Samstag, September 14, 2024

Sicherheitsrisiko „Kickl“ Teil 6: Akteneinsicht für Spione

Das Handbuch für „Neptune“ enthält einige der geheimsten Informationen des Berner Clubs. Die Staatsanwaltschaft Wien gewährt bis heute Akteneinsicht in das Handbuch und streng geheime Geheimdienst-Dokumente von MI5 und FBI.

Während ÖVP-nahe Beamte im Innenministerium versuchten, aus der Affäre „BVT“ eine Affäre „Ott“ zu machen, tauchte in der Wochenzeitung Falter das geheime SUPO-Dokument auf. Es stammte aus dem Verteilersystem des Berner Clubs.

Im Berner Club tauschen westliche Dienste von CIA bis MI5 und deutschem Verfassungsschutz über COMCENTER ihre Informationen aus. Mit Codewörtern beschränken sie den Kreis von Empfängern und markieren spezielle Zielbereiche. Der islamistische Terrorismus läuft unter dem Codewort „CAPRICCIO“, rechter und linker Extremismus finden sich unter „RILE“. Bei „SILENTIUM“ geht es um organisierte Kriminalität. Mit „VI- TOLS“ markieren sie alles, was mit Spionage vonseiten „weniger bedrohlicher Staaten“ zu tun hat.

Mit einem Codewort hatte das BVT 2018 ein Problem: mit „PHILOSOPHY“, dem Code für „Spionageangelegenheiten im Zusammenhang mit den Diensten von Russland, anderen GUS- Staaten, China und Iran“. Dazu vermerkt das CdB-Handbuch: „Das betroffene Land muss im Betreff jeder Nachricht angeführt werden.“

Mit „PHILOSOPHY“ wurden die Empfänger der Russland- Nachrichten automatisch auf die Mitglieder des Berner Clubs beschränkt. Österreichs BVT gehörte im Juli 2018 inoffiziell nicht mehr zu dieser Runde.

„except BVT Vienna“

Am 6. November 2018 veröffentlichte der Falter die Nachricht, die der finnische Nachrichtendienst SUPO am 9. Juli 2018 an alle Clubmitglieder „except BVT Vienna“ versandt hatte. SUPO überwachte russische Agenten, die im Juli 2018 vermehrt nach Finnland eingeschleust wurden.

Falter-Chefredakteur Florian Klenk erklärte damals das SUPO- Dokument: „Es entstammt einer Art geheimdienstlicher Chatgroup mit dem Codenamen ,Philosophy‘.“ Doch der Berner Club war keine „Chatgroup“ mit dem Namen „PHILOSOPHY“, sondern ein streng abgeschirmtes Netz von Geheimdiensten, die auf kurzem Weg Warnungen und in Arbeitsgruppen strategische Informationen austauschten.

Nicht nur von SUPO kamen Nachfragen, warum das Dokument an das BVT und danach an eine Zeitung geleakt worden war. Die Hoffnung, dass das Dokument nicht über das BVT an den Falter gekommen war, wurde schnell enttäuscht. Gridling berichtete, „dass der finnische Operator uns zwar im Text der Anschrift ausgeschlossen, aber die Nachricht dennoch irrtümlich an uns übermittelt hatte. Damit war meine Hoffnung, nicht für das Leak verantwortlich zu sein, endgültig zunichte.“

Florian Klenk hatte im Falter ein Dokument veröffentlicht, ohne dessen Brisanz verstanden zu haben. Daher wusste Klenk auch nicht, welchen Schaden er damit angerichtet hatte. Gridling erinnerte sich: Natürlich war der Teufel los.“

Die Folge des Falter-Artikels war schnell klar. Um einem Ausschluss zuvorzukommen, musste sich Österreich aus den Arbeitsgruppen des Berner Clubs zurückziehen. Die Veröffentlichung des SUPO-Dokuments hatte den Rest des internationalen Vertrauens in das BVT zerstört.

Gridling informierte die Generaldirektorin für Öffentliche Sicherheit im Innenministerium. „Unmittelbar nach dem Gespräch mit der Generaldirektorin war unsere Arbeitsgruppenkommunikation gesperrt, was sich deutlich in der Informationsaustauschstatistik niederschlug.“ Von jetzt an war das BVT von sensiblen Daten der Partner weitgehend ausgeschlossen. Der österreichische Verfassungsschutz war erstmals jenseits der Landesgrenzen blind.

Dabei blieb es nicht. Ein weit größerer Schaden war bereits woanders entstanden.

Akteneinsicht in „Neptune“

In Kickls Innenministerium brauchte man noch Wochen, um das Ausmaß des Schadens zu begreifen. Die streng geheimen Daten des Berner Clubs lagen jetzt bei der WKStA – und würden über den Weg der Akteneinsicht den Rechtsanwälten der Beschuldigten zur Verfügung stehen.

Am 6. April 2018 traf sich Kickls Generalsekretär Peter Goldgruber mit WKStA-Staatsanwältin Ursula Schmudermayer und deren Chefin Ilse-Maria Vrabl-Sanda zu einer Krisensitzung. Schmudermayer hielt fest: Goldgruber „macht darauf aufmerksam, dass sensible (klassifizierte) Daten von ausländischen Geheimdiensten, die sich allenfalls im sichergestellten Datenbestand finden könnten, nicht der Akteneinsicht zugänglich sein sollten.“

Aber warum musste sich die WKStA Sorgen machen? Die Antwort findet sich im Verfahren gegen Egisto Ott.

„Nicht für Gerichtsakte“

Am 26. November 2017 erstatteten Beamte des Bundeskriminalamts im Fall „Ott“ ihren ersten umfassenden Bericht an den Wiener Staatsanwalt Bernd Schneider. Bei Hausdurchsuchungen im oberkärntnerischen Paternion, am BVT-Arbeitsplatz und in der Privatwohnung Otts in Wien hatten sie Datenträger und Dokumente sichergestellt.

Im „1. Zwischenbericht“ dokumentierten sie ihre Funde. Obwohl sofort klar war, dass es sich um nachrichtendienstliches Material hoher Geheimhaltungsstufen handelte, verzichtete die Staatsanwaltschaft auf Sicherungsmaßnahmen für das BVT und seine internationalen Partner.

Den Staatsanwalt beeindruckte nicht, dass zahlreiche Dokumente von ausländischen Geheimdiensten stammten und als „secret“ – „geheim“ – gekennzeichnet waren:

• ein Dokument des FBI („SECRET/RELEASE TO AUSTRIA“) über Terroristen des IS, das vom US-Justizministerium mit einem Vermerk übermittelt worden war: „Nicht für Gerichtsakte. Nur für die Handakte und polizeiliche Ermittlungszwecke“;

• zwei Dokumente des britischen Geheimdiensts MI5 („Secret“) aus „Neptune“ über die Reiserouten von IS-Terroristen. Auch der MI5 verpflichtete österreichische Behörden zur absoluten Geheimhaltung.

Auf Seite 207 des „1. Zwischenberichts“ passierte etwas, was niemand im Berner Club für möglich gehalten hatte. Die Kriminalbeamten hatten bei Ott eine Kopie des 28-seitigen Kommunikations-Handbuchs des BVT im Berner Club gefunden. Unter dem Titel „DIE INTERNATIONALE KOMMUNIKATION IM BVT ÜBER DAS KOMMUNIKATIONSZENTRUM – COMCENTER“ waren hier

-alle Codes

-die Codeworttabelle

-die Formulare zur Kommunikation

-die Dringlichkeitsstufen

-die Formen der Kommunikation

-„Handling Codes“

und „Evaluation Codes“

aufgelistet.

Wer das Handbuch hatte, wusste, wie es ging. Die Beamten des Bundeskriminalamts legten eine Kopie des Handbuchs ihrem Bericht bei. Sie findet sich bis heute im Akt und damit bei Rechtsanwälten und Journalisten.

Seit 2017 kann jeder, der Akteneinsicht im Strafverfahren gegen Egisto Ott hat, unter Ordnungsnummer 009 Einblick in geheimste Dokumente des Berner Clubs von FBI bis MI5 nehmen. Was in anderen Staaten über Spionage geht, funktioniert in Österreich über Akteneinsicht.

2019 bekam das BVT seine letzte Chance. Aber wieder wurde gezielt geleakt. Danach war das BVT tot. Die Spuren führen zur FPÖ.

Dazu mehr morgen in Sicherheitsrisiko „Kickl“ Teil 7: Soteria – die Zerstörung des BVT


Die Serie “Sicherheitsrisiko Kickl” ist ein Auszug aus dem neuen Buch von Peter Pilz: “Ostblock: Putin, Kickl und ihre ÖVP”. Hier im Zack-Shop kannst du es mit einer Widmung von Peter Pilz bestellen.

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Titelbild: Christopher Glanzl / ZackZack – Logo BVT/ Montage

Autor

  • Peter Pilz

    Peter Pilz ist Herausgeber von ZackZack.

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