine Veränderung der Menschenrechtskonvention, die gefordert wird – und zwar von Ministerin Edtstadler im Gespräch mit Der Standard. Dort sagt sie:

Edtstadler: Die Genfer Flüchtlingskonvention kommt allerdings aus einer vorglobalisierten Zeit.

Entlarvender könnte diese Aussage nicht sein. Im Jahr des 300. Geburtstags von Immanuel Kant wird ein grundlegendes Menschenrecht eben nicht als grundlegend verstanden, sondern von der Expansion des Kapitalismus abhängig gemacht. Nachdem der Kapitalismus sich global ausgedehnt hat, stehen ehemals als unumstößlich definierte Menschenrechte also plötzlich zur Diskussion. Das ist lupenreiner Neo-Faschismus und die Richtung, in der es bei den Wahlen geht, ist klar: Aussagen wie die von Edtstadler sollen den Wählerinnen und Wählern signalisieren, dass man zur Andersbehandlung bestimmter Gruppen bereit ist – und dazu, ihnen auch wirtschaftliche Rechte abzuerkennen.

Es ist ein verheerender Fehler der SPD, dass sie an der Bezahlkarte festhält. Man kann nur hoffen, dass die SPÖ hier auf Kurs bleibt und dass die Grünen sich endlich von ihrem Koalitionspartner und ihrer verfehlten Politik der letzten fünf Jahre distanzieren. Besonders Anhänger der Grünen sollten genau lesen, was der Koalitionspartner in der Person von Frau Edtstadler sagt; sie nennt Herbert Kickl und Leonore Gewessler in einem Atemzug und schließt sie aus einer künftigen Regierung aus:

Edtstadler: Zwei haben sich für mich als künftige Regierungspartner disqualifiziert: Leonore Gewessler und Herbert Kickl.

Dann muss die ÖVP mit ihren 22 Prozent wohl eine Konzentrationsregierung mit den NEOS, der Liste Düringer, der Bierpartei, der Österreichischen Naturgesetzpartei, MFG, der Servus Partei und der Liste Petrovic anstreben.


Titelbild: ROBERT JAEGER / APA / picturedesk.com

Autor

  • Daniel Wisser

    Daniel Wisser ist preisgekrönter Autor von Romanen und Kurzgeschichten. Scharf und genau beschreibt er, wie ein Land das Gleichgewicht verliert.

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