Dienstag, Oktober 8, 2024

BMI-Chats 19: Der Herr der Abschiedsbriefe

BMI-Chats

In den vergangenen Tagen schrieb „Krone“-Redakteur Christoph Budin über sensible „Abschiedsbriefe“. Woher hat er seine Informationen? BMI-Chats zeigen, wie das Geschäft läuft. Über die zweifelhafte Nähe zwischen einem einflussreichen Journalisten und ÖVP-Vertretern.

Benjamin Weiser

Wien, 9. August 2022 | In der „Krone“ wurden zuletzt der „zugespielte“ Kellermayr-Brief und der angebliche Jenewein-Brief jeweils mit sensiblen Details veröffentlicht – ein journalistischer Tabubruch. Autor beider Artikel: Christoph Budin.

Budin ist Chronik-Chef in Österreichs größter Tageszeitung und dort meist für Geschichten in den ÖVP-Kernthemenbereichen Polizei, Justiz, Terror & Co. zuständig. Warum die ÖVP in diesem Zusammenhang wichtig ist, dazu gleich mehr.

Gerüchte, die sich nicht bestätigten

Sonntag, 07. August 2022. In der Causa Hans Jörg Jenewein hat Budin vor allen anderen sensible Informationen. In diesem Fall berichtet er über eine Tragödie des Ex-FPÖ-Mannes, gespickt mit persönlichen Details, die später im Artikel teilweise richtiggestellt werden.

Am darauffolgenden Montag stellt Budin in der „Krone“ die Frage: Gab es einen Abschiedsbrief?“. Und liefert gleichsam selbst die Antwort: „Die ersten Gerüchte bestätigten sich nicht.“ Allerdings hat der Redakteur die offensichtlich falschen Gerüchte zuvor selbst veröffentlicht.

Auch im zweiten Artikel ist von Turbulenzen in der FPÖ die Rede, die „dramatischen Hintergründe“ bei Jenewein seien angeblich „hochpolitisch“. Jenewein sei zudem in „häuslicher Pflege“ – was der Ex-FPÖ-Politiker auf ZackZack-Nachfrage dementiert. Woher hat Budin seine Einschätzungen?

Zumindest legen BMI-Chats aus den Jahren 2016 und 2017 nahe, dass der „Krone“-Mann eine gewisse Nähe zu Vertretern der ÖVP pflegte. Das wirft nochmal ein neues Licht auf die Vorbereitungsphase des Kurz-Projekts „Ballhausplatz“.

Informanten „aus den Kabinetten“

Auch anderen Medien ist der Mann bereits aufgefallen. Im April 2019 beschreibt das Magazin „Dossier“, wie die „Krone“ an sensible Polizei-Informationen kommt und dabei einiges aufs Spiel setzt. So etwa auch Persönlichkeitsrechte „der Täter oder Opfer bis zur öffentlichen Sicherheit des Landes. Es ist auch ein System, in dem das alles ohne Konsequenzen bleibt.“ Im Gespräch mit den „Dossier“-Quellen soll dabei auch immer wieder Budins Name gefallen sein.

Weiter heißt es: „Informanten kommen nicht nur aus den Reihen der Streifenpolizisten, sie kommen auch aus hohen Ebenen in Polizei und Ministerium: von Pressesprechern und aus den Kabinetten der Innenminister.“ Die BMI-Chats zeigen, wie das Geschäft läuft.

„Dann legen wir nächste Woche nach“

Im Mai 2016 ist Wolfgang Sobotka gerade einen Monat Innenminister. Am 19. Mai 2016 hat Budin an Sobotkas Kabinettschef Michael Kloibmüller eine Frage: „Was ist jetzt mit Regierung macht Tempo bei Sicherheit?!:-) LG C“. Der Smiley gilt dem Kabinettschef.

Vier Tage später nimmt Budin die Kommunikationspolitik der ÖVP quasi selbst in die Hand: „Dann legen wir nächste Woche nach: Regierung macht Tempo bei Sicherheit?!:-) LG C“. Kloibmüller antwortet: „Perfekt“.

Im ÖVP-Regelfall kommen PR-Vorschläge aus der Partei. Aber hier scheint es umgekehrt zu sein. Der Vorschlag für das „Nachlegen“ kommt vom „Krone“-Redakteur. Sobotkas Kabinettschef muss offenbar nur noch abnicken.

Faksimile ZackZack

Das Trio: Budin, Kloibmüller, Zach

Die BMI-Chats führen auch zu einem Trio, das schon vor der Kurz-Machtübernahme regelmäßig Treffen vereinbaren will. Im Februar 2017 verliert Innenminister Sobotka als Kurz-Scharfmacher einen schweren Konflikt mit SPÖ-Bundeskanzler Christian Kern. Kern schiebt Sobotkas Plänen zu einer Reform des Demonstrationsrechts einen Riegel vor, so der „Standard“.

Am 28. Februar 2017 meldet sich Budin bei Sobotkas Kabinettschef: „Sonst alles klar zu Hause?! Treffen wir uns mal wieder zum Frühstück oder Abends mit Zach!“ Kloibmüller ist einverstanden: „Passt. Ich kümmere mich um Termin.“

Thomas Zach ist mächtiger Stiftungsrat im ORF und gehört dem „ÖVP-Freundeskreis“ an. Er kommt wie Michael Kloibmüller aus dem „Stall“ von Ex-Innenminister Ernst Strasser. Im Innenministerium (BMI) lernt Zach auch Christoph Ulmer, seinen späteren Partner in der Agentur Gradus Proximus, kennen. Dort lässt Wirecard jahrelang „Social Media-Reports“ um stattliche 300.000 Euro pro Jahr erstellen.

Im Frühsommer 2016 arbeitet Zach augenscheinlich an einem türkisen Schlüsselprojekt: Richard Grasl soll Generaldirektor des ORF werden. Klar ist, dass das Trio großen Einfluss hat. Man kennt und schätzt sich. Mehrmals wollen sich Kabinettschef Kloibmüller, „Krone“-Redakteur Budin und ÖVP-Medienstratege Zach treffen. Anfang Mai versucht Zach, einen Termin zu finden: „Lieber Michael! Termin mit Christoph Budin: 11., 23., 24. Mai abends? Lg Tom“

Faksimile ZackZack

Am 7. Juli 2017 verändert sich die politische Lage. Die Koalition von SPÖ und ÖVP ist geplatzt, Sebastian Kurz bereitet auch mit Hilfe des Boulevards seine Machtübernahme vor. Budin will Kloibmüller treffen, sucht aber eine neue Lokalität, denn das Wiener Traditions-Kaffeehaus „Griensteidl“ hat vor kurzem dicht gemacht: „Im Griensteidl können wir uns jetzt nicht mehr treffen.. LG CB“. Kloibmüller antwortet: „Aber gern wo anders“.

Von Kern bis „Namen auf der IS-Kartei“

Schon früher, nämlich im Jahr 2016, zielen die Medienstrategen der Kurz-ÖVP immer öfter auf Bundeskanzler Kern. Innenminister Sobotka und sein Kabinett dienen Kurz als Speerspitze gegen den Koalitionspartner.

„Video: Hier düst Kern im Dienstwagen über die A2.“ So überschreibt die „Krone“ am 27. Oktober 2016 ein Video, das ihr „ein Leser“ per Mail „zugespielt“ haben soll. Einer der Empfänger ist Budin. Am 1. November 2016 will der Krone-Redakteur von Kloibmüller wissen, wer die Geschwindigkeitsübertretung des Kanzler-Autos dokumentiert hat. „Wer hat eigentlich den Kern als Raser gefilmt? Ihr wisst sicher was…?! LG C“

Diesmal kann Kloibmüller nicht helfen. „Ehrlich keine Ahnung“, antwortet Sobotkas Kabinettschef. „Ein Bulle war´s nicht glaub ich. LG M“. Trotzdem lobt Budin die Professionalität der Aktion gegen den Kanzler: „Wie auch immer – gut gemacht und weitergeleitet.“

Immer wieder geht es in den Kloibmüller-Budin-Chats um die Themen Sicherheit und Terrorismus. Im März 2016 interessiert sich Budin für interne Informationen aus dem BMI: „Morgen! Welche 6 Namen auf IS-Kartei?!:-) LG C“. Will Budin am 11. März 2016 von Kloibmüller Namen von IS-Terroristen erfahren?

Wie auch immer: Kloibmüller ist offenbar noch nicht so weit. Er schreibt: „Haben noch keine Namen. Sollten am Mo kommen.“ Budin bedankt sich: „Thx! Sag bescheid… Café/Frühstück wieder einmal?“

Aktion „Silberstein“

Zeitsprung: Wir schreiben das Jahr 2017, die Vorbereitungen des Projekts „Ballhausplatz“ sind bereits in vollem Gange. Ein halbes Jahr, bevor die Affäre „Silberstein“ zum Platzen gebracht wird, meldet sich der ÖVP-Sicherheitssprecher und heutige Volksanwalt Werner Amon am 14. Jänner 2017 bei seinem Parteifreund im Innenministerium.

Der Abgeordnete hat an Kloibmüller eine Bitte: „Kannst du mir nochmals die Delikte betreffend des HB für T.S. sagen? LG W“. „HB“ ist der vermutete rumänische Haftbefehl gegen „T.S.“, Tal Silberstein. Das Wort „nochmals“ deutet darauf hin, dass Kloibmüller eine entsprechende Information schon einmal weitergegeben haben könnte.

Der Kabinettschef entgegnet: „Ja i meld mi“. Amon hat es eilig: „Sorry, ist dringend“. Wenige Stunden später meldet sich auf einmal „Krone“-Mann Budin bei Kloibmüller: „Gibt´s jetzt Haftbefehl gegen Kern-Berater Silberstein oder nicht bzw. ist er dzt. In Ö?! LG CB“. Budin interessiert sich offensichtlich nicht nur für Silberstein, sondern auch für Bundeskanzler Kern.

Einen Tag nach Budins Ansuchen deckt das Magazin „News“ auf, dass es keinen Haftbefehl gegen Silberstein in Rumänien gibt. Einige Tage später hat Budin eine weitere Bitte an Kloibmüller: „Rufst mich auch mal via Festnetz oder so zurück?“ Ob diese mit dem Fall Silberstein zusammenhängt, ist unklar. Jedenfalls erscheint in der „Krone“ Monate danach ein Artikel über Silbersteins Verhaftung in Israel. Erwähnt werden auch Ermittlungen in Rumänien, von einem Haftbefehl ist allerdings keine Rede.

Kommt in der Budin-Berichterstattung oft gut weg: Wolfgang Sobotka. Bild: ROLAND SCHLAGER/APA/picturedesk.com

Manchmal, so zum Beispiel am 11. April 2016, ist Budin nur neugierig: „Morgen! Termine nicht vergessen – und wer ist die Neue:-):-)?! LG C“. Kloibmüller stellt Budin eine Mitarbeiterin vor: „Kathi Nehammer zz Büro Kurz und Frau von Büroleiter Gust Wöginger“. Karl Nehammer steht damals kurz vor der Ablöse August Wögingers als ÖAAB-General.

Das Verhältnis Budin-ÖVP bzw. Budin-Sicherheitsbehörden zeigt sich vor allem auch an der Häufung Sobotka-freundlicher Beiträge in der „Krone“. So schreibt Budin immer wieder positive Artikel über Sobotka während dessen Zeit als Innenminister, also zu dem Zeitpunkt, als die Kommunikation mit BMI-Kabinettschef Kloibmüller auf Hochtouren läuft.

Budin, Sobotka und die Sicherheitsbehörden

Ein Beispiel vom 9. Jänner 2017. Titel: „Kritik zeigt Wirkung: Schubhaftzentrum plötzlich sinnvoll“. Im knapp gehaltenen 10-Zeiler – mit zwei Bildern im Text – schreibt Budin: „Von den aktuell rund 160 Schubhäftlingen sind 120 straffällig gewordene Asylwerber. Derzeit sitzen diese ein halbes Jahr in Schubhaft und müssen dann, wenn sie von ihren Heimatländern nicht zurückgenommen werden, wieder freigelassen werden.“

Im „Krone“-Gespräch soll der Innenminister laut Budin betont haben, „deshalb neben technischen Maßnahmen wie Fußfesseln auch den Druck auf die Herkunftsländer mit Rücknahmeabkommen auf EU-Ebene“ forcieren zu wollen.

Am 8. Mai 2017 erscheint eine Geschichte mit dem Titel: „Terrorgefahr: Sobotka setzt auf Kamera-Offensive – Für mehr Sicherheit“. Diesmal ist es ein 12-Zeiler mit zwei Bildern im Text. Auf der Titelgrafik ist Sobotka neben einer Überwachungskamera montiert. Sobotka, ein Macher. Das ist die augenscheinliche Inszenierung.

In der „Dossier“-Recherche von 2019 wird minutiös offengelegt, wie das „System von Gefälligkeiten“ – polizeiinterne Infos als Ware im Tausch gegen gefällige Berichterstattung, wie es dort heißt – funktioniert. Ein ranghoher Polizeibeamter wird wie folgt zitiert: „Die Kronen Zeitung hat die besten Kontakte österreichweit. Das geht so weit, dass sie bei internen Feiern dabei sind.“

Manchmal gibt es auch Feiern, die die Zeitungsmacher selbst geben. Bei der Verleihung des „Krone“-Safety Awards im Dezember 2017 stehen Budin und Sobotka neben dem Team der Bergrettung Gosau (OÖ). Titel des Beitrags: „Vorhang auf für Helden“. Für den Minister ist es eine von vielen Inszenierungen. Mit dabei: Chronik-Redakteur Christoph Budin.

Der „Krone“-Redakteur gab gegenüber ZackZack keine Stellungnahme ab. Der türkise ORF-Stiftungsrat Thomas Zach reichte nach Ablauf der Frist über seinen Anwalt Gerald Ganzger ein Statement nach. Demnach könne sich Zach zu den „angeblichen“ Chats nicht äußern. Michael Kloibmüller betonte wie immer, er könne zu den Inhalten der BMI-Chats nichts sagen.

Update 09. August 2022, 13:35 Uhr: Zach reicht Statement nach.

Titelbild: HERBERT NEUBAUER/APA/picturedesk.com/ZackZack-Montage

Autor

  • Ben Weiser

    Ist Investigativreporter und leitet die Redaktion. Recherche-Leitsatz: „Follow the money“. @BenWeiser4

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