Samstag, Oktober 12, 2024

Für die Demokratie

Die kommenden Nationalratswahlen sind eine Chance für das Aufbegehren der Demokratie und ihrer Anhänger. Auf Medien und Meinungsforschungsinstitute dürfen wir nicht hören. Sie verleiten zu Taktik statt zu Überzeugung. Sie proklamieren Abgrenzung statt Positionierung.

Man kann den Umfragen glauben oder nicht. Oder aber, man ist ein Mensch mit Überzeugungen: Dann braucht man keine Umfragen. Meinungsumfragen sind ein Schreckgespenst der oligarchischen Pseudodemokratie. Wir wissen, was Karmasin, Beinschab und andere getrieben haben. Wir kennen die politische Ausrichtung jedes Meinungsforschungsinstituts. Und doch hämmern uns die Medien jeden Tag Umfragen, die auf einer sehr geringen Anzahl von Befragungen basieren (die der Durchschnittsleser gar nicht beachtet), als Wirklichkeit in den Kopf.

Man nehme derstandard.at, wo seit vielen Wochen auf der Startseite unter Umfragetracker folgende Prognose der Nationalratswahl steht: FPÖ 27 %, ÖVP 24 %, SPÖ 21 %. Am 30. September wird man das wegräumen müssen, weil es nicht stimmen wird und nie gestimmt haben wird. Aber egal. In Wahrheit steht dort als Werbung mit folgender Pull-Strategie: »Geht und wählt ÖVP, damit die FPÖ mit Kickl nicht Erster wird; die SPÖ hat ohnehin keine Chance.«

False Balance

Freilich passt das nicht zu der Realität, die die Ergebnisse der letzten Landtagswahlen brachten: Die FPÖ war in Umfragen jedesmal überschätzt. Die SPÖ hat besser abgeschnitten. ÖVP-Faktoten wie Tursky sind untergegangen. Dennoch ist der Name Kickl viel häufiger in Schlagzeilen und Artikeln zu finden als der Name Nehammer. Dennoch ist der Name Babler viel seltener zu lesen, als er zu lesen sein müsste, wenn die 21 prognostizierten Prozent stimmten. Die false balance, die uns hier angeboten wird, gehört zum Endspurt eines Wahlkampfs: Man stellt sich schwach dar, um zu mobilisieren.

Verblendung sollen da jüngste Vorkommnisse schaffen: Das Hochwasser. Schäden durch das Hochwasser betreffen fast ausschließlich Menschen, die 2002, 2013 und auch heute in einem Bundesland mit einer ÖVP-geführten Landesregierung leben und lebten. In allen drei Hochwasserjahren war die ÖVP in der Bundesregierung, in zwei von drei dieser Regierungen stellte sie den Bundeskanzler. Karl Nehammer mag sagen was er will und er kann zu Hochwassergipfeln reisen. Faktum ist: Seine Partei hat nichts getan, um aus der Vergangenheit zu lernen. Seine Partei plakatiert –  sogar zum Ärger eigener Anhänger – die völlige Weigerung einzusehen. Sie kennt keine Alternative zu einer fossilen, ökologiefeindlichen Gesellschaft und ist dafür bereit sogar Politikerinnen ihres Koalitionspartners zu verklagen. Hier ist die ÖVP ganz FPÖ geworden. Warum aber sollte ein Diesel-Fetischist ÖVP wählen und nicht gleich FPÖ?

Abhanden gekommen

Darauf hat die ÖVP auch keine Antwort, außer: Kickl hat sich radikalisiert. Die Orientierungslosigkeit, die rechts der Mitte ausgebrochen ist, ist nicht ohne Grund ausgebrochen: Ihre eigenen Ziele sind den Konservativen abhanden gekommen. Ab 1945 wollten sie ein Bollwerk gegen den Kommunismus bilden. Sie betonten Demokratie und freien Wettbewerb. Heute sind sie gegen beides. Ihr Ziel war einst ein schlanker Staat und ein ausgeglichener Haushalt mit geringer Inflation. Heute stehen wir in Österreich mit dem aufgeblähtesten Regierungsapparat da, der eine hohe Verschuldung und eine gigatische, für viele existenzbedrohende Teuerung schulterzuckend hinnimmt.

Nicht viel anders ist es noch weiter rechts. Herbert Kickl hat – vergleicht man ihn mit seinen Vorgängern Haider und Strache – einen ruhigen und bemerkenswert unbemerkenswerten Wahlkampf abgeliefert. Seine Broschüren versprechen Dinge, die er im Fall einer Regierungsbeteiligung ohnehin nicht halten wird (wie anno 2018 die verpflichtende Volksabstimmung über CETA und das Nein zum Sicherheitspaket) und andere Punkte, die sich auch bei anderen Parteien finden und zu denen er keine Experten und Expertisen hat. Kickl steht alleine da. Auch das hat seinen Grund: Er fürchtet Parteigenossen wie Haimbuchner. Er hat erlebt, wie Haider Strache klein halten wollte. Kickl ist ersetzbar wie seine Vorgänger. Und in zehn Jahren wird kaum jemand mehr wissen, wer Herbert Kickl war.

Bierdunst und Babler-Bashing

Die Argumentationen der Verzweiflung laufen ins Leere, weil sie sich selbst andauernd widersprechen. Versuchte man noch vor Monaten Wlazny und seinen Bierdunst als Parlamentspartei zu feiern, so muss man nun doch erkennen, dass es weder erkennbaren Inhalt noch Personal in der Bierpartei gibt. Auch eine Auswirkung der Landtagswahlerfolge der KPÖ in der Steiermark und Salzburg wird ausbleiben.

Bleibt die Frage, warum man die SPÖ und Andreas Babler gar so gerne basht. Auch das ist klar. Und andererseits ist es angesichts der Berichte der letzten Jahre eigentlich völlig unklar. Da gab es Werner Faymann – er war den Medien zu technokratisch und nicht sozialdemokratisch genug. Dann kam Christian Kern – er war den Medien zu arrogant und nicht sozialdemokratisch genug. Dann kam Pamela Rendi-Wagner – sie hatte immer das falsche Sakko an, aß zu wenig Schnitzel und war nicht sozialdemokratisch genug. Jetzt gibt es sozialdemokratische Inhalte: 32-Stunden Woche. Verteilungsgerechtigkeit. Angebote an die Grünen, die diese von der ÖVP nie bekamen: Tempo 100 und Tempo 30. Angebote an die NEOS, die diese nie hatten: Saubere Politik, Bildung über alles.

Erosion der Medien

Ich glaube nicht, dass die Menschen in diesem Land nicht erkennen, was hier los ist. Das Volk ist nicht tümlich. Ich glaube nur, dass die Erosion der Medien und die Enttäuschung der berechtigten Erwartung, dass sie vielstimmig und frei berichten, schweigend hingenommen wird. Ich nehme sie nicht hin. Ich schreibe hier und ich kann, was ich hier schreibe, nirgendwo sonst schreiben.

Ich verstehe keinen konservativen Redakteur, der nicht als erstes daran denkt, liberale und progressive Stimmen in sein Medium zu bringen. Ich verstehe keinen liberalen Redakteur, der nicht als erstes daran denkt, konservative und progressive Stimmen in sein Medium zu bringen. Und ich verstehe keinen progressiven Redakteur, der nicht als erstes daran denkt, liberale und konservative Stimmen in sein Medium zu bringen.

Für die Demokratie

An all dem fehlt es uns in diesem Land. Und wir hatten es schon einmal. Das ist das Bittere. Die Politik auf der rechten Seite des Spektrums ist zu recht verzweifelt. Sie kämpft gegen ihren Untergang, um Dominanz, Machterhalt und Hegemonie und hat alle ihre grundsätzlichen Ansinnen aus den Augen verloren.

In zehn Tagen können wir einen neuen Nationalrat wählen. Es ist eine Chance, die Demokratie sprechen zu lassen, vielleicht eine der letzten Chancen, die Demokratie sprechen zu lassen, bevor die fast schon weltumspannende Oligarchie auch unserer Demokratie den Garaus macht. Und es gibt noch welche, die für die Demokratie sind.

Autor

  • Daniel Wisser

    Daniel Wisser ist preisgekrönter Autor von Romanen und Kurzgeschichten. Scharf und genau beschreibt er, wie ein Land das Gleichgewicht verliert.

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