Montag, September 16, 2024

Lust an der Grausamkeit

Herbert Kickl und der harte Kern seiner Anhänger – es ist womöglich eine perfektere Symbiose, als uns lieb sein kann.

Herbert Kickl schreit viel herum, oder er presst seine aggressive Dauerbeleidigtkeit heraus. Dabei gibt es kaum eine Minute ohne Unwahrheiten. Seine Standards sind Schmähungen und Verbalinjurien. Persönlich ist er in höchstem Grade misstrauisch, ein einzelgängerischer Sonderling. Als er einmal Innenminister war, hat er die Anti-Terroreinheiten des Staates faktisch geköpft. Zum Glück hatte gerade niemand einen Anschlag geplant, er hätte dank des komischen Herberts leichtes Spiel gehabt.

Als impulsiver Heißsporn, der er ist, ist mit dem Unüberlegten bei ihm stets zu rechnen. Die Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger, die ihn ablehnen, beschimpft er als „Systemlinge“. Seine eigene Inkompetenz kontrastiert bizarr mit seinen dauernden Anwürfen an andere, denen er Unfähigkeit vorwirft. Niemand verkörpert das Passiv-Aggressive so perfekt wie der Griesgram, es ist nicht seine zweite Natur, sondern seine erste. Gibt es eine Gesundheitskrise, ist er der größte Experte für Pferdeentwurmungsmittel, geht das Land in Überschwemmungen unter und keucht unter nie gekannter Hitze, dann weiß natürlich der Herbert besser als alle Wissenschaftler dieser Welt, dass es nicht an der Klimakatastrophe liegt. Geht Döbling unter, liegt es nicht am Starkregen, sondern am Gully. Alles Trotteln außer Herbert.

Hoffentlich breiten sich die Affenpocken nicht weiter aus, denn dann ist der Herbert sicher der genialste Spezialist in Pockenangelegenheiten. Wahrscheinlich googelt er schon nach Affenentwurmungsmitteln.

Warum wählt überhaupt jemand Kickl?

Wenn immer seine Truppe regierte, ging es mit dem Land bergab und die einfachen Leute mussten den Preis dafür zahlen, von Pensionsreformen über Arzneigebühren und Selbstbehalte, von einer Krankenkassenreform, bei der von einer „Patientenmilliarde“ schwadroniert wurde, und die nur Geld in die eigenen Taschen der Freunderln von ÖVP und FPÖ umleitete. Für die großen Konzerne gab es dafür Steuergeschenke von einer Milliarde Euro pro Jahr, aber wir haben es ja. Neidig müssen wir nur Kindern sein, die 500 Euro Mindestsicherung bekommen, das ist dann nämlich viel zu viel wenn sich das bei neunköpfigen Familien zu Beträgen addiert, die sogar die Beheizung der Substandardwohnung ermöglichen.  

Gegenüber der österreichischen Schlaucherlbourgeoisie ist man dagegen großzügig, vom Miethai bis zum Schönheitschirurgen, sie haben in Herberts FPÖ einen verlässlichen Advokaten. 

Jeder weiß, wenn diese Spinnertruppe wieder drankommt, werden sie abermals alles Mögliche kaputt machen. Dass ihre Mandatare entweder als Korruptionisten oder als Kindesmissbrauchs-Konsumenten vor Gericht landen, ist so normal, dass die regelmäßigen Enthüllungen es gerade einmal zu kleinen Randnotizen in den Medien bringen.

So ist das eigentliche Mysterium, warum den überhaupt jemand wählt.

Der Mythus vom armen, verführten Hascherl

Es gibt die verbreitete, bequeme Annahme, dass die Wählerinnen und Wähler der FPÖ irgendwie nicht geschäftsfähige Hascherl sind, die wegen ihrer Frustration über Zustände, ihrer ökonomischen Bedrängnis und über die Politik generell Herberts Kasperltruppe wählen. Dass also an sich vernünftige Leute etwas ziemlich Blödes tun, weil sie es eben nicht besser wissen. Diese Leute werden mitunter beschrieben, als wären sie irgendwie besachwaltert. Lustigerweise wird gerne auch gesagt, man solle die „Ängste und Sorgen dieser Leute ernst nehmen“, zugleich aber implizit behauptet, man könne die Handlungen der Leute nicht ernst nehmen. Sie verwählen sich halt, und dann kommt irrtümlich was Vertrotteltes raus. Sie schießen sich quasi selbst ins Knie, wie Stan Laurel, wenn er mit dem Revolver hantiert.

Was aber, wenn die Leute bewusst das wollen, was sie bekommen? Also: Wenn sie wissen, was sie tun? Wenn der harte Kern der Wählerschaft und die schrullige Frontfigur eigentlich eine perfekte Symbiose leben?

Der lächerliche Exzentriker in der Politik

Es ist schon seit des Aufstiegs des Rechtspopulismus, seit Haider, Berlusconi, Bossi, Schill und wie die Mister Seltsams alle hießen, ein Standard: dass hier Politiker Zuspruch des Publikums bekamen, bei denen man nie wusste, ob sie mehr zum Fürchten oder zum Lachen sind. Weil die „normale“ Politik so langweilig war, begann der Aufstieg des Exzentrikers in der Politik.

Der Irrlauf selbst war zum Erfolgsrezept geworden. Was für andere Politiker tödlich wäre, ist für sie nicht einmal peinlich.

Berlusconi war der König der Sonderlinge in seiner „lächerlichen Eitelkeit“ (Karl-Markus Gauß). Dass er „der Beste von allen“ sei, proklamierte er regelmäßig, er hat sich mal mit Napoleon, mal mit Moses verglichen. Donald Trump ist nur die noch abgedrehtere Version.

Ihre Macken, ihre Sucht nach Aufmerksamkeit, ihre Respektlosigkeit und ihr Vorwitz, mit einem Wort, all jene Charaktereigenschaften, in denen sich ihre Exzentrik erweist, heben sie vom Typus des politischen Funktionärs ab, der im schlimmsten Fall nicht mehr ist als das Amt, das er bekleidet.

Geht der Exzentriker zu weit, dann erscheint er erst recht als mutig, lügt er, dass sich die Balken biegen, jubelt das Publikum. Nicht, weil es die Lügen nicht erkennt, sondern weil die jubelnden Mitläufer die Unverfrorenheit bewundern. Sie wären gerne auch so.

Wählertypus: der „rebellische Konformist“

Das soziale Milieu, das dadurch angesprochen wird, ist ein Typus, den man den „konformistischen Rebellen“ nennen kann, eine Sozialfigur der Freiheitskultur, aber in perversen Formen. Der konformistische Rebell will in der Gemeinschaft der Starken aufgehoben sein, liebt den Zuspruch seiner Bubble, fühlt sich geknechtet und gegängelt, lehnt Regeln ab, sogar vernünftige. Er muss sich die Mühe nicht machen, jeweils selbst nachzudenken, sondern blökt mit der Meute selbsterklärter „Selberdenker“.

Carolin Amlinger und Oliver Nachtwey haben in ihrer spektakulären Studie „Gekränkte Freiheit“ ein paar wichtige Einsichten über diese Sozialfigur festgehalten. Nicht wenige Leute dieser Milieus rebellieren im Namen der zentralen Werte der spätmodernen Gesellschaft, nämlich „Selbstbestimmung“ und „Souveränität“ und kultivieren eine „grundlegende Skepsis gegenüber Autoritäten“. Feierte die alte Rechte das soldatische Opfer, kriegen die neuen Autoritären schon die Krise, wenn ihnen ein Partywochenende entgeht.

Amlinger und Nachtwey erinnern an die „Studien zum autoritären Charakter“, die Forschergruppen der Kritischen Theorie rund um Theodor W. Adorno während der vierziger Jahre in den USA erstellten. Die Erfahrung war damals noch frisch, dass despotische Herrschaft nicht nur auf Unterdrückung beruht, sondern auch auf Zustimmung und bereitwilliger Teilnahme – und dass diese autoritären Verlockungen auch in demokratischen Gesellschaften virulent sind. Die Studienautoren fanden verschiedene autoritäre Typen. Zentral waren Charaktere, die die Konventionen hochhielten, Individualismus ablehnten, Ordnung ersehnten und sich gern personaler Autorität unterwarfen. Sozialfiguren wie „der Rebell“ oder „der Spinner“ wurden auch seinerzeit schon entdeckt, waren aber gegenüber den konformistischen Autoritären eher peripher.

Das hat sich massiv verändert.

„Systemkritik“ und autoritäre Aggression

Das Individuum wird „ausschließlich im Gegensatz zur Gesellschaft“ definiert. Es entsteht „ein Kränkungspotenzial, das in Frustration und Ressentiment umschlagen kann“, wie es Amlinger und Nachtwey ausdrücken. Wenn etwas schief läuft, ist „die Gesellschaft“, „der Staat“, „die Elite“, sind „die Herrschenden“ schuld. An sich gute Machtskepsis eskaliert ins destruktive Dauerdagegensein, Kritik an Wissenschaft als Herrschaftsform in Aberglauben. Antiautoritäres Rebellentum paart sich mit Autoritarismus, denn bei vielen Typen finden sich „zahlreiche Merkmale der autoritären Persönlichkeit“, wie etwa, „autoritäre Aggression, Kraftmeierei, Destruktivität, Zynismus, (verschwörungstheoretische) Projektivität und Aberglaube“. Machtkritik überschießt in verallgemeinertes Misstrauen, totale Ablehnung und Verleumdung, Freiheitspathos eskaliert in vollendete Wirrköpfigkeit, der Wert von Selbstbestimmung in völlige Ichbezogenheit und der kritische Impuls verkommt zum totalen Tunnelblick. Manches am Anti-Eliten-Getue klingt wie die alte linke Systemkritik, nur: mit allen ihren Lastern und keiner ihrer Tugenden.

Ganz wichtige weitere Aspekte dieses Typus hat die französische Philosophin und Psychoanalytikerin Cynthia Fleury beschrieben, Professorin für Geisteswissenschaften und Gesundheit am Conservatoire National des Art et Metiers in Paris und Professorin am Hospital Sainte-Anne der GHU Paris für Psychiatrie und Neurowissenschaften. Der fanatische Parteigänger der extremen Rechten schraubt sich in einen Tunnel der Verbitterung hinein, für Fleury „die gefährlichste Krankheit für die Demokratie“.

Der vom Ressentiment Vergiftete

„Es grollt“, schreibt Fleury. Das Ressentiment, das überall wuchert, ist eine „Vergiftung“, eine „Selbstvergiftung“. Der Groll hat seine Berechtigung, insofern er aus realen Ungerechtigkeiten entspringt, läuft aber sofort Gefahr, in ein Wahnsystem übersteigert zu werden, und das schon durch den geringfügigsten Affront. Von der „querulatorischen Paranoia“ spricht Fleury. Was einerseits seine Berechtigung hat, macht das davon befallene Subjekt aber sofort auch dysfunktional. Es hat eine Störung. Es ist krank. „Eine Person, die diese Störung hat, gibt ihre Fehler nie zu, ist aggressiv und provoziert andere, hat unbeherrschte Wutausbrüche, ist pathologisch unaufrichtig, überempfindlich.“ Es will autoritär aufräumen, ist zugleich aber extrem antiautoritär. Andere Theoretiker haben dazu „posttraumatische Verbitterungsstörung gesagt.

Fleury entdeckt das „in das Ressentiment verliebte Subjekt“, sein Symptom ist etwa „der Verlust der Urteilsfähigkeit“.

Dieses Subjekt braucht die Zustimmung der Masse, weshalb es sich auch so häufig zum Online-Mob zusammenrottet, der sich nicht nur gegenseitig hochschaukelt, sondern insbesondere auch bestätigt. Es wähnt sich eben nur nonkonformistisch: „Indem der Mensch des Ressentiments die Zustimmung aller sucht, zeigt er, dass er in der Falle des Konformismus gefangen ist.“ Weiter: „Das ressentimenthafte Ich ist eine Art ›falsches Selbst‹, eine Scheinpersönlichkeit voller Starrsinn, Arroganz, Rachegelüste und Feindseligkeit – hinter der sich das wahre, zerbrechliche, herdenförmige und versklavte Ich verbirgt.“ Das vom Ressentiment und der Verbitterungsstörung befallene Individuum achtet nichts und niemanden, besteht aber umgekehrt auf seinem Recht auf Achtung. „Der Mensch des Ressentiments erlebt dieses als eine gerechtfertigte Wut“.

Die Lust am Obszönen und der Gewaltphantasie

Fleury schreibt:

„Eine der explizitesten und hörbarsten Manifestationen des Ressentiments ist der obszöne Gebrauch der Sprache. (…) Man muss zuschlagen, den anderen verletzen, und da man dies nicht mit körperlicher Gewalt erreichen kann, geht es darum, die Sprache als Gewalt einzusetzen. (…) Heutzutage ist ein solches Auskotzen in sozialen Netzwerken quasi ständig möglich.“

Deswegen ist es leider ein Selbstbetrug vernünftiger, demokratischer Politik, anzunehmen, man könne den harten Kern von Kickls Wählerschaft überzeugen, indem man etwa „Lügen und Unwahrheiten entlarvt“, genauso wie die Annahme, rational begründbare Motive würden sie Antreiben wie etwa ökonomische Bedrängung, denen man nur „bessere Angebote“ machen müsse. Der harte Kern wünscht sich genau das, was er bekommt. Kickl ist in seiner Selbstradikalisierung das perfekte Angebot, wenn er und die seinen in ihrer Gewaltsprache ankündigen, sie werden politischen Gegnern einen „Schlag aufs Hosentürl“ versetzen, sich die politische Konkurrenz „herprügeln“, wenn erfolgreiche Politikerinnen als „Hexen“ bezeichnet werden, denen man „die Peitsche spüren“ lassen werde. Anspielungen auf das Sexuelle und eine obszöne Sprache sind keine Entgleisungen, weil es genau diese Überschreitungen sind, die das verbitterte Publikum als Befreiungen erlebt. Schlimmer: Indem sie sich allerlei Grausamkeiten für Andere wie zum Beispiel Kritiker, Andersdenkende, Flüchtlinge und „Systemlinge“ ausmalen, erleben sie einen gemeinsamen Lustmoment.  

Genau das freilich, was Radikalen wie Kickl den Zuspruch der vollends Eingeschworenen sichert, ist zugleich aber auch ihr Problem: Der Anführer wird zum Gefangenen der Verbitterten und lässt die nur halb Überzeugten, jene, die vielleicht einzelne sachliche Seiten seiner politischen Programmatik durchaus teilen würden, mit einer gewissen, inneren Reserviertheit zurück: Will man wirklich zu einer Gruppe von Narren gehören? Will man einem dauerdurchgedrehten Radikalen tatsächlich die Stimme geben? Will man da wirklich dazu gehören? Will man DAS alles wirklich?


Titelbild: Miriam Moné

Autor

  • Robert Misik

    Robert Misik ist einer der schärfsten Beobachter einer Politik, die nach links schimpft und nach rechts abrutscht.

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