Montag, September 16, 2024

Ein Fest der Freundlichkeit

Auf die Terrorabsage reagierten Wiener und Swifties mit einer Party der Zugewandtheit. Den Anhängern der „Härte“ gefällt das gar nicht.

Die neoliberale Lobbyorganisation „Agenda Austria“ hat sich dieser Tage wieder einmal von ihrer ganz speziell sympathischen Seite gezeigt, und nebenbei auch gleich dokumentiert, dass die Neoliberalen von Wirtschaft einfach nichts verstehen. Sie sind ideologisch verblendet bis zur totalen Realitätsverweigerung. „Es ist erstaunlich, wie locker das Steuergeld sitzt: Die Wiener Bäder geben ‚Swifties‘ mit Konzert-Tickets ermäßigten Eintritt, Gewessler erstattet die Anfahrtskosten mit der Bahn zurück“, prangert die wirtschaftsliberale Propagandaschmiede an. Der „Ökonom“ Franz Schellhorn, Leiter der PR-Truppe, nannte verschiedene Goodies für gestrandete Taylor-Swift-Fans einen „Populismus“, der „das Geld anderer“ an betuchte Konzertbesucher verschenkt.

Das muss einem erst einmal einfallen. Das Stakkato, in dem gegen Aktionen wie Gratiseintritt in Museen, Gratiseintritt ins Stadionbad und günstigeren Eintritt in andere Bäder kampagnisiert wurde erweckt zudem den Verdacht einer gewissen obsessiven Fixiertheit. Bei Steuergeschenken für die Superreichen sieht man die Sache bekanntlich weit entspannter.

Kult der Härte

Offenbar erregte die Wirtschaftsliberalen besonders, wer hier „profitierte“: vornehmlich linksliberale junge Frauen und Mädchen, die, obwohl in großer Zahl noch im Teenageralter, doch bereits fürchterlicher Grundhaltungen verdächtig sind. Schließlich sind die eher „woke“, also des Teufels, womöglich sogar am besten Weg dazu, „Feministinnen“ zu werden, und außerdem haben sie eine Fankultur etabliert, die Friedlichkeit, Freundlichkeit und Empathie hochhält. Kurzum: Genau das, was die Neoliberalen verabscheuen. Denn die sind ja der Meinung, die Menschheit kommt nur im Konkurrenzkampf voran. Wenn jeder auf seinen Vorteil schaut, dann haben wir alle einen Vorteil, so die schlichte neoliberale Wirtschaftsphilosophie. Motto: Wenn jeder nur an sich selbst denkt, dann ist an jeden gedacht! Wer dagegen anderen eine Freundlichkeit tut, der schade schließlich dem Wirtschaftswachstum.

Deswegen auch die komischen Argumente der Neoliberalen: Dass man etwa den Armen etwas Gutes tut, wenn man ihnen die Sozialhilfe kürzt. Dass es uns reicher macht, wenn man den Druck erhöht, der ohnehin schon zu viele krank macht. Ein Kult der Härte ist seit jeher zentral für die wirtschaftsliberalen Ultras. Dass sie zu Schlüssen kommen, die den Laien absurd erscheinen und erklären, dass man vor Grausamkeiten nicht zurückschrecken dürfe, gibt ihnen einen Anschein intellektueller Schärfe.

Leute, die Wildfremden Freundschaftsbänder schenken, sind ihnen einfach zuwider.

Keine Ahnung von Stadtmarketing

Doch selten hat sich die ökonomische Weltfremdheit der Neoliberalen in solcher Reinkultur gezeigt – und zwar auf allen Ebenen. Es ist geradezu ein Lehrbeispiel.

Zunächst einmal: der wahrscheinlich größte Weltstar dieser Tage hätte in Wien drei Konzerte geben sollen, und diese sind wegen mutmaßlicher Terrorgefährdung abgesagt worden. Knapp 180.000 Besucher hatten Karten gekauft, zigtausende waren bereits oder wären von außerhalb in die Stadt gekommen. Viele sogar von weither.

Die Absage wegen Terrorverdachts war höchst unangenehm, auch ökonomisch. Viele Zeitungen der Welt hatten „Vienna“ und „Terror“ in einem Atemzug auf der Titelseite. „Wien“ und „äußerst unangenehmer Vorfall“ oder „gefährlicher Ort“ hätten sich dadurch automatisch im Kopf verbunden – für zig-Millionen Medienkonsumenten. Für die betroffenen Fans selbst und deren Freunde und Netzwerke wäre diese Verbindung noch stärker gewesen. Sie hätten mit Wien und Österreich mindestens ein enttäuschendes Erlebnis verbunden, wenn nicht sogar erheblichen Unbill, etwa, wenn es Chaos bei der Betreuung, bei der Abreise, in der Stadt selbst gegeben hätte. Es war für das, was man so üblicherweise „Stadtbranding“ nennt, verdammt heikel.

Aber auch für die Touristinnen und Touristen, die einige schöne Tage mit einem Konzert erleben wollten: aus einem schönen Erlebnis, mit all den Vibes und des Zusammengehörigkeitsgefühls bei Festivals, hätte eine tiefe Enttäuschung werden können.

Die Absage selbst und die Umstände, die noch nicht völlig geklärt sind, sind überdies nicht unriskant. Wir wissen schließlich gut genug, dass die österreichischen Sicherheitsdienste in einem miserablen Zustand sind. Was die ÖVP in ihrer langen Dominanz nicht völlig ruiniert hat, war durch Kurzzeitinnenminister Herbert Kickl zerstört worden. Eine neuerliche Peinlichkeit hätte das Land so dringend gebraucht wie einen Kropf.

Eine dreitägige Love & Peace-Party

Während genau diejenigen, die für den Zustand der Sicherheitsdienste verantwortlich sind, postwendend versuchten, ihren kleinen, miesen parteipolitischen Vorteil aus dem „Terrorskandal“ zu ziehen, so haben sich andere verantwortlicher verhalten. Verschiedene Akteure – Stadt Wien, Teile der Bundesregierung, die ÖBB, einige Unternehmen – haben in dieser heiklen Situation kleine Aktivitäten gesetzt, die so etwas wie gute Stimmung verbreiten sollten und auch ein wenig für die Absage entschädigen. In Konditoreien gab es gratis Schokoherzchen, anderswo das Eis umsonst.

Darüber hinaus haben die Fans und die Stadtbevölkerung quasi als Ersatz für die drei abgesagten Konzerte drei Tage Party gemacht, ein Festival von „Love & Peace“ gewissermaßen. Hunderttausende hatten eine Freude, nur die Griesgrame der Agenda Austria nicht. Denn die finden ja, dass ein paar Euro verloren gegangen sind, weil die Swifties nicht den Vollpreis im Museum bezahlen mussten.

Tausende junge Leute haben also nicht nur ihre Enttäuschung auf ihren Social-Media-Kanälen weitergegeben, sondern live von den Partys gestreamt, von der Swift-City, in die sich Wien drei Tage lang verwandelt hat, über den freundlichen Festival-Spirit. Sicherlich hätten sie die Konzerte noch lieber gesehen, aber womöglich werden sie sich im Nachhinein sagen: ich schau mir ein Konzert in einer anderen Stadt an, aber dieses Fest in Wien, das wird einmalig bleiben.

Sie, liebe Leser und Leserinnen, werden das vielleicht schon an dieser Stelle erfreulich finden. Aber formulieren wir es in einer Sprache, die auch Wirtschaftsliberale verstehen: Das ist ziemlich unbezahlbare Werbung. Zigtausende – und dann wieder hunderttausende und Millionen anderer – junge Leute, die gratis Content in Social Media verteilen und weiterschicken, das ist auch ökonomisch jeden Cent wert.

Empathie & Solidarität

„Wien konnte sich international als sympathische, spannende und letztendlich sichere Stadt präsentieren, die hunderttausenden jungen Menschen aus aller Welt für immer großartig in Erinnerung bleiben wird und die wieder kommen werden“, bemerkten die Betreiber des legendären Clubs U4 auf ihrem X-Account. Für Imagebildung und Stadtmarketing unbezahlbar. Und weiter: „Wir haben eindrucksvoll erlebt was guter Wille, Empathie, Solidarität und gemeinsames Anpacken bewirken kann und welche Dynamik hier entsteht. Wenn wir als freie Gesellschaft Partys feiern und gegen religiösen und politischen Extremismus bestehen wollen.“

Denn das sollte man ja auch nicht vergessen: Es war ja nicht die Reaktion auf irgendeine Art von zufälligem Unbill. Was als Dreitagesfestival der Menschenfreundlichkeit geplant war, wurde von religiösem Fanatismus und Radikalismus bedroht. Der hat aber verloren. Er will spalten, hat aber nur einen Aufstand der Freundlichkeit ausgelöst. Wieder hat ein Jihad-Irrer von der großen Mehrheit zu hören bekommen: „Schleich di, du Oarschloch.“

Selbst das hat wahrscheinlich ökonomisch vorteilhafte Wirkungen, auch wenn die schlecht messbar sind. Weil es etwa das Vertrauen der Menschen untereinander stärkt. Und diejenigen schwächt, die uns gegeneinander aufbringen wollen, die die Bitterkeit und den Hass lieben.

Was nicht sofort Profit bringt, zählt nicht

Neoliberale glauben dagegen, dass sich nur das rechnet, was sich unmittelbar rechnet. Was nicht sofort aufs Konto einzahlt, zählt nicht. Freundlichkeit dagegen verweichlicht die Leute nur, und das ist schlecht für die Wirtschaft und den Wettbewerb! Deswegen der Kult der Härte, der doch auf die meisten Menschen abstoßend wirkt.

Während jedermann und jedefrau aus dem Alltagsleben weiß, dass wir stetig kooperieren, auch in der Arbeit und damit auch in den wirtschaftlichen Aktivitäten (weil wir gar nichts fertigbringen könnten, wenn wir nur gegeneinander agieren würden), glauben Neoliberale, die Ökonomie würde sich besser entwickeln, wenn Menschen stets in Konkurrenz zueinander stünden, und nur hoffen, dass sie selbst gewinnen und die anderen verlieren.

Jeder normale Mensch weiß freilich, dass das nur Energie kostet, die dann den Fortschritt hemmt.

Selbst im Kapitalismus funktioniert Wirtschaft nicht so, wie die Neoliberalen glauben. So leidet die Wirtschaft beispielsweise, wenn es zu viel Egozentrik gibt. Warum wird denn ein Fleischhauer, nur so als Exempel, üblicherweise nicht versuchen, seine Kunden zu betrügen? Er könnte damit doch an einem Wochenende schnell einmal mehr einnehmen als der ehrliche Kaufmann aus der Nebenstraße. Der einfache Grund: Er weiß natürlich, dass ihm das Vertrauen seiner Kunden langfristig mehr bringt. Denn dann kommen sie wieder.

Lob der Freundlichkeit

Auch ein gutes Betriebsklima hilft. Wer seine Beschäftigten gegeneinander ausspielt, um den Arbeitsstress zu erhöhen und dazu auch noch Lohndumping betreibt, wird Schwierigkeiten haben, gute und engagierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu halten; er wird unattraktiv für besonders qualifizierte Fachkräfte, die oft nicht nur den Arbeitgeber wählen, bei dem sie ein paar hundert Euro mehr verdienen, sondern vielleicht jene Firma bevorzugen, bei der man gerne zur Arbeit geht, oder jenen Arbeitgeber, für den man sich nicht genieren muss. Und die, die bleiben, machen eher nur antriebslos Dienst nach Vorschrift. Selbst die Existenzangst, von der Neoliberale glauben, dass sie die Menschen anspornt, hat ökonomisch negative Auswirkungen: Die Menschen sparen dann aus Angst, geben ihr Geld nicht aus, und das ruiniert die Konjunktur.

All das begreifen Neoliberale nicht, weil sie letztlich von Wirtschaft keine Ahnung haben.

Walter Benjamin schrieb einmal: „Wer das Harte zum Unterliegen bringen will, der soll keine Gelegenheit zum Freundlichsein vorbeigehen lassen.“ So ganz gelungen ist das Benjamin in seinem Leben nicht immer. Aber es klang schon fast nach Swiftie-Programmatik.

Titelbild: Miriam Moné

Autor

  • Robert Misik

    Robert Misik ist einer der schärfsten Beobachter einer Politik, die nach links schimpft und nach rechts abrutscht.

LESEN SIE AUCH

Liebe Forumsteilnehmer,

Bitte bleiben Sie anderen Teilnehmern gegenüber höflich und posten Sie nur Relevantes zum Thema.

Ihre Kommentare können sonst entfernt werden.

56 Kommentare

56 Kommentare
Meisten Bewertungen
Neueste Älteste
Inline Feedbacks
Zeige alle Kommentare

Jetzt: Sicherheitsrisiko „Kickl“

Nur so unterstützt du weitere Recherchen!