Schreddergate:
Im Mai 2019 vernichtete Arno Melicharek, der Social Media-Chef von Bundeskanzler Kurz, fünf Festplatten des Bundeskanzleramtes unter falschem Namen. Als Beschuldigter gesteht er: „Befragt zum Namen „Walter Maisinger“ gab Hr. MELICHAREK an, dass er diesen frei erfundenen Namen verwendet habe, um keine Rückschlüsse auf das Kabinett BLÜMEL bzw. die Regierung KURZ zuzulassen.“ ZackZack zeigt, wie die Schredder-Aktion von den Kabinetten „Kurz“ und „Blümel“ gesteuert wurde. Jetzt führt die Spur zum ersten Mal direkt zu Sebastian Kurz.
Am 18. Juli 2019 finden die Beamten der SOKO Ibiza Arno Melicharek, den Social Media-Chef von Bundeskanzler Kurz, an seinem Arbeitsplatz in der Zentrale der ÖVP. Stolz halten sie fest:
Arno Melicharek ist aufgeflogen. Er hat unter falschem Namen fünf Festplatten des Bundeskanzleramts geschreddert. Die Beamten kommen zu ihm in die ÖVP-Zentrale. Dort stimmt er einer „freiwilligen Nachschau“ in seiner Wohnung zu. Die kurze Nachschau ist nach 25 Minuten beendet.
Der SOKO-Beamte erwähnt nicht, dass ihm Melicharek das entscheidende Beweismittel – sein Handy – selbst in die Hand gedrückt hat. Zum späteren Entsetzen der WKStA gibt Niko R. das Handy Melicharek sofort wieder zurück.
Dann beginnt ein SOKO-Ermittler Melicharek zu befragen. Der Beamte will wissen, warum Melicharek beim Festplatten-Schreddern in der Firma Reisswolf einen falschen Namen verwendet hat. Genau da passiert es: In seiner überraschenden Antwort belastet der Kurz-Mitarbeiter ein erstes Mal seinen Chef, Bundeskanzler Sebastian Kurz:
Kurz-Mann Melicharek weiß nicht nur, dass er die Festplatten für Kurz und Blümel vernichtet – er weiß auch, dass keine Spuren zu den beiden führen dürfen.
Wochenlang wird jetzt der ÖVP-Putztrupp von SOKO bis OStA aufräumen. Aufträge, das Melicharek-Handy sicherzustellen, werden ignoriert. Bernd Pichlmayer, der in den Kabinetten von Kurz und Blümel die Schredder-Aktion steuert, wird nicht verfolgt. Und als die WKStA trotz allem nicht aufgibt, entzieht ihr am 1. August Johann Fuchs als Leiter den Oberstaatsanwaltschaft Wien den Fall.
So lief die Aktion im Bundeskanzleramt
Am 23. Mai 2019 sitzt Bernd Pichlmayer bei den IKT-Verantwortlichen des Bundeskanzleramtes. Im Innenministerium übernimmt gerade die SOKO Ibiza die Kontrolle über die Ermittlungen. Sie wird sie gegen die FPÖ und weg von der ÖVP lenken.
Bernd Pichlmayer hat eine heikle Aufgabe: Er ist IT-Koordinator und Sicherheitsbeauftragter der Kabinette Kurz und Blümel. Jetzt soll er für den Kanzler und seinen Kanzlkeramtsminister für eine sichere Vernichtung von Datenspuren im Bundeskanzleramt sorgen. Pichlmayer soll sich um die Festplatten in fünf Druckern kümmern. Sie stehen in den Kabinetten von Kurz und Blümel. Nur Kurz, Blümel und ihre Kabinette haben Zugang zu den Geräten.
Gleich zu Beginn der Sitzung erörtert Pichlmayer die „Datensensibilität“. Kurz und Blümel können Daten und Dokumente gezielt auf Laptops und vergleichbaren Geräten löschen. Nur bei einem Gerätetyp geht das nicht: auf „Multifunktionsgeräten“, auf denen sich nur temporäre Dateien befinden. „Sohin wäre z.B. ein für forensische Zwecke geeignetes Löschen durch Benutzerinnen oder Benutzer nicht möglich“.
Die Drucker sind Multifunktionsgeräte. In der ÖVP ist man überzeugt, dass bereits einmal belastendes Material über einen Drucker den Weg in eine Zeitung gefunden hat: So hatte 2017 das geheime Strategiepapier “Projekt Ballhausplatz” seinen Weg an die Öffentlichkeit gefunden.
Daher gibt Pichlmayer dem IKT-Chef des Bundeskanzleramts, Gruppenleiter I/C MinRat Erich A., eine erste Anweisung:
Der Ministerialrat wählt die übliche Vorgangsweise. Er lässt die fünf gewünschten Festplatten von Mitarbeitern der Firma Ricoh, die die Drucker an das Amt verleast haben, ausbauen. Bevor die Festplatten an die zuständigen Beamten zur Vernichtung im ZAS, dem Zentralen Ausweichsystem, übergeben werden können, erteilt Pichlmayer die zweite Anweisung:
Pichlmayer hat jetzt selbst die Festplatten. Gruppenleiter A. wird vom Kurz/Blümel-Kabinett völlig überrascht:
Als der IKT-Gruppenleiter von der Kabinettsaktion erfährt, versucht er drei Mal Pichlmayer anzurufen. Der Kurz/Blümel-Mann ruft „zeitversetzt“ zurück und teilt dem besorgten Beamten mit, dass er die Vernichtung selbst organisieren würde. Auf die standardisierte Begleitung durch Sicherheitskräfte des Bundeskanzleramts verzichtet Pichlmayer – keine Zeit.
IKT-Gruppenleiter A. fordert Pichlmayer „unter Hinweis auf mögliche Risken durch eine Abweichung vom Standardprozess“ ein letztes Mal auf, die Vernichtung den Experten des Bundeskanzleramtes zu überlassen.
Aber während die Beamten noch um eine sorgsame und gesetzeskonforme Vorgangsweise kämpfen, bereitet Arno Melicharek, der Social Media-Chef von Bundeskanzler Kurz, bereits unter falschem Namen die Vernichtung der Festplatten unter ÖVP-Kontrolle vor.
Die Beamten sind ratlos. Sie wissen nicht, warum Melicharek sie ausgebootet hat. Aber Melicharek wird erwischt und ist plötzlich Beschuldigter in einem Strafverfahren, das die WKStA wegen des Verdachts der Unterdrückung eines Beweismittels gegen ihn eingeleitet hat.
Schon in seiner ersten Befragung gibt er den entscheidenden Hinweis: Melicharek gesteht, dass er alle Spuren zu Kurz und Blümel verwischen sollte.
Feuer am Dach
Mit dieser Aussage ist plötzlich Feuer am türkisen Dach. Wenn es den Ermittlern jetzt gelingt, die Spur von Melicharek über Pichlmayer und Blümel bis zu Kurz weiterzuverfolgen, kann das alles gefährden, was Kurz und Blümel bisher gemeinsam aufgebaut haben.
In dieser Situation erteilt Johann Fuchs als Leiter der Oberstaatsanwaltschaft Wien am 1. August 2019 eine Weisung – und der WKStA wird das Schredder-Verfahren abgenommen – ZackZack berichtete.
Wie Arno Melicharek ist auch Bernd Pichlmayer selbst befördert worden. Er sitzt jetzt im Kabinett von Bundeskanzler Kurz.
Bild: Screenshot BKA
(red)
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