Samstag, Oktober 12, 2024

Sicherheitsrisiko „Kickl“ Teil 5: Nehammer für Kickl

Sebastian Kurz stand vor der Wahl: Unsicherheitsminister Kickl entlassen und die FPÖ als Regierungspartner verlieren – oder Kickl die Mauer machen und auf die öffentliche Sicherheit pfeifen. Kurz und Nehammer entschieden sich für Kickl.

Im Mai 2018 wusste Sebastian Kurz, dass es für seine Regierung zum ersten Mal eng würde. Nach der Hausdurchsuchung und dem Neptune-Desaster war das BVT international isoliert. Der österreichische Verfassungsschutz war damit zum ersten Mal auf den Augen „Islamismus“ und „Rechtsextremismus“ weitgehend blind. Das war das politische Verdienst von Innenminister Herbert Kickl.

Die Öffentlichkeit wurde von Anfang an gezielt falsch informiert. BVT-Direktor Peter Gridling sah tatenlos zu: „Auf politischer Ebene betonten Minister und Generalsekretär unentwegt, dass es keine Beeinträchtigung der internationalen Zusammenarbeit gäbe … Eine Korrektur der politischen Aussagen war wenig ratsam, denn dies hätte unsere Partner nur noch mehr verunsichert.“

Herbert bleibt!

Die Katastrophenmeldungen aus dem Berner Club waren über Beamte des Innenministeriums auch in der ÖVP angekommen. Nachfragen an der FPÖ-Spitze ergaben ein klares Bild: „Der Herbert bleibt!“ Strache und seine Partei würden sich Kickl als Innenminister nicht „herausschießen“ lassen.

Damit stand die ÖVP vor einer Entscheidung: mit Kickl weitermachen oder die Koalition platzen lassen. Karl Nehammer übernahm am 19. Mai 2018 als ÖVP-Generalsekretär die undankbare Aufgabe, Kickls Verhalten zu rechtfertigen: „Das Vorgehen von Innenminister Herbert Kickl war selbstverständlich mit der neuen Volkspartei abgestimmt und akkordiert. Die Volkspartei übt daher hier keine Kritik am Innenminister.“

Kurz hatte wieder einen Deal mit der FPÖ gemacht. Der erste Teil – Kickl stützen – war erfüllt. ÖVP und FPÖ wussten jedoch, dass sich die Chancen, die Affäre auszusitzen, ständig verschlechterten. Mit der drohenden Isolierung des BVT wurde klar, dass beide Parteien statt Kickl einen anderen Schuldigen für das Berner-Club-Desaster bräuchten. Monate später fanden sie ihn mit Egisto Ott.

Falsch informiert

Am 3. September 2018 versuchte der Innenminister, die Entwicklung im „Nationalen Sicherheitsrat“ im Steinsaal des Bundeskanzleramts schönzureden: Kickl betont, dass es keine internationale Isolation des BVT gibt und sowohl die politische als auch die operative Zusammenarbeit unverändert gut funktioniert.“ Damit hatte Herbert Kickl als Innenminister den Nationalen Sicherheitsrat bewusst falsch informiert.

Sein Generalsekretär Peter Goldgruber sollte später in einer vertraulichen Sitzung erklären, dass Kickl und er zu diesem Zeitpunkt genau wussten, warum das BVT im Berner Club unerwünscht war: „Da sind wir jedenfalls nicht eingeladen, weil das Codewort ,Philosophy‘ hier verwendet wurde.“

Offensichtlich kannte Goldgruber die geheime Codewort-Tabelle des Berner Clubs und wusste so, dass „Philosophy“ für „Spionageangelegenheiten im Zusammenhang mit den Diensten von Russland, anderen GUS-Staaten, China und Iran“ stand.

Eine Woche nach dem Nationalen Sicherheitsrat im Bundeskanzleramt bekam Kickl im „ORF-Sommergespräch“ offizielle Unterstützung von Sebastian Kurz. Der Standard fasste das Kurz- Manöver zusammen: „Die Zusammenarbeit zwischen den Geheimdiensten finde unverändert statt, habe Kurz von BVT-Chef Gridling gehört. Er sei auch mit vielen Regierungschefs und Ministern im Gespräch – kein einziger hätte ihn aufs BVT angesprochen. Man solle nicht so tun, als sei man international isoliert, das hätte er wohl mitbekommen.“

Wenn die kurzen Beine der Notlügen nicht mehr reichen, setzt die ÖVP verlässlich den nächsten Schritt: das Ablenkungsmanöver.

„Ott ist schuld“

Im November 2018 war längst klar, dass das BVT im Berner Club dauerhaft isoliert war. Kickl stand unter dem Schutz der ÖVP. Jetzt war die Zeit für den neuen „Schuldigen“ an der BVT-Affäre gekommen.

Am 6. November 2018 trat Michaela Kardeis als Generaldirektorin für die öffentliche Sicherheit zum Täuschungsmanöver an. Das BVT habe sich „aus freien Stücken vorübergehend aus den Arbeitsgruppen des Berner Clubs zurückgenommen“. Dann kam Kardeis zum Kern der neuen BVT-Legende: „Dadurch wurde Vertrauensvorbehalten bewusst entgegengewirkt, die allerdings nicht aus der medial breit berichteten ,BVT-Affäreherrührten, sondern im Zusammenhang mit einem Spionage-Verdachtsfall aus dem Jahr 2017 gegen einen ehemaligen BVT-Mitarbeiter gestanden seien.“ Gegen diesen Mitarbeiter wurde seit dem 21. November 2017 wegen des „Verrats von Staatsgeheimnissen“ nach § 252 des Strafgesetzbuches ermittelt.73 Der „ehemalige BVT-Mitarbeiter“ war Egisto Ott.

Fast alles an dieser Erklärung war falsch. Mit dem „SNU“, dem „strategisch notwendigen Unsinn“, wie Kurz-Sprecher Gerald Fleischmann derartiges getauft hatte, wurde eine falsche Spur weg von der Verantwortung von FPÖ und ÖVP gelegt. Von „Neptune“ bis „Kickl-Sturm auf das BVT“ gab es keine politische Verantwortung. „Ott“ war ein „Einzelfall“. Das sollte bis zum Vorwahlkampf 2024 die Legende von ÖVP und Bundeskriminalamt bleiben.

BVT-Direktor Peter Gridling blieb in vertraulichen und geheimen Dokumenten als Einziger bei der Wahrheit. In internen Sitzungen berichtete er, dass es natürlich nicht nur um den Fall „Ott“ gegangen sei. Entscheidend sei bei den Partnerdiensten die Sorge um die „Club-Daten“ und um die Festplatte gewesen. Die „Club-Daten“ und die „Festplatte“ – das waren „Neptune“ und „ZQB“.

Die ÖVP hatte sich nicht geirrt. Von Wien bis in die Bundesländer übernahmen fast alle Medien die Ablenkungsgeschichten der ÖVP.

Doch das nächste Desaster kündigte sich bereits an. Staatsanwaltschaft Wien und AG Fama des Bundeskriminalamts hatte dafür gesorgt, dass es Akteneinsicht in „Neptune“ gab.

Dazu mehr morgen in Sicherheitsrisiko „Kickl“ Teil 6: Akteneinsicht für Spione


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Titelbild: Christopher Glanzl / ZackZack – Logo BVT/ Montage

Autor

  • Peter Pilz

    Peter Pilz ist Herausgeber von ZackZack.

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