In den Terrorermittlungen rund um die Taylor Swift-Konzerte spielt auch islamischer Exorzismus eine Rolle. Ein Imam aus Wien-Margareten soll derartige Dienste angeboten haben.
Gut ein Monat ist seit dem Terroralarm rund um die Konzerte von Taylor Swift nun verstrichen. Ein 19-Jähriger und ein 17-Jähriger wurden in Ternitz bzw. Wien am 7. August festgenommen – ihnen wird vorgeworfen, Anschlagspläne auf das Mega-Event geschmiedet zu haben. Diese seien nur durch das Einschreiten der Behörden durchkreuzt worden, es gilt die Unschuldsvermutung.
Im Nachklang zu den Festnahmen rückten vor allem Überwachungsbefungnisse in den politischen Mittelpunkt, auch der Radikalisierungsweg des Hauptverdächtigen ist seither Thema. Über den 19-jährigen Hauptverdächtigen Beran A. ist bekannt, dass er sich vor allem im Internet über TikTok und andere Kanäle radikalisierte. Er postete auf Instagram einen Treueschwur auf den “Islamischen Staat” und fand den Wien-Attentäter von 2020 – nicht nur optisch – “cool”. Via Telegram interessierte er sich sogar für den Erwerb von Schusswaffen.
Für Verwunderung sorgten daneben erste Medienberichte, wonach sich A. in Wien einem muslimischen Exorzismus – einer sogenannten “Ruqyah” – unterzogen haben soll, weil man laut Kurier im Freundeskreis davon ausging, dass er von Dämonen besessen sei.
Der Exorzist aus Wien-Margareten
Nach ZackZack-Recherchen soll sich die Anbahnung für ein solches Ritual im September oder Oktober 2023 ereignet haben. Über Bekannte soll Beran A. an den Imam einer Moschee in Wien-Margareten vermittelt worden sein. Der dortige, 31-jährige Geistliche soll Ruqyah-Praktiken privat angeboten und durchgeführt haben. Von dem Ritual an A. gebe es sogar ein Video, berichteten Zeugen gegenüber Ermittlern.
Die okkulte Praxis dürfte sich jedenfalls herumgesprochen- und auch entsprechende Nachfrage ausgelöst haben: Vor einigen Monaten soll der syrischstämmige Imam nämlich mit einem offiziellen Ersuchen an die Islamische Glaubensgemeinschaft (IGGÖ) herangetreten sein, um die Riten auch in offiziellem Rahmen anbieten zu können. Dies sei nach mehreren Gesprächen aber abgelehnt worden, heißt es seitens der IGGÖ gegenüber ZackZack.
Expertin: “Thema ist brisant und präsent”
Eines vorweg: Ein Verbot von Exorzismus gibt es in Österreich wie in anderen europäischen Ländern nicht. Unterschiedlich ist allerdings, wie die Glaubensgemeinschaften solche Praktiken handhaben. “Das Thema ist brisant und präsent”, sagt Religionswissenschafterin Nicole Bauer, die an der Universität Graz lehrt und sich seit Jahren intensiv mit der Exorzismen aller Art beschäftigt. Die rituelle Austreibung böser Geister gebe es seit Jahrtausenden, sowohl im Christentum als auch im Islam. Auch säkulare Anbieter, wie Energetiker, adaptieren religiöse Ideen und Praktiken und bieten laut Bauer unterschiedliche Techniken der Reinigung oder Befreiung an. Offizielle Statistiken oder Zahlen gibt es nicht.
Die katholische Kirche habe, so die Expertin, nicht zuletzt angeheizt durch den Horrorfilm-Kult der 70er Jahre bestimmte Regularien eingeführt. Seit 1999 sei etwa die direkte Ansprache eines “Dämons” aus dem offiziellen Ritual gestrichen worden. “Jeder katholischer Priester, der einen Exorzismus durchführen möchte, muss das Vorhaben dem Bischof der Diozöse melden und bewilligen lassen. Auch eine psychiatrische Abklärung ist erforderlich”, so Bauer. Im Bereich der Freikirchen oder auch im Islam würden die Praktiken immer mehr Anklang finden, meint die Expertin – dort seien die Riten aber wenig bis gar nicht geregelt.
Dschinns und Spülungen
Das berge Risiken: “Es gibt Menschen mit psychiatrischen Erkrankungen – etwa paranoider Schizophrenie – die denken, sie seien von Dämonen besessen. Dabei bräuchten sie medizinische oder psychotherapeutische Hilfe.” Solche Menschen laufen auch Gefahr, sich von der Autorität eines vermeintlichen Heilers völlig abhängig zu machen. Immer wieder wurden medial auch einzelne Fälle bekannt, bei denen Menschen im Zuge von Ritualen verletzt, sexuell missbraucht oder sogar getötet werden, wie der Fall einer Koreanerin 2015 in Frankfurt zeigte. Im Islam glaube man an sogenannte “Dschinns” – also Geister – die mittels Rezitation bestimmter Verse ausgetrieben würden. Auch der Einsatz von Wasser oder Spülungen sei üblich, da man glaube, die Dschinns seien aus dem Feuer entstanden.
So bizarr diese Praktiken anmuten, laut Bauer seien längst nicht alle Betroffenen psychisch krank, sondern oft schlichtweg streng religiös oder kulturell geprägt. Die Expertin plädiert auch dafür, die Praktiken nicht per se “zu verteufeln” sondern zu kontrollieren und zu kommunizieren. “Das Thema braucht mehr Offenheit und Austausch innerhalb der Religionsgemeinschaften aber unbedingt auch den institutionellen Austausch mit Medizinern und Psychologen. Man kann Menschen nicht vorschreiben, woran sie zu glauben haben oder es gar verbieten.”
IGGÖ: “Von uns aus nicht erlaubt”
Seitens der Islamischen Glaubensgemeinschaft versucht man in der Angelegenheit zu kalmieren: “Ruqyah-Rituale werden in der Regel privat von Einzelpersonen oder kleinen, informellen Gruppen praktiziert und sind nicht in den offiziellen Moscheebetrieb integriert. Wenn es solche Ansuchen in Moscheen gibt, wollen wir darüber informiert werden – erlaubt wird das von uns aber nicht”, meint Sprecherin Valerie Mussa gegenüber ZackZack. “Rituale wie die Ruqyah dürfen unter keinen Umständen als Ersatz für medizinische oder psychologische Behandlungen betrachtet werden. In der katholischen Kirche werden solche Riten entsprechend begleitet. Wir können so etwas derzeit nicht gewährleisten, weshalb wir es ablehnen.”
Das war nicht immer so: Noch vor einigen Jahren machte der ägyptischstämmige Heiler Sheikh Mohammed Faraq von sich Reden, der in Wien etwa Massenexorzismen durchführte, wie die Zeitung Biber 2012 berichtete. Seit Faraqs Tod habe man laut IGGÖ weitere, offizielle Ersuchen – neben dem Margaretner Exorzisten habe es nur ein zweites gegeben – aber nicht gestattet, so die IGGÖ. Zum Fall eines Rituals an Beran A. habe man bislang keine Informationen gehabt, man prüfe die Angelegenheit.
Dass Exorzismus mitunter auf Extremismus treffen kann, weiß man auch seitens des Vereins Derad, der sich um Deradikalisierung in und außerhalb von Gefängnissen kümmert: “Wir betreuen Klienten, die überzeugt sind, von einem Dschinn besessen zu sein, bei denen aber in Wahrheit Schizophrenie diagnostiziert wurde”, so Leiter Moussa Al-Hassan Diaw. Ob auch Beran A. unter diese Kategorie fallen wird, bleibt abzuwarten. Wie ZackZack vorliegende Unterlagen zeigen, soll der 19-Jährige laut eigenen Angaben missbräuchlich Lyrica bzw. Pregabalin – ein Wirkstoff gegen Angststörungen – konsumiert haben, welches er am Schwarzmarkt über Bekannte bezog. Die Staatsanwaltschaft Wien gab kürzlich ein psychiatrisches Gutachten in Auftrag.
Titelbild: HERBERT NEUBAUER / APA / picturedesk.com