Gewaltschutz
Die Regierung stampfte 2019 eine Frauenschutz-App ein, diese Woche präsentierte sie eine ähnliche Idee und erntete prompt Kritik. Darüber, dass Frauen vor Gewalt geschützt werden müssen ist man sich einig – bei den Vorstellungen darüber, wie das passieren soll, aber nicht.
Wien, 11. Februar 2022 | Am Mittwoch präsentierten Innenminister Gerhard Karner (ÖVP), Justizministerin Alma Zadić (Grüne) und Frauenministerin Susanne Raab (ÖVP) neue Maßnahmen gegen Gewalt an Frauen, darunter auch ein “Stiller Notruf” für das Smartphone. Damit sollen Frauen, die von Gewalt betroffen sind, ab 1. März per Knopfdruck, also ohne zusätzliches Telefonat, die Polizei rufen können. Frauenschutzorganisationen übten heftige Kritik.
So neu ist die Maßnahme außerdem nicht. Von 2013 bis 2019 gab es in Österreich schon einmal eine App für von Gewalt betroffene Frauen, mit dem Namen “fem:HELP”. Sie wurde unter der damaligen Frauenministerin Gabriele Heinisch-Hosek (SPÖ) veröffentlicht und in enger Zusammenarbeit mit Frauenschutzorganisationen aus allen Bundesländern entwickelt. Unter der späteren Frauenministerin Juliane Bogner-Strauß (ÖVP) wurde die App 2019 eingestellt, ausgerechnet am internationalen Frauentag. Heinisch-Hosek sagte dazu zu ZackZack: „Ich war schon sehr enttäuscht, dass man ein recht modernes Instrument, das Frauen mit verschiedenen Muttersprachen erreicht, wieder abdreht.“
Alte App war mehr als Notruf
Der Erfinder von “fem:HELP” (Anm.: Name der Red. bekannt) meldete sich bei ZackZack. Der Psychologe gewann 2013 einen Ideenwettbewerb zu dem Thema. Er sagt zur Einstellung der alten App: „Die App war vielleicht zu früh dran, aber sie war in Europa damals das einzige digitale Frauenhilfsangebot dieser Art.“ Im Unterschied zum “Stillen Notruf”, der keine eigene App ist, sondern laut Innenministerium in die bereits existierende Gehörlosen-Notruf-App “DEC112” integriert wird, hatte “fem:HELP” mehrere Funktionen.
„Die Idee war, dass es nicht nur ein Notruf ist, sondern durch die gesammelten Adressen der Frauenhäuser und Beratungsstellen war es auch Empowerment und Aufklärung”, sagt der Erfinder von “fem:HELP”. Unter anderem konnte man in der App ein Protokoll über Verletzungen und Gewalterfahrungen anlegen, das durch einen PIN-Code geschützt war, falls der gewalttätige Partner das Handy durchstöberte. Diese Funktion sollte es ermöglichen, Beweise zu sichern, die vor Gericht verwendet werden können.
Warum die App 2019 eingestellt wurde, ist nicht ganz klar. Heinisch-Hosek war damals nicht mehr Frauenministerin und nicht in den Diskurs eingebunden: „Ich glaube das Argument war: zu teuer, bringt zu wenig.“ Tatsächlich dürfte die App in den fünf Jahren, in denen es sie gab, nicht übermäßig viele Nutzerinnen gehabt haben. Laut dem App-Erfinder gab es circa 3.000 Downloads. „Ja, sie war nicht billig, ja, wir hatten zu Beginn auch keinen extrem großen Zuspruch, aber so eine App muss sich ja erst herumsprechen. Ich hatte damals zu wenig Budget, um wirklich Kampagnen zu veranlassen“, so Heinisch-Hosek. “Jetzt wirft man mit Millionen herum, aber die effektiven Kampagnen vermisse ich.“ Die pensionierte Sozialpädagogin Jutta Zagler, vermutet hinter der Entscheidung ein Politikum. Zagler leitete jahrelang das Online-Netzwerk “MonA-Net”, das junge Frauen und Mädchen unter anderem zum Thema Gewalt aufklärte und war zusammen mit Abgesandten verschiedener Frauenorganisationen in die Entwicklung von “fem:HELP” eingebunden.
Auch Maria Rösslhumer von den Autonomen Österreichischen Frauenhäusern (AÖF) sagte gegenüber dem “Standard”, man müsse bei allen Unterstützungsangeboten auch Geld in die Hand nehmen, um sie zu bewerben und “Die ‘fem:Help-App’ war nirgendwo bekannt.” Das Frauenministerium reagierte auf eine Presseanfrage zum Grund, warum die alte App damals eingestellt wurde, bisher nicht. Juliane Bogner-Strauß war für ZackZack nicht erreichbar.
Opposition kritisiert Zustandekommen
SPÖ-Frauensprecherin Eva-Maria Holzleitner und Rosa Ecker (FPÖ) kritisieren die Art, wie die neue Notruf-Funktion zustande gekommen ist. Um Herbst 2021 und dann wieder Mitte Jänner beantragte Ecker nämlich im Gleichbehandlungsausschuss schon die Umsetzung eines Notrufs per Knopfdruck für von Gewalt betroffenen Frauen. Beim ersten Mal wurde die Maßnahme als nicht sinnvoll abgelehnt, beim zweiten Mal war die Diskussion laut Ecker recht positiv, aber der Antrag wurde schließlich vertagt. Nicht einmal einen Monat später präsentierte die Regierung die Notruf-Funktion. Holzleitner hat das Gefühl, die Regierung habe das Thema für sich gekapert, um Einigkeit zu demonstrieren. “Das ist eine ziemliche Missachtung des Parlaments”, sagte sie gegenüber ZackZack.
Ecker selbst habe die Präsentation des Notrufs mit einem lachenden und einem weinenden Auge verfolgt: Einerseits freue sie sich, dass ihr Vorschlag nun zur Umsetzung gekommen ist. Sie sei aber enttäuscht darüber, dass die Frauensprecherinnen aller Parteien nicht einen gemeinsamen Antrag gestellt haben. “Politik ist eine harte Sache, aber ich finde immer, unter Frauen müsste das möglich sein.” Auch Ecker geht davon aus, dass sich die Regierung einen möglichen Erfolg auf die Fahnen heften wird. “Soll so sein, wenn es Frauen etwas hilft.” Sie glaubt auf alle Fälle, dass ein schneller Notruf ein wichtiges Mittel zum Schutz von Frauen und Kindern sein kann.
Frauenschutzorganisationen gespalten
Die AÖF und der Frauenring hatten kritisiert, bei der Entwicklung des “Stillen Notrufs” nicht eingebunden gewesen zu sein. Eine solche App hätten sie nicht empfohlen, da man sich mit Adresse registrieren muss, im Unterschied zur alten App. Gewaltopfer blieben erfahrungsgemäß oft lieber anonym und hätten häufig die Erfahrung gemacht, von der Polizei nicht ernst genommen zu werden. Das BMI kann diese Kritik nicht nachvollziehen: Andere Opferschutzorganisationen seien sehr wohl miteinbezogen worden. Die Registrierung sei nun einmal notwendig, weil die Polizei ja sonst nicht wisse wohin sie ausrücken soll. Kaum ein Thema werde in der Polizeigrundausbildung, im Rahmen der berufsbegleitenden Fortbildung sowie bei diversen weiterführenden Kursen intensiver behandelt, als Gewalt in der Privatsphäre, so das Ministerium in einer Stellungnahme gegenüber ZackZack.
Der Bundesverband der Gewaltschutzzentren Österreichs begrüßte die neue Maßnahme in einer Aussendung am Donnerstag: “Im Rahmen der Sicherheitsplanung, die die Gewaltschutzzentren mit Opfern erarbeiten, ist es ein fixer Bestandteil, im Notfall die Polizei zu verständigen.” Das Angebot einer App sei eine weitere Ressource in einem Bündel an Sicherheitsmaßnahmen.
App als ein Mittel von vielen
„Nur eine App tut’s nicht“, sagt Jutta Zagler. Sie sei eine niederschwellige Möglichkeit, habe aber ihre Beschränkungen. Einerseits sei es schwer, eine App zu entwickeln, die der Täter nicht findet, etwa wenn er in einem Eifersuchtsanfall das Handy durchsucht. „Dass die App sehr versteckt sein muss, ist uns damals schon aufgefallen“, erinnert sie sich an die Entwicklung von “fem:HELP”.
Außerdem müsse die Frau im Akutfall überhaupt erst dazu kommen, über das Handy Hilfe zu rufen, ohne dass die Situation dadurch eskaliert. Vor allem gibt es laut Jutta Zagler aber diverse Nutzungsbarrieren: Junge Frauen und Mädchen tun sich leichter damit, die App anzunehmen, als ältere Frauen, technikaffine Frauen wiederum leichter als jene, die mit Smartphones und Co. wenig anfangen können. Auch das jeweilige Bildungsniveau entscheidet, ob eine Hilfe-App die Adressatin erreicht. Deshalb müssten Männer und Frauen von klein auf zum Thema Gewalt sensibilisiert werden und viel Geld in breite gesellschaftliche Bewusstseinsbildung investiert werden, findet Jutta Zagler, “damit die Nachbarn nicht mehr weghören.“
(sm/pma)
Titelbild: APA Picturedesk