Andreas Babler wird von allen Seiten angegriffen und von den eigenen Leuten sabotiert. Aber das kann er auch zu einer Stärke verwandeln.
Die US-Demokraten bringen dieser Tage ein Lehrbeispiel, wie man aus einer schwierigen Situation heraus Momentum erzeugt. Mit Zuversicht und sogar Fröhlichkeit, was gerade für progressive Parteien immer zu den Schlüsselfaktoren eines erfolgreichen Wahlkampfes gehört. Und indem sich alle, aber wirklich alle, hinter die Spitzenkandidatin und ihren Vize-Kandidaten stellen. Da erklären Ex-Präsidenten, Granden, Rebellen, dass die Kandidatin wirklich der beste Mensch im ganzen Universum ist. Hauptprotagonisten der Apparatschikfraktion proklamieren genauso wie die heißspornigen Radikalen, dass die nunmehr aufs Schild gehobene Kandidatin die allerbeste sei, die man zwischen Wisconsin und Wladiwostok hätte finden können. Mehr noch: Da erklären gerade erst ausgebootete Anwärter für die Vizepräsidentschaft in ergreifenden Reden, warum es so großartig ist, dass nicht sie den Job bekommen sollen, sondern der, der jetzt ausgewählt wurde. Weil der einfach der sensationellste Kerl ist, den man sich vorstellen kann. Sogar der abmontierte Präsident macht mit, und erzählt in bewegenden Worten, warum er seine Demontage jetzt auch super findet – weil damit der Weg frei sei für die famoseste Person der Weltgeschichte.
Nicht zuletzt geschieht das alles, weil alle zusammen wissen, dass es um verdammt viel geht: darum nämlich, einen Autokraten und Freiheitsfeind als Präsident zu verhindern.
Ähnlichkeiten mit österreichischen Vorgängen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt. Muss man aber eh nicht extra hinzufügen: Denn Ähnlichkeiten mit österreichischen Vorgängen gibt es leider keine.
Babler und die Apparatschiks
Ziemlich genau ein Monat vor der Nationalratswahl zieht Andreas Babler, Kämpfernatur die er ist, von Stadt zu Dorf, reißt mit packenden Auftritten Sympathisanten und Interessierte von den Sesseln. Er versucht Euphorie bei jenen zu entfachen, die dann wieder draußen Skeptiker überzeugen müssen, die Wählerin um Wählerin sammeln müssen wie die Eichhörnchen im Sommer die Nüsse. In seinen TV-Auftritten ist er überzeugend, er hat auch sichtbar an sich gearbeitet. Kommt auf den Punkt. Spricht langsam. Konzentriert sich auf die paar Botschaften, die hängen bleiben sollen. Aber er steht auch, jedenfalls was das Rampenlicht und die sichtbaren ersten Reihen betrifft, ziemlich alleine da. Und dauernd produzieren irgendwelche Funktionärsfiguren Unfälle, die dann wieder einen Rückschlag bedeuten.
Währenddessen verabschiedet die FPÖ ein Wahlprogramm, in dem sie unverhohlen mit der faschistischen „Homogenisierung“ Österreichs droht und plakatiert Kickl mit „Dein Wille geschehe“-Geschwurble. Logisch: „Sein Reich komme“, hätte schließlich wieder einmal die Frage provoziert: Welches? Das Dritte? Das Vierte? Man schüttelt den Kopf und fragt sich, ob da ein paar Leute aus der Klapsmühle ausgebrochen sind und sich als Texter ausgegeben haben.
Währenddessen die Sozis: Erst der Fall Klaus Luger, den Babler, wie beim Judo, ein wenig sogar für sich nutzen konnte, indem er klare Kante zeigte, erklärte, dass ein solches Verhalten in einer Sozialdemokratie mit ihren ethischen Ansprüchen keinen Platz hat – was dann mit dem Totalrückzug Lugers gleichsam auch beurkundet wurde. Zugleich zeigte sich Babler auch als einer, der in schwierigem Umfeld Führungsstärke zeigen konnte. Befehlen kann ein Bundesparteivorsitzender ja weder einer Landes- noch einer mächtigen Bezirkspartei etwas. Aber er kann mit Worten führen, indem er Prinzipien formuliert, statt abzutauchen und sich in Schweigen zu verlieren. Kaum war das überstanden, dann der „Fall Bures“. Ein gefundenes Fressen ist das natürlich für den politischen Gegner, der jetzt sagen kann: Seht her, selbst die eigenen Leute sagen, das Programm des Kandidaten ist zu unernst, nicht „realistisch“ genug, also „links“.
Fast ein Super-GAU im Wahlkampf. In jeder TV-Debatte wird ihm das das Gegenüber um den Kopf hauen. Man kann es der Konkurrenz nicht verdenken.
Die Falle des „Realismus“
Dabei geht es noch nicht einmal darum, ob die geäußerte Kritik am Wirtschaftskapitel des Wahlprogrammes jetzt plausibel oder blöde ist. Wenn eine Partei über ihr Programm diskutiert, ist es natürlich nachgerade logisch, dass man auch Einwände gegen den Entwurf formuliert. Das ist ja das Wesen einer Diskussion. Möglicherweise ist manches an der Kritik ja berechtigt, etwa, dass sich der Entwurf „in relativ unbedeutenden Bereichen in liebevollen Details“ verliere. Es ist immer eine Frage, wie konkret man eigentlich werden soll. Will man beweisen, dass man sich auch mit den periphersten Aspekten einer Sache beschäftigt hat? Oder will man sich auf die eher populären, zentralen Punkte beschränken, wie etwa: Mieten runter und einfrieren; Energiepreise regulieren; den ökosozialen Umbau mit einem Transformationsfonds finanzieren; die Pensionen sichern; den sozialen Wohnbau ankurbeln usw. Mir persönlich würden sechs, sieben zentrale Punkte in einem WAHL-Manifest von zehn Seiten auch reichen, ich brauche keine Habilitationsschrift für so etwas. Da könnte ich mich mit Doris Bures schon treffen.
Etwas anderes ist es freilich, einen solchen Brandbrief zu formulieren, der dann – was für ein Zufall – den Weg zur „Kronen Zeitung“ findet. Wer so etwas schreibt, nimmt das Leak zumindest billigend in Kauf, wenn er nicht gänzlich einfältig ist, was wir von Doris Bures jetzt ja einmal nicht annehmen wollen.
Zumal die grundsätzliche Botschaft ja ist: Es ist „unrealistisch“, da man das alles nicht durchbringen werde. Ein gerechteres Steuersystem ist „unrealistisch“, weshalb die Gegenfinanzierung für sozialdemokratische Ideen wackelig sei. Man solle „realistisch“ sein. Kurzum: Also all das, was eine energielose Sozialdemokratie über viele Jahre war. Der Geist der Kritik: Man solle keine sozialdemokratischen Forderungen aufstellen, die hinterher dann in Koalitionsvereinbarungen in Kompromisse und höchstens in kleine Trippelschritte verwandelt werden, sondern man solle gleich mit den Kompromissen in den Wahlkampf gehen.
Das war natürlich in den vergangenen Jahrzehnten ein ganz famoses Erfolgsrezept, deswegen sind die Bures’e dieser Welt ja von Triumph zu Triumpf geeilt.
Attackiert von allen Seiten
Der ganze Vorgang zeigt aber auch etwas, und wenn Babler es kämpferisch anlegt, dann kann er es sogar zu seiner Stärke machen: Er hat nicht nur die rechten Extremisten als Gegner, die von ihrer Vollkacki-Kanzlerschaft träumen, und auch nicht nur die Etablierten und Champagnisierer, die es sich immer richten und die daran gewöhnt sind, diese Republik als ihre Beute zu brachten; er sieht sich nicht bloß einer Phalanx der hiesigen Medienmogule gegenüber, die fürchten, unter seiner Kanzlerschaft werde aufgeräumt, und die eine geradezu bizarre Kampagne gegen ihn fahren. Ihm hängt auch das routinierte Apparatschikwesen in der eigenen Partei wie ein Klotz am Bein, repräsentiert von Leuten, die Macht als etwas ansehen, das man so hintenherum durch Allianzschmieden und Postenakkumulation gewinnt.
Also gleichsam: Einer gegen alle. Es wird Andreas Babler jetzt wenig anderes übrig bleiben, als zu versuchen, die Wahlkampf-Sabotage zu seiner Stärke zu machen: Er ist der Kandidat der Erneuerung, sowohl im Land als auch in der Partei. Das System der Etablierten, die es sich in den letzten Jahrzehnten so bequem eingerichtet haben, es tut alles, um ihn zu desavouieren. Quasi: Einer gegen das System.
Gewiss, ein Wahlkampf, den du auch gegen Teile deiner eigenen Partei zu führen hast, ist kein Spaziergang und er vertieft Spaltungen, die man so dringend braucht wie einen Kropf. Denn letztlich muss man den Flohzirkus von Parteien auch zusammenhalten. Schließlich bestehen sie aus Menschen ganz verschiedener Milieus, aus Leuten, die unterschiedlich ticken, und letztendlich erweist sich Führungsstärke nicht allein darin, dass man erklärt, wo es langgeht – sondern auch darin, dass man die unterschiedlichsten Leute dazu bringt, an einem Strang zu ziehen.
Und, ja, die Bürgerinnen und Bürger sind ja nicht deppert. Sie wissen, dass in Parteien alle Protagonisten irgendwelche Fehler machen. Auch Bablers Führungsteam wird irgendwelche Fehler gemacht haben, vielleicht wurde da und dort zu wenig mit Leuten geredet, die von ihrer Wichtigkeit überzeugt sind, nicht jeder, der es sich gewünscht hätte, wurde wöchentlich angerufen, vielleicht wurden Programmentwürfe auch später fertig, als gut gewesen wäre. Lauter so Kleinzeug, was immer wieder Menschen kränken kann, letztendlich aber doch belanglos sein sollte. Zusammenhalten heißt ja auch, die Fehler der anderen ausbügeln, wenn immer nötig, und Beleidigtheiten runterzuschlucken. Und nicht, auf den Fehlern herumzureiten, weil man sich freut, dass man jemand eins auswischen kann. Kein Wunder, dass Wählerinnen und Wähler sagen: „Ihr wollt uns was von Solidarität erzählen? Ihr seid ja nicht einmal zu Solidarität in den eigenen Reihen fähig!“
„Jetzt erst Recht“-Stimmung
Aber gerade deshalb gilt: Wer eine ganz andere Politik will, muss Babler stärken. Wenn er der Kandidat von „Hope“ und „Change“ sein will, muss er sowieso glaubhaft für „Change“ im politischen Stil stehen, auch in seiner eigenen Partei. Im Grunde wusste man das immer schon, man hatte bloß auf die Vernunft gehofft.
Leichter ist der Wahlkampf für Babler und die SPÖ durch die Fehltritte der vergangenen Woche nicht geworden. Aber die Sabotage des Wahlkampfes rüttelt auch viele zehntausende Leute auf. Die sehen, dass sie jetzt einfach nicht abseitsstehen können, dass es keine Option mehr ist, die Geschehnisse aus der Ferne beobachten. Es kommt gar nicht so selten vor, dass die Dinge ihre zwei Seiten haben, und der Versuch, jemanden ein Bein zu stellen, eine „Jetzt-Erst-Recht“-Stimmung entfacht. Welche Kapriolen „Stimmungen“ und „Atmosphären“ schlagen können, lässt sich nie ganz leicht vorhersagen.
Und nicht vergessen: Schließlich geht es darum, eine Koalition des Grauens mit Kickl an der Spitze zu verhindern, die unser Land ins trübe Fahrwasser des Autokratismus führen würde.