Montag, Oktober 7, 2024

Wien und Berlin setzen auf Firmen im Wirecard-Dunstkreis

Hochsensible Cybergeschäfte:

Die Cybersecurity von Regierungen ist eine Frage von nationalem Interesse. In welchem Umfang Österreich und Deutschland auf Firmen mit Bezug zu Wirecard setzen, ist deshalb brisant. Berlin muss sich jetzt mit der Firma von ÖVP-Investor Schütz beschäftigen.

Benjamin Weiser

Berlin/München/Wien, 15. September 2021 | Jänner 2020 in Wien: Cyberangriff auf das österreichische Außenministerium (BMEIA), erst nach Monaten gibt das Haus von Alexander Schallenberg (ÖVP) „Entwarnung“. Zuständig für die Internetsicherheit der Botschaften ist zu dieser Zeit unter anderem die Cyan AG von Kurz-Finanzier Alexander Schütz. Sie hat Wirecard-Bezug. 2016 in Berlin: Nach den Spionage-Attacken auf Angela Merkels Handy wächst das Verlangen nach mehr IT-Sicherheit. Den Zuschlag für das neue sichere Phone der Kanzlerin soll die Firma Virtual Solution bekommen. Jahre später taucht auch sie im Umfeld von Wirecard auf. Zu einer produktiven Installation beim Merkel-Handy kam es der Firma zufolge nicht. Jedoch hätten rund 45 deutsche Bundesbehörden den SecurePIM, der Kommunikation absichert, im Einsatz.

Die Linken wollen jetzt von der Großen Koalition in Berlin wissen, wie intensiv der Austausch der deutschen Bundesregierung mit Cyberfirmen im Dunstkreis des insolventen Zahlungsdienstleisters Wirecard war bzw. ist. Und: welche Kontakte gab es nach Österreich?

Merkel-Regierung drückt sich vor Beantwortung

Den Anstoß für die Anfrage hat unter anderem ein ZackZack-Bericht über das Cyan-Geschäft mit dem österreichischen Außenministerium (BMEIA) gegeben. Das BMEIA bezieht von einer Wiener Cyan-Tochter seit Jahren einen Sicherheits-Gateway. Für NEOS-Außenpolitiksprecher Helmut Brandstätter besonders heikel, “und zwar spätestens, seit wir wissen, dass es Cyberangriffe auf das Außenministerium gab.” Der Schütz-Konzern will mit dem Angriff nichts zu tun haben, doch dazu später mehr.

Während die NEOS ihre Fragen an Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) richteten, schicken die Linken ihre Fragen jetzt an die deutsche Bundesregierung. Eine erste Anfrage an das CSU-geführte Innenministerium (BMI) wurde inhaltlich nicht beantwortet, auch ein Angebot zur Fristverlängerung wurde ausgeschlagen. Eine verlängerte Frist gebe es laut BMI nur bei “Kleinen Anfragen”. Die liegt jetzt vor. Ob sie noch vor der Bundestagswahl beantwortet wird, ist fraglich.

Hochsensible Cyber-Geschäfte

In der Anfrage heißt es wörtlich: “1. Hatten die Bundesregierung oder ihr nachgeordnete Sicherheitsbehörden in dieser Legislaturperiode Kontakt zu Herrn Alexander Schütz von der Cyan AG, zu anderen Vertretern der Cyan AG oder zu Vertretern der Brainloop AG (…)?”

Auch die Brainloop AG, die mit sicheren Speichern für hochsensible Daten wirbt, hat Wirecard-Bezug. Es geht um Brainloop-Vorstand Ulf Gartzke, einen ehemaligen Mitarbeiter der CSU-nahen Hanns-Seidel-Stiftung. Er soll sich mit Ex-CSU-Hoffnung Karl Theodor zu Guttenberg für Wirecard in China stark gemacht haben. Und zwar nicht nur im Rahmen von Guttenbergs Beraterfirma Spitzberg Partners, sondern auch mit Unterstützung der Großen Koalition, so die Linken.

Fahndungsfoto von Jan Marsalek, der bei Wirecard auch Geschäfte mit Cyberfirmen anbahnte. Der deutsche Geheimdienst BND vermutet ihn in der Nähe von Moskau, andere Quellen bezweifeln das. Foto: PP München.

Die zweite Frage richtet sich indirekt auch an die Regierung von Sebastian Kurz (ÖVP). Es geht um die Virtual Solution AG. Sie vertreibt Sicherheitslösungen für Behörden. Hauptgesellschafter Nicolaus von Rintelen soll enge Kontakte zum flüchtigen Ex-Wirecard-Vorstand Jan Marsalek gepflegt haben, heißt es in der Anfrage. Die Firma sichere “die Kommunikation der Bundesregierung sowie VS-Verschlusssachen einschließlich des Handys der Kanzlerin sowie ministerielle E-Mails” ab. Virtual Solution legt wert auf die Feststellung, dass die Firma das Handy der Kanzlerin nicht absichere, obwohl es Gespräche mit dem Kanzleramt gegeben habe.

Bereits im April hatte Linken-Politiker Fabio De Masi Kanzlerin Merkel gewarnt: Ihre Regierung müsse sicherstellen, dass es kein Sicherheitsrisiko gebe. Die Vertrauenswürdigkeit der Anbieter müsse deshalb überprüft werden.

Kontaktanbahnung aus Österreich bestätigt

Von Merkel will seine Fraktion auch wissen, ob sich die Republik Österreich für die Firma interessierte: “Haben sich Vertreter der österreichischen Regierung oder von österreichischen Behörden seit 2015 mit Bezug auf die Firma Virtual Solution an die Bundesregierung gewandt (…)?” Die Antwort ist: Ja. Virtual Solution sagt gegenüber ZackZack: “Es gab aus Österreich eine Anfrage an eine deutsche Bundesbehörde zu SecurePIM (Kommunikationslösung für nationale Verschlusssachen, Anm.). Die deutsche Bundesbehörde hat dann weitere Auskünfte zu SecurePIM im internationalen Einsatz bei Virtual Solution eingeholt.”

Ein hochrangiger Manager betont dabei auch die Wichtigkeit des eigenen Geschäfts: Die EU empfehle ihren Mitgliedstaaten, europäische Sicherheitslösungen einzusetzen. “Wir sind das einzige deutsche und europäische Unternehmen, das sichere Containertechnologie für Smartphones und Tablets international anbietet. Unsere sichere mobile Kommunikationslösung wird u.a. auch in Norwegen und Schweden von Behörden eingesetzt”, so der Manager. Gegenwärtig gebe es keine Geschäftsbeziehungen mit der Republik Österreich. Allerdings habe es “Ende 2019 zwei Termine mit einer österreichischen Bundesbehörde” gegeben. “Es folgten keine weiteren Gespräche”, so Virtual Solution gegenüber ZackZack.

Auch Geheimdienst-Aspekte im Fokus

In der Anfrage an die Bundesregierung wollen die Linken auch geheimdienstliche Aspekte der Wirecard-Affäre durchleuchten. So dreht sich Frage 6 um das Unternehmen Wire, das ebenfalls am Markt für IT-Sicherheitslösungen tätig ist: “Nutzt die Bundesregierung die Dienste des Unternehmens Wire und liegen der Bundesregierung Erkenntnisse vor, wonach dieses Unternehmen mit ausländischen Nachrichtendiensten zusammenarbeitet?”

Außerdem will die Linksfraktion wissen, welche Sicherheitsbehörden des Bundes in der laufenden Legislaturperiode sich mit Bayerns CSU-Innenminister Joachim Hermann austauschten – und bei welchen dieser Kontakte es um Probleme in der Zusammenarbeit mit österreichischen Sicherheitsbehörden ging. Dem deutschen Generalbundesanwalt lagen bereits 2020 Anhaltspunkte vor, dass Jan Marsalek vom österreichischen Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) als V-Mann geführt worden sei. Das BVT bestritt das damals umgehend. ZackZack wird noch in diesem Jahr eine Dokumentation über die Hintergründe von Marsaleks Flucht veröffentlichen.

Cyan will Anleger beruhigen und droht mit rechtlichen Schritten

Für Schütz‘ Konzern Cyan sind es jedenfalls turbulente Zeiten. Die Münchener waren den Wirecard-Insolvenzverwaltern wegen eines Beratervertrags aufgefallen, wie das “Handelsblatt” berichtete. Geld soll nach Angaben von Cyan nicht geflossen sein. Einem Anwaltsschreiben zufolge stimmt das nicht. Demnach sollen “bisherigen Zahlungen” von Marsaleks Assistentin freigegeben worden seien, so das Blatt. Marsalek selbst soll laut dem Bericht in die Geschäftsanbahnung involviert gewesen sein. ZackZack konnte in Erfahrung bringen, dass es Untersuchungen der deutschen Finanzaufsicht BaFin wegen möglicher Marktmanipulation gegen die Cyan AG von Schütz gibt. Der BaFin zufolge dauern diese an.

In einem User-Forum von “Börsennews.de” (Stand 13.09.) wird der ZackZack-Artikel über das Cyan-Geschäft mit dem BMEIA heiß diskutiert. Ein User will mit dem Konzern Kontakt aufgenommen haben. Cyan wisse demnach nichts von BaFin-Untersuchungen – was wenig verwunderlich wäre. Auch hätten die “haltlosen Anschuldigungen unsere Aktionäre verunsichert”, weshalb man rechtliche Schritte prüfe, heißt es. Den Staatsauftrag des BMEIA räumt man der Stellungnahme zufolge ein, es handle sich aber um ein geringes Auftragsvolumen. Das hatte der Konzern aber schon auf ZackZack-Anfrage erklärt. Außerdem sei man nicht für die kritische Infrastruktur der österreichischen Botschaften verantwortlich, sondern für die Internetsicherheit der Botschaftsmitarbeiter. Betont wird: “Unsere Lösung steht in keinem Zusammenhang mit der Hacking-Attacke im vergangenen Jahr”, so Cyans mutmaßliche Antwort an den “Börsennews.de”-Forenuser.

Schütz wurde in der Wirecard-Affäre bekannt, weil er seinem Freund Markus Braun (auch ÖVP-Großspender, inhaftierter Ex-Wirecard-CEO) geschrieben hatte: “Habe übrigens 3x Wirecard-Aktien gekauft letzte Woche, macht diese Zeitung fertig!! ;-)”. Foto: APA Picturedesk.

Kurz-Finanzier Schütz ist Cyans Hauptaktionär und Chef des Aufsichtsrates, dem jetzt auch Ex-US-Botschafter Trevor Traina angehört. Aus Sicherheitsperspektive nicht uninteressant, auch weil Traina ein enger Vertrauter Donald Trumps ist. Vor seiner Botschafter-Tätigkeit hatte Traina den erfolgreichen ersten Wahlkampf des rechtspopulistischen Präsidenten finanziell unterstützt. Im Zuge der US-Wahlen 2020 befeuerte er dann Trumps Verschwörungstheorien rund um einen möglichen Wahlbetrug in den USA. Nach der Wahlniederlage musste Traina seinen Posten in Wien räumen.

Lesen Sie hier, wie eng Traina mit ÖVP-Kreisen und der Wirecard-Spitze war.

Hier geht’s zur Kleinen Anfrage der Linksfraktion.

Update 15.09.2021 um 13:24 Uhr: Ulf Gartzke von der Brainloop AG machte sich zusammen mit Karl Theodor zu Guttenberg für Wirecard in China stark. Er wurde dabei von der Bundesregierung unterstützt (nicht beauftragt).

Update 16.09.2021 um 09:53 Uhr: Virtual Solution legt wert auf die Feststellung, dass die Firma das Handy der deutschen Kanzlerin nicht absichere. Es habe Gespräche mit dem Kanzleramt gegeben, aber keine produktive Installation der Kommunikationslösung. Der SecurePIM sei aber bei rund 45 Bundesbehörden im Einsatz.

Titelbild: APA Picturedesk

Autor

  • Ben Weiser

    Ist Investigativreporter und leitet die Redaktion. Recherche-Leitsatz: „Follow the money“. @BenWeiser4

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