Samstag, Juli 27, 2024

Was uns die wohl skurrilste Bundespräsidentschaftswahl aller Zeiten zeigt

Das ist eine Unterüberschrift

Neben dem neuen alten Bundespräsidenten hat die Wahl am Sonntag noch einige weitere interessante Fakten gebracht. Ein Überblick.

Wien, 10. Oktober 2022 | Nach der Wahl folgt wie immer das große Analysieren des Ergebnisses. Wie wählten die einzelnen Bundesländer und Gemeinden? Welcher Kandidat kam in welcher Altersgruppe gut an? Und wer profitierte durch wen? Die in vielerlei Hinsicht besondere Bundespräsidentenwahl sagt einiges über Österreich aus.

“Krone” wirkt, wenn auch nicht mehr so wie früher

Nicht weniger als sieben Kandidaten kämpften die letzten Monate um Stimmen, so viele wie noch nie. Und das, obwohl alle Parlamentsparteien bis auf die FPÖ keinen eigenen offiziellen Kandidaten ins Rennen schickten, sie unterstützen stattdessen Alexander Van der Bellen.

Mit ihrem Kolumnisten Tassilo Wallentin hatte stattdessen erstmals eine Tageszeitung, die „Krone“, einen eigenen Kandidaten aufgestellt, wenn auch nicht offiziell. Von Frank Stronach finanzierte Mega-Inserate und überwiegend positive Berichterstattung brachten den zuvor wohl nur bei regelmäßigen Sonntagskrone-Lesern bekannten Rechtsanwalt auf über acht Prozent (Wahlkarten noch nicht ausgezählt). „Bei der Nationalratswahl wäre das ein Erdrutschsieg“, freute sich Wallentin danach.

Wie sagte Heinz-Christian Strache auf Ibiza 2017 so schön: „Wenn du die Krone hast, hast du die Meinungshoheit.“ Zwar hat die Macht des Boulevardblattes über die Jahre abgenommen – das Beispiel Wallentin zeigt dennoch, was nach wie vor alles möglich ist, wenn einen die größte Tageszeitung Österreichs wenige Wochen vor der Wahl noch „pusht“, um mit den Worten des gescheiterten Ex-FPÖ-Chefs abzuschließen.

Und das hat sie bei Wallentin, wie auch eine Recherche der Plattform „Kobuk“ zeigt. Laut dieser hat man sich bei der „Krone“ der beliebten Leserbriefe bedient, um Wallentin nicht ganz so offensichtlich ins rechte Licht zu rücken. „Kobuk“ hat alle Leserbriefe seit 11. August, dem Tag an dem Wallentin seine Kandidatur bekanntgab, analysiert. In 62 Briefen zur Bundespräsidentschaftswahl wurde Wallentin demnach in 27 Fällen (43,55 Prozent) positiv erwähnt. Kritik gab es lediglich in drei Leserbriefen. Van der Bellen hingegen wurde nur vier Mal positiv erwähnt, und 30 Mal negativ.

Mit Wirkung, wie eine Erhebung des ehemaligen „Dossier“-Datenjournalisten Peter Sim auf Twitter zeigt. Er stellte die Reichweite der Zeitung in den jeweiligen Bundesländern mit dem Wahlergebnis für Wallentin in ebendiesen gegenüber. Das Ergebnis: Je höher die Reichweite der „Krone“ im Bundesland, umso mehr Menschen wählten auch Wallentin. Besonders beliebt dürfte das Boulevardblatt in der burgenländischen Gemeinde Badersdorf sein. Dort konnte Wallentin mit 25,16 Prozent sein stärkstes Ergebnis erzielen – die “Krone” rangiert im Burgenland bei circa 36 Prozent Reichweite, so hoch wie nirgends sonst.

Fazit: Österreichs größte Tageszeitung hinter sich zu haben, bringt enorme Vorteile. Das ist allerdings teuer und nicht viel wirksamer als eine gute Social Media Kampagne, wie man am Beispiel Dominik Wlazny (dritter Platz knapp vor Wallentin) sieht, der in den Leserbriefen der „Krone“ übrigens mit zwei positiven Erwähnungen so gut wie nie vorgekommen ist.

Junge fühlen sich immer weniger abgeholt

Wlazny hingegen war wohl die große Überraschung dieser Wahl. Der Bierpartei-Chef, der nach Auszählung der Wahlkarten wohl den dritten Platz hinter Walter Rosenkranz halten dürfte, punktete vor allem in Wien, wo er dem FPÖ-Kandidaten gar noch den zweiten Platz hinter Van der Bellen wegschnappen könnte. Mit über 14 Prozent der Stimmen konnte Wlazny in seinem Heimatbezirk Simmering, wo er mit der Bierpartei auch im Bezirksrat sitzt, Wien-weit die meisten Stimmen einfahren.

Der Bierpartei-Chef konnte aber überraschenderweise außerhalb der Hauptstadt seine besten Ergebnisse holen. Im Tiroler Rattenberg erreichte Wlazny sein stärkstes Ergebnis mit 17,97 Prozent, auch in der niederösterreichischen Gemeinde Seefeld-Kadolz kam er auf über 15 Prozent. Nichts will man von dem tätowierten Punk-Rocker hingegen in der Tiroler Gemeinde Namlos wissen. Dort wählte ihn niemand.

Und: Der Arzt und Musiker ist vor allem bei der jungen Wählerschaft beliebt. So entschieden sich rund 20 Prozent der 16-29-Jährigen für den 35-jährigen Wlazny. Neben seiner Präsenz in TV-Diskussionen und Interviews in mehreren Tageszeitungen war aber vor allem sein Auftritt und sein Zuspruch in den sozialen Medien, wo sich der Großteil seiner jungen Wählerschaft tummelt, ausschlaggebend für das gute Ergebnis. Bei den über 60-Jährigen gibt es für Wlazny hingegen nicht viel zu holen, nur drei Prozent der älteren Wählerschaft gaben ihm die Stimme.

Wie der Jugendforscher Matthias Rohrer am Montag auf “Puls24” bestätigt, sei Wlazny eine „interessante Alternative“ für die Jungen. Das liege vor allem daran, dass seit Jahrzehnten in Österreich, aber auch in anderen europäischen Ländern kaum Jugendpolitik betrieben werde. Denn dadurch, dass die Bevölkerung immer älter wird, würden Wahlen auch bei den Älteren entschieden werden, auf sie werde dementsprechend das Hauptaugenmerk gelegt. Das starke Ergebnis Wlaznys sollte den Parteien daher zu denken geben, so der Jugendforscher.

Mehrheit der Kärntner will Van der Bellen nicht

Wäre es nach Kärnten gegangen, gäbe es nun eine Stichwahl zwischen Van der Bellen und Rosenkranz. Dort erreichte der Präsident nur 44,4 Prozent der Stimmen, der FPÖ-Kandidat kam auf 25,5 Prozent. Das südlichste Bundesland ist somit das einzige, wo Van der Bellen nicht über die 50-Prozent-Marke kommen konnte.

Sieht man sich aber die einzelnen Gemeindeergebnisse des Bundespräsidenten im Detail an und vergleicht sie mit jenen des ersten Wahldurchgangs im Jahr 2016, konnte Van der Bellen in allen 2.115 Gemeinden an Stimmen zulegen. In 2.073 war er jetzt stärkster Kandidat. In fünf Gemeinden konnte er mehr als 80 Prozent erreichen, darunter logischerweise auch seine Heimatgemeinde Kaunertal (88,28 Prozent). In 52 der Gemeinden bekam er mehr als 70 Prozent der Stimmen.

Nicht an den Erfolg seines Vorgängers Norbert Hofer , konnte hingegen Walter Rosenkranz anschließen. Er verzeichnete gegenüber dem Ergebnis Hofers im Jahr 2016 in nur sechs Gemeinden Stimmenzuwächse. In 2.109 Gemeinden schnitt er schlechter ab. In 43 der Gemeinden war der bisherige Volksanwalt stärkster Kandidat, die absolute Mehrheit erreichte Rosenkranz in nur einer Gemeinde – und zwar im Tiroler Spiss mit 53,33 Prozent.

Klatsche für Austro-Trump

Dass der, der am lautesten schreit, vielleicht in den USA, aber nicht in Österreich gewählt wird, zeigt das Beispiel Gerald Grosz. Der Wut-Blogger belegte mit rund sechs Prozent den fünften Platz und konnte vor allem in seinem Heimatbundesland Kärnten Stimmen ergattern.

Wie auch Wallentin versuchte auch Grosz sein Ergebnis damit aufzuhübschen, dass er mit diesem auf Anhieb den Einzug in den Nationalrat geschafft hätte. Zudem sei sein Abschneiden besser gewesen als jenes des BZÖ unter Peter Westenthaler. Grosz schließt weiteres politisches Engagement jedenfalls nicht aus, Parteipolitiker möchte er hingegen keiner mehr werden – behauptet er jedenfalls.

Absage für MFG und Staudinger

Ähnlich wie der Zustand seiner Partei, war auch das Ergebnis von MFG-Kandidat Michael Brunner bescheiden (2,2 Prozent). Er blieb gleich in 19 Gemeinden völlig ohne Stimme. Sein bestes Ergebnis erzielte er mit 9,68 Prozent in Hinterhornbach (Tirol). In nur 22 Gemeinden kam der Rechtsanwalt auf mehr als fünf Prozent.

Ähnlich schnitt Schuhfabrikant Heinrich Staudinger (1,6 Prozent) ab: Er blieb in dreiundvierzig Gemeinden ohne eine einzige Stimme, in nur vierzig konnte er mehr als fünf Prozent erreichen. Sein bestes Ergebnis fuhr der Geschäftsmann in Untertilliach (Tirol) ein, wo er auf 8,57 Prozent kam.

Sonderbar: Tirol

Was sich auf jeden Fall bei all den Tirol-Ausschlägen für einzelne Kandidaten zeigt: Das Bundesland bzw. einzelne Tiroler Gemeinden haben insgesamt auffällig extremer als Rest-Österreich gewählt.

(mst)

Titelbild: ZackZack/Christopher Glanzl

Autor

  • Markus Steurer

    Hat eine Leidenschaft für Reportagen. Mit der Kamera ist er meistens dort, wo die spannendsten Geschichten geschrieben werden – draußen bei den Menschen.

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