Samstag, Oktober 12, 2024

Sicherheitsrisiko „Kickl“ Teil 4: „Es wird ganz brutal werden“

Kurz nach dem Sturm auf das BVT wurde es politisch gesäubert. Aber Kickl und seine Beamten waren bereits zu weit gegangen. Plötzlich war das BVT international isoliert.

Kaum war das BVT gestürmt und die Festplatte mit den Namen der für die FPÖ gefährlichsten Ermittler beschlagnahmt, nahm sich Kickls Generalsekretär Peter Goldgruber den BVT-Direktor und Sibylle Geißler, die Leiterin des Extremismusreferats, vor. Beide sollten weg.

Am 12. März 2018 wurde Peter Gridling vom Dienst als BVT-Direktor suspendiert. Am 6. April informierte Michaela Kardeis als Generaldirektorin für die öffentliche Sicherheit die Leiterin des Extremismusreferats, dass jetzt sie an der Reihe sei. Geißler schilderte dem BVT- Untersuchungsausschuss: „Das war die Frau Generaldirektorin. Die hat mir gesagt: Ja du, die wollen dich loswerden, und da wird es ganz brutal werden, aber sie würde die sanftere Methode vorschlagen und würde sagen, ich soll vielleicht freiwillig in Pension gehen und ich soll auch meine Frontalangriffe gegen den Generalsekretär unterlassen.“

Damit war alles auf Schiene: Das BVT war gestürmt, sein Direktor suspendiert. Innenminister Kickl hatte schwere Schäden für die Arbeit der Verfassungsschützer ebenso in Kauf genommen wie die internationale Isolierung seines Dienstes.

Das Berner Desaster

Die Folgen des Kickl-Sturms auf das BVT waren verheerend. Zuerst wurde die Zusammenarbeit zwischen BVT und dem italienischen Auslandsgeheimdienst AISE auf Weisung aus Rom „geblockt“, wie aus einer internen Information vom 12. März 2018 an den Direktor des Bundeskriminalamts hervorgeht.

Der dänische PET folgte und stellte die Zusammenarbeit mit dem BVT ein. Bei der zweitägigen „Berner Club Heads of Service Tagung“ in Helsinki hielten Vertreter des BVT am 16. März 2018 fest, dass kaum jemand noch Österreich traute. Im BVT-Protokoll steht, von wem am meisten drohte: „Berner Club Vorsitz SUPO (Finnland) sowie MI5 (Großbritannien), DGSI (Frankreich), BfV (Deutschland), CNI (Spanien), WSI (Italien) und SRL (Luxemburg) Thematischer Schwerpunkt VERTRAUEN“.

Das interne Resümee des BVT fiel vernichtend aus: „Im Rahmen der persönlichen bzw bilateralen Gespräche mit den Vertretern der Partnerdienste ließen diese keinen Zweifel an der großen Sorge bezüglich der Vertraulichkeit, insbesondere hin- sichtlich des Informationsaustauschs und/oder der Behandlung sensibler Daten, aufkommen.“

Rückzug des BVT

Am 25. Juni 2018 eskalierte alles weiter. BVT-Direktor Gridling hatte sich erfolgreich gewehrt und war wieder im Amt. Er erhielt eine „Flash-Information“ des polnischen Partnerdiensts ABW. Die Polen verlangten ein „Sherpa- Meeting“ in Warschau, bei dem das BVT eine letzte Chance zur Rechtfertigung vor einem möglichen Ausschluss erhalten sollte.

Einen Tag später meldete BVT-Juristin Michaela K., „dass eine Suspendierung des BVT in der Berner Gruppe im Raum stehe“. Ab jetzt wusste man in Kickls Innenministerium, dass der Ausschluss des BVT aus dem Berner Club unmittelbar bevorstand.

Anfrage in Berlin

Am 3. Juli 2018 hatte die „Neptune“-Affäre den Deutschen Bundestag erreicht. Abgeordnete der Fraktion „Die Linke“ hatten eine „Kleine Anfrage“ wegen „Gefahr des Datenabflusses vom Bundesamt für Verfassungsschutz“ eingebracht. Zur Überraschung der Abgeordneten bestätigte die Bundesregierung, „dass eine Festplatte mit Daten beschlagnahmt wurde“. Dann folgte die Falschmeldung aus Wien, der Generalsekretär des Justizministeriums habe „erklärt, es sei auszuschließen, dass Daten aus Deutschland betroffen seien“.

„ausländische Dokumente“

Am 9. Juli 2018 wandte sich BVT-Juristin Michaela K. an WKStA-Chefin Ilse-Maria Vrabl-Sanda. Das BVT stand unter Druck, weil die ausländischen Dienste endlich wissen wollten, welche ihrer geheimen Dokumente den Ermittlern von WKStA und Kripo in die Hände gefallen waren.

Dazu wollte das BVT von der WKStA wissen, „welche ausländischen klassifizierten Dokumente in Papierform bei der Hausdurchsuchung sichergestellt worden und nach wie vor bei der WKStA vorhanden seien“. Nach wie vor wussten sie nicht, wer in dem Wiener Chaos welches ihrer geheimen Dokumente in Händen oder Plastiksäcken hielt. Nicht nur dem britischen MI5 und dem deutschen BfV war daher der Kragen geplatzt.

„Except BVT Vienna“

Am selben Tag kam der nächste Schlag. Der finnische Geheimdienst SUPO wandte sich an die Mitglieder des Berner Clubs und vermerkte in seiner Nachricht „except Vienna“. So war Österreich im Juli 2018 zum Schutz vor Putins Diensten aus dem sensibelsten Bereich des Berner Clubs ausgeschlossen. Zu diesem Zeitpunkt wussten nur die Partnerdienste des Berner Clubs, wie brisant der Vermerk „PHILOSOPHY“ auf der SUPO-Nachricht war.

Über einen Umweg kam der Vermerk dennoch nach Wien – und richtete im November 2018 noch weit größeren Schaden an.

Aufstehen und gehen

Im Juli 2018 zog sich das BVT aus dem Berner Club zurück – aus einem einzigen Grund: um nicht ausgeschlossen zu werden. Von der amerikanischen CIA und dem britischen MI5 bis zum deutschen Bundesamt für Verfassungsschutz und zum niederländischen AIVD hatten „befreundete“ Dienste angekündigt, ihre Delegierten würden aufstehen und gehen, wenn Vertreter des BVT im Raum wären, wie Gridling intern berichtete.

Damit hatte der Untergang des BVT begonnen. Herbert Kickls Männer hatten mehr als ihr Ziel erreicht.

An der Spitze der ÖVP herrschte Unruhe. Von Kanzler Kurz bis Generalsekretär Nehammer wussten alle, wie groß der Schaden für die Sicherheit Österreichs war. Islamisten und Rechtsextremisten drohte in Österreich plötzlich weit weniger Gefahr als in allen anderen Staaten der EU. Herbert Kickl und Peter Goldgruber hatten Österreich zu einem sicheren Hafen für Terroristen und russische Agenten gemacht.

Damit stand die ÖVP vor einer Frage: Konnte sie Unsicherheitsminister Kickl loswerden, ohne die Koalition mit der FPÖ zu sprengen?

Dazu mehr morgen in Sicherheitsrisiko „Kickl“ Teil 5: Nehammer für Kickl.


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Titelbild: Christopher Glanzl / ZackZack – Logo BVT/ Montage

Autor

  • Peter Pilz

    Peter Pilz ist Herausgeber von ZackZack.

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