Samstag, Juli 27, 2024

Einmal Türkis, immer Türkis – Kommentar

Kommentar

Nehammer erwartet Orban – trotz dessen jüngster rassistischer Entgleisungen – in Wien. Dahinter stecken Boshaftigkeit und Planlosigkeit, denn die Antwort der ÖVP auf Teuerung, Energiekrise & Co. scheint wie immer: Grenzen dicht, Ausländer raus.

Benjamin Weiser

Wien 25. Juli 2022 | Es ist ein Treffen der Schande. Wenn Kanzler Karl Nehammer am Donnerstag auf Ungarns Regierungschef Viktor Orban trifft, wird eine bekannte Themen-Verknüpfung aus der Mottenkiste geholt: Irgendwo herrscht Krieg, Menschen fliehen, wir wollen sie hier nicht.

Orban untermauert indes mit seinen jüngsten Aussagen, dass er ein Gegner Europas und ein Gegner unserer Werte ist. Er will ein reinrassiges Ungarn. Statt sich in Brüssel für Konsequenzen stark zu machen, bittet Nehammer den Kurz-Vertrauten aus Budapest zu Tisch.

Politik gegen den gesellschaftlichen Frieden

Wie der Putin-Besuch ist auch der Orban-Termin am Donnerstag ein PR-Desaster, bevor er überhaupt stattgefunden hat. In Kai Diekmanns teurem Maschinenraum der Geschichten stottert der Motor. Der Ex-BILD-Chef soll den Kanzler schon rund um den Moskau-Trip beraten haben, verantwortlich für politische Entscheidungen ist aber letzterer selbst.

Nehammer zeigt damit, dass er allen gegenteiligen Versuchen zum Trotz ein Türkiser geblieben ist. Er ist mit Alt-Kanzler Sebastian Kurz aufgestiegen und wird, etwas zeitversetzt, wohl auch mit ihm in der Versenkung verschwinden. Bis dahin wird das ganze Land unter seiner Politik leiden. Politik an der Seite von Orban, Politik gegen die Schwächsten, Politik gegen den gesellschaftlichen Frieden.

Ob es Nehammer gelingt, die Aufmerksamkeit der Massen von den wichtigen Themen wegzulenken, ist fraglich. Diesmal ist der Krieg zu nah, die Bomben schlagen im Herzen Europas ein, die wirtschaftlichen Auswirkungen auch. Jeder weiß, dass Wladimir Putins Krieg auch ein Energiekrieg ist. Das Gas ist nicht deshalb knapp, weil eine unsichtbare Markt-Hand fuhrwerkt, sondern politische Erpressung dominiert. Hinzu kommt: Alles wird teurer, die Europäische Zentralbank, deren Kernaufgabe es wäre, stabile Preise zu gewährleisten, stößt an ihre Grenzen.

Die Regierung prüft

Was macht die Regierung? Sie prüft. Die Zeit rennt, doch Finanzminister Magnus Brunner erklärt lieber, was es nicht braucht. Jüngst betonte er, eine Mehrwertsteuersenkung sei die klassische Gießkanne, Eingriffe in den Markt mit Hilfe von Preisdeckelungen seien wenig treffsicher. Österreichs Bevölkerung würde gerne wissen, was stattdessen so geplant ist. Bald wird’s nämlich kalt und noch teurer.

Klar ist: Die Regierung findet keine Antworten auf die drängenden Probleme. Das zeigen Umfragen, wonach der SPÖ beim Thema Teuerung mit Abstand am meisten Kompetenz zugeschrieben wird. Darauf mit rigider Grenzpolitik (Karner) oder Orban-Schunkelei (Nehammer) zu reagieren, ist dümmer als die Polizei erlaubt. Und es ist türkiser, als die ÖVP uns seit dem Kurz-Abgang verkaufen will.

Titelbild: APA Picturedesk

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