Ein Jahr lang liegen die BMI-Chats bei Staatsanwalt und Kripo. Ein Jahr lang werden die verfolgt, die die BMI-Chats öffentlich machen. Am Ende verschwindet der Kloibmüller-Stick aus dem Akt. Jetzt ist alles umsonst: ZackZack veröffentlicht alle relevanten BMI-Chats, die WKStA hat den Stick und der U-Ausschuss lässt die BMI-Chats als Beweismittel zu. Die ÖVP hat einen entscheidenden Kampf verloren.
Wien, 6.3.2022
Das ist die Geschichte einer Vierergruppe, für die jetzt das letztes Gefecht um die Macht in Staatsanwaltschaft und Kriminalpolizei begonnen haben könnte. Das ist die Geschichte von
- Christian Pilnacek, Justiz-Sektionschef
- Johann Fuchs, Leiter der Oberstaatsanwaltschaft Wien
- Bernd Schneider, Staatsanwaltschaft Wien
- Andreas Holzer, Direktor des Bundeskriminalamts
- und seiner AG Fama.
Kapitel 1: Wettlauf um die BMI-Chats
Am 18. Februar 2021 stürmen Beamte der AG Fama des Bundeskriminalamts die Wohnung eines Ex-Polizisten in Mödling. Sie suchen gezielt nach einem Stick. Auf dem USB-Stick sind die Daten des Handys des langjährigen Schatten-Innenministers abgespeichert: die Daten von Ex-Kabinettschef Michael Kloibmüller. Der Wettlauf um die BMI-Chats hat begonnen.
Der Ex-Polizist zieht den Stick aus einer Hydrokultur. Holzers AG Fama hat jetzt ein Beweisstück, das ähnlich brisant ist wie die Daten des Handys von Ex-ÖBAG-Chef Thomas Schmid. Die Fama-Polizisten stellen mit dem Stick mehr als 4.000 Seiten mit Chats, Dokumenten und Fotos sicher. Am 4. März 2021 bekommt auch der Wiener Staatsanwalt Bernd Schneider den Stick.
Schon nach einer ersten Auswertung muss klar sein: Die BMI-Chats belasten die Ex-Innenminister Wolfgang Sobotka und Johanna Mikl-Leitner; ihren Kabinettschef Michael Kloibmüller; den Generaldirektor für öffentliche Sicherheit Franz Ruf; den Kurz-Strategen Stefan Steiner; Ex-ÖBAG-Chef Thomas Schmid; und BK-Direktor Andreas Holzer, den Chef der AG Fama.
Staatsanwalt Schneider steht vor der Entscheidung: Er hat die BMI-Chats vor sich liegen und kann – wie die WKStA bei den Schmid-Chats – Ermittlungen anordnen. Aber Schneider entscheidet sich für einen anderen Weg: Er beauftragt einen IT-Experten des Justizministeriums, den fertigen Auswertungsbericht, der sich auf dem USB-Stick befindet, „aufzubereiten“. Den Stick selbst nimmt er in einem verschlossenen Kuvert zum Tagebuch, in das – im Gegensatz zum Akt – niemand außer ihm Einsicht hat.
Kapitel 2: „sachgerechte Aufarbeitung“
Staatsanwalt Bernd Schneider genießt das besondere Vertrauen von Christian Pilnacek und seiner rechten Hand, OStA Wien-Chef Johann Fuchs. Kurz nach dem Auftauchen des Ibiza-Videos ist am 19. Juli 2019 Feuer am Justizdach. Die Schredder-Affäre ist geplatzt, und die Spuren führen erstmals in die Zentrale der ÖVP. Fuchs erklärt Pilnacek, was zu tun ist: „Abtretung an die zuständige StA Wien und dort sachgerechte Aufarbeitung durch den im Komplex ohnehin bereits tätigen Kollegen Schneider“. Pilnacek ist einverstanden: „Genau“.
Es kommt anders. Die WKStA nimmt die Spur auf. Erst am 28. August 2019 gelingt es, der WKStA den Akt wegzunehmen und für eine „sachgerechte Aufarbeitung“ durch die StA Wien zu sorgen. Bevor das Handy des Schreddermanns und Kurz-Vertrauten Arno M. ausgewertet und die Spur zu Sebastian Kurz verfolgt werden kann, wird das Verfahren eingestellt.
Am 23. August 2019 dringt eine Information über eine Ministerweisung nach außen. Justizminister Clemens Jabloner hat mit seiner Weisung verhindert, dass geklärt wird, ob Holzers SOKO Ibiza ÖVP-lastig ist. Jetzt suchen Pilnacek und Fuchs nach dem „Leak“. Pilnacek informiert Fuchs: „Meine Idee ist, dass StA Wien – Schneider – mit SOKO das Leak ermittelt.“
Bernd Schneider verfolgt Leaks und Staatsanwälte der WKStA. Jetzt, im März 2021, liegen die BMI-Chats vor ihm. Schneider weiß, was er zu tun hat. Die „sachgerechte Aufarbeitung“ der BMI-Chats beginnt.
Kapitel 3: AG Fama gegen ZackZack
Im März 2021 wissen Schneider und Holzer nicht, ob mit dem beschlagnahmten USB-Stick das Kloibmüller-Leak abgedichtet ist. Das ändert sich mit dem Erscheinen des Buchs „Kurz – ein Regime“. Ab Seite 75 zitiere ich dort aus dem ersten BMI-Chat. Holzer selbst berichtet dort Kloibmüller über eine Telefonüberwachung des BAK, des Bundesamts für Korruptionsbekämpfung: „Hat dich BAK über TÜ-Inhalte informiert?“ Kloibmüller verneint, Holzer informiert ihn, dass er „vorkommt“.
Der erste BMI-Chat ist jetzt öffentlich. Aber weder AG Fama noch StA Schneider rühren den Fall an – und weichen damit der Frage, ob gegen AG Fama-Chef Holzer Ermittlungen einzuleiten sind, aus.
Am 16. September 2021 kommt der nächste Schub. ZackZack veröffentlicht zwei Berichte über die neuen Chefs der BVT-Nachfolgerin DSN. Zwei BMI-Chats belegen „Parteibuchwirtschaft im Staatsschutz“. Ab dem 14. Oktober 2021 nimmt die AG Fama ZackZack ins Visier. Als unser stellvertretender Chefredakteur Ben Weiser eine Gerichtsverhandlung beobachtet, weiß er nicht, dass er selbst unter Beobachtung der AG Fama steht.
Kapitel 4: „gesondert aufbewahrt“
Aber auch im Oktober 2021 glauben die Fama-Ermittler noch, dass der Ex-BVT-Mann Egisto Ott nur diese drei BMI-Chats an ZackZack weitergegeben hat. Eine vollständige Kopie liegt nach Fama-Annahme nur beim Staatsanwalt. Um diese Kopie geht es jetzt. Der IT-Experte hat alle BMI-Chats “aufbereitet”. Jetzt muss entschieden werden, was mit dem Material, das für die ÖVP von Sobotka bis Mikl-Leitner brandgefährlich ist, geschieht.
Bernd Schneider hat den Akt inzwischen offiziell an seinen Kollegen Fridolin M. übergeben. Am 4. Jänner 2022 dichtet der neue Staatsanwalt das letzte Leak ab. Er verfügt, dass der USB-Stick mit den BMI-Chats nicht zum Akt genommen und „gesondert aufbewahrt“ wird. Seine Begründung spricht für sich: Ein „weiterer Missbrauch der Daten“ solle „hintangehalten werden“.
Während ZackZack von der AG Fama ins Visier genommen wird, eröffnen Holzer und Kloibmüller eine zweite Front. Die Wiener Rechtsanwaltskanzlei Zöchbauer bringt Klagen von Holzer, Kloibmüller, von ex-BVT-Vizechef Wolfgang Zöhrer und von Kurz-Investor René Benko ein. Dass es vor allem um Einschüchterung geht, zeigt die Klage über eine Million Euro gegen Chefredakteur Thomas Walach persönlich.
ZackZack ist die einzige Zeitung, die über die BMI-Chats berichtet. Wenn es jetzt gelingt, die letzten Leaks abzudichten und ZackZack mit Millionenklagen mundtot zu machen, haben Sobotka, Mikl-Leitner, Holzer und die ÖVP vom Kloibmüller-Handy nicht mehr viel zu befürchten.
Kapitel 5: Chat-Dammbruch
Es kommt anders. Fast 3.000 Mitglieder im ZackZack-Club unterstützen uns gegen die Einschüchterungsklagen. Wir beschließen, jetzt nicht mehr einzelne, sondern alle relevanten BMI-Chats zu veröffentlichen. Als klar wird, dass die StA Wien nicht zu BMI-Chat-Ermittlungen bereit ist, bringe ich eine Kopie des USB-Sticks am 8. Februar 2022 zur WKStA.
Vor drei Tagen habe ich über all das im U-Ausschuss ausgesagt. Der Versuch der ÖVP, die Medienöffentlichkeit von der Untersuchung der BMI-Chats auszuschließen, ist an der Mehrheit von SPÖ, FPÖ, Neos und Grünen gescheitert.
Der „Schutz der Daten“ durch Staatsanwalt und AG Fama hat möglicherweise viele der BMI-Chats verjähren lassen. Aber einer der wichtigsten Chats ist mit Sicherheit noch nicht verjährt. Er betrifft Wolfgang Sobotka.
Titelbild: APA Picturedesk