Montag, September 16, 2024

Pinkeln in the wind

In einer Welt, in der gleiche Chancen und Essen für Schulkinder eine nicht mittige, sondern eine extreme Position darstellen, ist etwas gehörig aus den Fugen geraten.

Als ich auf Twitter einem Mitwitteranten versprach, mich nicht nur der Kritik von Blau und Türkis, sondern auch der Lugerschen totalen Problematik zu widmen, sobald ich aus der Schreibklausur zurückgekommen bin, ahnte ich nicht, dass dies nur die erste Welle der Heftigkeit werden würde.

Der ersten Welle folgten einige weitere, so schnell aufeinander folgend, dass mancher Artikel in der unerwarteten Geschwindigkeit, mit der sich die Ereignisse wie ein Tsunami entfalteten,  unaktuell geriet. Luger, der gschichtldruckende Leaker, hatte erst seinen (absolut notwendigen) Rücktritt von politischen Ämtern, danach auch seinen Rücktritt vom Bürgermeisteramt verkündet. Da das erste an einem Tag erfolgte und das zweite am darauffolgenden, erfreute sich der Blätterwald einer schönen Gelegenheit, Andreas Babler kraftvoll ans Bein zu pinkeln. Und nicht nur der Blätterwald, auf Twitter (nun X, ich weiß, aber ich werde es immer Twitter nennen, aus Bestemm) nutzten auch grüne und türkise Stimmen die Gelegenheit, den Roten eins auszuwischen. Dass türkise Bürgermeister mit eigener Skandalgeschichte sowie die grüne Spitzenkandidatin Schilling mit ihren Verwicklungen immer noch in Amt und Würden waren, unangezweifelt und unaufgefordert- sei´s drum. Man wird ja noch was sagen dürfen!

Blöderweise trat der Linzer Bürgermeister am nächsten Tag auch von diesem Amt zurück und hinterließ eine klaffende Wunde an verlorenen und nicht mehr einsatzbereiten Argumenten. Aber damit es nicht fad wird, ging es danach noch weiter. Babler sei gar nicht zuständig für den Rücktritt (der von ihm erst am Vortag verlangt worden war). Und bald darauf der nächste Donnerschlag: Doris Bures hatte- nach expliziter Frage nach ihrer Meinung- diese Meinung auch tatsächlich geäußert! Dass diese Meinung eine (durchaus harte) Kritik beinhielt, war für manche anderen Parteien offenbar ein unbekanntes Phänomen. Es kann schließlich nicht jeder in der türkis eingefärbten Stadthalle ebenso türkis eingefärbt dem Messias huldigen. Manche, gerade als Frauen danach besonders gehöhnte, sagen einfach, was sie sich denken. Also schon wieder: Eine Sauerei!

Wer die harte Kritik geleakt hat, ist nicht eindeutig, die oder der Leakende hat der Partei aber tatsächlich einen Bärendienst erwiesen. Interne Kritik, harsch oder zart, gehört nicht in den Blätterwald geblasen, bis er rauscht.  Währenddessen- und während jede einzelne Lamelle dieser Zustände genüsslich durchgekaut und als großes Problem in der austriakischen Politlandschaft definiert wurde- erklärte sich die ÖVP beschwingt zur neuen Mitte (was ein wenig wundert, nachdem sie jetzt über eine konstante Zeitspanne wording und Inhalte der rechtsextremen FPÖ in einem Schmiedlversuch übernommen hatte. In einer Welt, in der gleiche Chancen und Essen für Schulkinder eine nicht mittige, sondern extreme Position darstellen, ist etwas gehörig aus den Fugen geraten. In derselben Zeit erging sich die FPÖ  unter Einsatz sattsam bekannter Rethorik in Plänen des neuen autoritärsten Staates von Russlands Gnaden. Des Blätterwaldes Rauschen ließ ein wenig zu wünschen übrig. Schade, denn eines der ersten Dinge, die die Blauen abschaffen wollen würden, wäre die uns bis dahin bekannte (und seit Jahren im Abbau befindliche) Pressefreiheit.

Autor

  • Julya Rabinowich

    Julya Rabinowich ist eine der bedeutendsten österreichischen Autorinnen. Bei uns blickt sie in die Abgründe der Republik.

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