Montag, September 16, 2024

Drogen per Mausklick: Versteckt in Wien

Die Internet-Seite weedwien.to bietet Cannabis und harte Drogen online zum Kauf an und versteckt sie dann zur Abholung in der Stadt. ZackZack hat einen Kunden beim Einkauf begleitet.

Drei aufeinandergestapelte Container, ein bärtiges Gesicht starrt uns entgegen. Martin vergleicht die Szene mit dem Foto, welches ihm geschickt wurde: „Ich glaube, wir haben die richtige Stelle gefunden.“ Es dämmert bereits, den rot besprayten Betonblock kann man trotzdem noch erkennen – so, wie auf dem Foto eingekreist. Zigarettenstummel und Plastikreste bekleiden den Boden, ein leichter Geruch von Urin liegt in der Luft.  

Martin rümpft die Nase und bückt sich. Am Boden des Betonblocks ist ein Spalt, Martin schaltet die Taschenlampe auf seinem Handy ein und leuchtet hinein. Sein Gesicht hellt auf, er greift ins verwachsene Nichts und holt ein schwarzes Päckchen hervor. Einmal draußen reißt er die Plastikhülle weg. An die Stelle des unangenehmen Geruchs auf dem Parkplatz tritt der süßliche Geruch von Cannabis-Blüten. Martin hat sein Gras gefunden, wir wurden soeben Zeugen eines Einkaufs bei weedwien.to.

Was ist weedwien.to?

Weedwien.to ist eine Website, die – ähnlich wie Amazon – Produkte zum Verkauf anbietet. Nur kauft man auf weedwien nicht Kleidung oder Elektronik, sondern Cannabis und andere Drogen.

Für die Übergabe des Rauschmittels hat sich die Seite eine besondere Vorgangsweise ausgedacht: Die Dealer verstecken die Drogen in der Stadt und dokumentieren das Versteck so, dass man es danach findet. Die Seite ist leicht zugänglich: Sie ist nicht nur über das berühmt-berüchtigte Darknet aufrufbar, sondern über jeden normalen Browser. Das macht es einfacher, online zu bestellen und lockt somit viele Kunden an, die sich in den dunklen Ecken des Internets nicht so gut auskennen.

Um an der eigenen Haut zu erfahren, wie so ein Deal abläuft, hat ZackZack die Einladung eines regelmäßigen Kunden der Seite, beim Einkauf mitkommen zu dürfen, angenommen. Martin (Anmerkung der Redaktion: Name geändert) ist ein junger Student und raucht gerne einmal einen Joint. Er kaufe seit längerer Zeit sein Cannabis nur noch online, erklärt er mir: „Es ist weniger kompliziert und sicherer. Zudem liefert es mir weedwien direkt in meinen Bezirk.“

Kontaktaufnahme

Wir treffen uns bereits in der Früh mit Martin. Normalerweise dauert der ganze Kaufprozess nur kurz, wir nehmen uns aber mehr Zeit, um das Ganze so gut wie möglich zu dokumentieren.

 Zuerst nimmt Martin Kontakt zu den Dealern auf, um mehr über das Geschäft zu erfahren. Ich habe keinerlei Erfahrung im Umgang mit Kryptowährung und möchte erfahren, was die Dealer schreiben. Die Kontaktaufnahme ist einfach und läuft über den Nachrichtendienst „Session“.  

Anonyme Kommunikation

„Session“ ist ein end-to-end-verschlüsselter Nachrichtendienst, dessen zentrales Ziel es ist, den Kontakt zwischen den Chatpartnern anonym und sicher zu gestalten. Im Gegensatz zu WhatsApp braucht man zum Chatten nicht einmal die Nummer des Partners, sondern einen 66 Zeichen langen Zahlen- und Buchstabencode. Nur Leute, die den Code des anderen besitzen, können miteinander chatten.

Alle Accounts haben einen einzigartigen Code, den man jederzeit zurücksetzen kann. Damit sind auch die Kontakte wieder zurückgesetzt. Weedwien hat ihren Session-Code, die sogenannte „Session-ID“ auf ihrer Seite angegeben, Interessierte können sich jederzeit an den „Kundendienst“ wenden.

Der Kundendienst

Martin kopiert also die Session-ID, fügt sie ins Programm ein und schreibt die Dealer an. In wenigen Worten erklärt mir der Kundendienst den Vorgang perfekt.

Die wegen der Screenshot-Sperre lustig ausgeschnittenen Fotos der Chats zeigen mir eines: Der Prozess soll unkompliziert und einfach wirken. Die Antwort ist freundlich – als Kunde würde mir das bereits die Sorge nehmen, möglicherweise betrogen zu werden. Meine Fragen wurden beantwortet, nun bereitet Martin den eigentlichen Kauf vor.

Die Durchführung

Wir setzen uns in ein Lokal in der Nähe und steigen in deren WIFI ein: „So mache ich mein Heim-WLAN nicht mit der wohl überwachten Website schmutzig“, erklärt Martin. Dabei benutzt er die Suchmaschine duckduckgo – eine Suchmaschine wie Google, die von sich behauptet, sie gebe keine Daten weiter. Aktiviert hat Martin auf seinem Handy zusätzlich ein VPN. Die Abkürzung klingt zunächst kompliziert, die Idee hinter einem „virtual private network“ ist aber einleuchtend: „Ein VPN verschlüsselt sozusagen meinen Internetzugriff und verdeckt dadurch meinen digitalen Fußabdruck“, so Martin.

Nachdem der Kellner unsere Bestellungen aufgenommen hat, öffnet Martin weedwien.to auf seinem Handy. Die Website ist ordentlich gestaltet, wir scrollen runter und schauen uns das vielseitige Angebot an. Einige Gras-Sorten sind ausverkauft, zwischendrin taucht Haschisch auf und auch mal „feinster Schnee aus Bolivien – nur für kurze Zeit“.

Damit ist klar, dass über die Weed-Parkplätze auch harte Drogen verschoben werden.

Der Mindesteinkaufswert auf der Seite ist 90 Euro. Schließlich entscheidet sich Martin für die Sorte „Wedding Cake“. Diese ist zurzeit sogar im Angebot, für 90 Euro erhält er 10 Gramm – das entspricht in etwa dem Preis, den man auf der Straße zahlen würde.

Martin legt Wedding Cake im Wert von 90 Euro in seinen Warenkorb und arbeitet sich Richtung Zahlung vor. Als nächstes öffnet sich ein Fenster, welches Martin erlaubt, seinen Wunschbezirk zum Verstecken und seine Session ID anzugeben. So können ihm die Dealer die Fotos schicken, sobald das Geld angekommen ist.

Nun fehlt nur noch das Geld. Martin bezahlt mit Bitcoin. Nach einigen Minuten erhält er die Bestätigung auf der Seite, der Kauf sei abgeschlossen. Prompt folgt die Antwort auf Session.

Wie es scheint, muss Martin noch bis zum Abend abwarten. Das hat einen Grund: Im Dunkeln lässt es sich unauffälliger verstecken und suchen. Wir warten also ab – ich bin gespannt, wie es weitergeht.

Wie kann so eine Seite existieren?

Wie kann so eine Seite existieren und überleben?  Um mehr darüber zu erfahren, wende ich mich an Edgar Weippl. Er ist Universitätsprofessor auf der Fakultät für Informatik der Universität Wien und Leiter des Forschungsbereiches „Security and Privacy“. Die zentrale Schwierigkeit sei es, zu beweisen, welche physischen Personen hinter der Seite stecken, erklärt mir Weippl.  Je nachdem, wie die Seite aufgebaut ist, erweise sich das als mehr oder weniger kompliziert.

Ich frage ihn, wie man zu einer Website kommen kann, ohne seine Identität zu offenbaren: „Für illegale Aktivitäten ist es am einfachsten, das Netzwerk über einen Tor-Server zu erstellen – das, was man auch als Darknet versteht. Das bedeutet jedoch zugleich, dass die Seite auch nur über den Tor-Browser geöffnet werden kann“, erklärt mir Weippl.

Wenn es sich, wie in unserem Fall, um eine öffentlich zugängliche Seite handelt, sollte man als Server-Provider – der Ort, von welchem aus die Website betrieben wird – ein Land wählen, das nicht oder kaum mit den österreichischen Behörden kooperiert. Russland oder China, nennt Weippl etwa als Beispiele. Um mehr über die Ersteller der Website zu erfahren, müssten sich die Behörden dann bei den zuständigen Ämtern des Provider-Landes melden, die sich in der Regel nicht kooperativ zeigen. Tatsächlich behauptet weedwien auf ihrer FAQ-Seite, sie würden ihre Server in Russland haben und seien somit sicher.

Nachweisen kann ich das nicht – mithilfe der Applikation Blazingfast verdeckt weedwien ihren wahren Provider-Standort. „Alles in allem“, erklärt mir der Universitätsprofessor „ist eine Internetseite – wenn professionell eingerichtet – sicher. Die Schwachpunkte bilden die Momente, in denen die Dealer mit der realen Welt in Berührung kommen“. Das wäre in unserem Fall der Moment, in dem sie die Drogen verstecken oder der Moment, in dem sie ihr Krypto-Geld benützen. An diesen Schnittstellen könne die Polizei am besten ermitteln, so Weippl.

Wie sicher sind Kryptowährungen für solche illegalen Käufe und inwiefern kann man sie nachverfolgen? Das komme ganz auf die Währung an, erklärt mir Weippl: „Bei Bitcoin zum Beispiel ist jeder Schritt nachvollziehbar. Aber hinter jedem Bitcoin-Account steht nur ein Pseudonym, keine physische Identität. Auch hier sind die Schnittstellen mit der realen Welt der Moment, an denen die Polizei einen Account am ehesten mit einem Menschen verbinden kann“. Andere Währungen, wie etwa Monero oder CCash, seien nicht nachverfolgbar, da müssten die Dealer schon einen groben Fehler machen, um erkannt zu werden, so der Experte.

Die Polizei

Eine Anfrage bei der Wiener Polizei bestätigt die Aussagen des Universitätsprofessors: „Das Anbieten und der Verkauf von Suchtmitteln über das Clearnet, Darknet, soziale Medien und andere digitale Plattformen ist gängige Praxis und ein bekannter modus operandi“, lautet es in der Antwort. Für die Übergabe ließen sich die Dealer oft kreative Wege einfallen, so etwa in unserem Fall. Mehr erfahre ich über mögliche Ermittlungen gegen weedwien nicht, aus ermittlungstaktischen Gründen – so die Polizei.

Die Schatzsuche

Kurz nach 20 Uhr kommt endlich die Nachricht, der Fahrer sei gestartet. Etwa eine Stunde später vibriert erneut das Handy – wir bekommen einen Straßennamen und zwei Fotos mit eingekreistem Versteck.

Gewünscht hat sich Martin den dritten Bezirk. Die Straße befindet sich in der Nähe der Marxhalle. Wir starten sofort. Vierzig Minuten später bin ich zuhause bei Martin, der Deal ist abgeschlossen. Die Aktion war ein Erfolg – schockierend, wie einfach alles schlussendlich war.

Temporär inaktiv

Ein paar Wochen später, kurz vor der Veröffentlichung des Artikels, besuche ich die Seite erneut und stelle fest, dass die Betreiber eine Pause eingelegt haben, „für eine Selbstfindung“. Ob die Seite je wieder aktiv wird, bleibt offen. Wenn nicht, wird eine andere Seite früher oder später den Platz von weedwien einnehmen – so leicht, so sicher und so rentabel ist der Drogenverkauf über Internet und Hinterhof.


Titelbild: ZackZack

Autor

  • Nathanael Peterlini

    Nathanael Peterlini ist freier Journalist, kommt aus Bozen und lebt in Wien. Wenn ihm das aktuelle Weltgeschehen eine Verschnaufpause lässt, spielt er gerne Schach oder liest über organisierte Kriminalität aus Italien.

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