Samstag, November 2, 2024

Grüne nach der Wahl: Bröselpartei oder Neustart

Die Grünen reden sich die Niederlage schön und wollen nur eines: weitermachen. Damit drohen sie, zur Bröselpartei zu werden.

Aus dem Dienstwagen, in die Sitzung und dort beraten, ob man demnächst wieder zu Fuß unterwegs ist – das ist der neue und herausfordernde Alltag der Spitzen der grünen Partei. Nur eines steht derzeit fest: Freiwillig steigen Kogler, Zadić und Gewessler nicht aus.

Jeden Tag steht Werner Kogler in der Wiener Lichtenfelsgasse vor der Zentrale der ÖVP. Er will hinein, weil er weitermachen will, nicht als Vizekanzler, aber als Minister für das, was ÖVP und SPÖ ihm lassen.

Persönlich wird das in der ÖVP nicht unfreundlich aufgenommen. Eine unübliche Harmonie zwischen Kogler und Nehammer an der Spitze der Regierung und eine tiefe Zuneigung zwischen Maurer und Wöginger an den Spitzen der Klubs haben aus politischen Abgründen zwischen Grünen und Volkspartei Einbahnstraßen zur ÖVP gemacht.

Ohne Rückblick

Nach der Wahlniederlage verweigern die Grünen jetzt den Rückblick. Wie Johannes Rauch in der ZiB 2 wollen sie nicht über verpasste Chancen, unnötige Unterwerfungen und Lena Schilling reden. Schuld an ihrer Niederlage war der schlechte Verkauf ihrer guten Politik. So haben das früher nach ihren Niederlagen immer die anderen gesehen.

Wer seine Fehler nicht kennt, kann nicht aus ihnen lernen. Heute treffen sich beim Erweiterten Bundesvorstand die Bundes- und Länderspitzen der Grünen. Wollen sie wissen

  • warum sie nach dem Jahrhunderthochwasser, das erstmals von einer großen Mehrheit als Folge des Klimawandels verstanden wurde, als Klimapartei nichts gewonnen haben?
  • warum man sie nicht als Reformpartei, sondern als Verbotspartei wahrnimmt?
  • warum man ihnen keine Antworten auf die Probleme mit Einwanderung und Integration zutraut?
  • warum man sie für abgehoben hält?
  • wie sehr ihnen ihr Umgang mit der Affäre „Schilling“ geschadet hat?
  • und warum so viele von ihnen einfach nur enttäuscht sind?

Bis jetzt lautet die Antwort: Nein, sie wollen es nicht wissen. Sie trösten sich mit der neuen Bauernregel „Wer regiert, verliert“ – kann man nichts machen, also machen wir weiter, wenn uns Nehammer noch einmal nimmt, verlieren wir zwar weiter, aber vielleicht können wir uns besser verkaufen.

Nach dem Anstand scheint die Grünen auch ihr zweites Hauptkapital verlassen zu haben: kritischer Verstand. Der würde ihnen sagen, dass es Lösungen gibt.

Strafende Ökologie

Die Zeit der strafenden Ökologie ist vorbei. Jetzt, wo der Klimawandel als Katastrophenkette Menschen bedroht, werden die vielen kleinen Klimasünder zu Opfern. Sie erwarten Hilfe und Schutz. Das wird Milliarden kosten und schnell zur Frage führen, wer das bezahlt. Schützende Grüne können dann klar machen, dass große Verursacher und Reiche als Erste zahlen müssen.

Aber zuvor müssen sich Grüne um den zweiten Schutz kümmern: den vor den wachsenden Problemen mit Ausländern, vor allem in den Schulen, aber nicht nur dort. „Wir haben unser Leben lang gearbeitet, und die kriegen Kinder und dafür so viel Geld, wie wir nie gesehen haben.“ Das ist einer von vielen Sätzen, auf die Grüne keine einzige überzeugende Antwort bieten.

In einer Zeit der Bedrohungen heißen die beiden Schlüssel zu Mehrheiten „Schutz“ und „Sicherheit“. Wer das nicht versteht, ist „abgehoben“.

Anstand und Regierung

Saubere Umwelt und saubere Politik, das waren die beiden Gründe, für die Grüne früher gewählt wurden. Mit Lena Schilling ist es ihrer Erfinderin Sigi Maurer gelungen, den Anstand weit abseits aller Regierungsgeschäfte in die Flucht zu schlagen. Aber ohne Anstand geht es für Grüne nicht. Bis zum Schluss haben ihre Abgeordneten in Untersuchungsausschüssen das alte, gute Gesicht der Grünen gezeigt.

Wie geht das in der kommenden Regierung? Eines ist klar: Die Grünen wären diesmal nicht das vierte Rad am Wagen, sondern das Reserverad im Kofferraum. ÖVP und SPÖ haben eine Mehrheit, für die Grüne oder NEOS bloß die Absicherung liefern sollen. Das macht beide Parteien billig.

Im Alltag der neuen Regierung würde das, was Türkis und Rot ausgehandelt hätten, zum Vollzug bei den Grünen landen. Dafür bekämen sie keinen Teil vom Kuchen, sondern die Brösel.

Neue Führung

Kogler, Maurer und Zadić scheinen bereit, aus den Grünen eine Bröselpartei zu machen. Aber wozu? Vieles spricht dafür, dass die große politische Weichenstellung erst nach dem FPÖ-Triumph in der Steiermark folgt. Niemand weiß, welche der beiden Rechtsparteien zuerst Nerven zeigt. Bekommt zuerst der Anti-Kickl-Damm der ÖVP Risse – oder wird der FPÖ-Drang zum Futtertrog so stark, dass die Herde Kickl wegschiebt?

Wir werden es bald wissen. Vielleicht wissen die Grünen dann, was sie tun. Wenn sie ihre neue Politik bestimmt haben, brauchen sie eine neue Führung. Das ist kein Geheimnis. Werner Kogler könnte sich ein letztes großes Verdienst um seine seine Partei erwerben, wenn er das alles möglich macht.


Titelbild: TOBIAS STEINMAURER / APA / picturedesk.com

Autor

  • Peter Pilz

    Peter Pilz ist Herausgeber von ZackZack.

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