Samstag, Juli 27, 2024

Medienkorruption: Immunabwehr kaputt

Medienkorruption:

Der Chat-Dammbruch hat nach der Politik auch die Medien erreicht. Aber wie die politischen Parteien sind auch die Medien kaum in der Lage, sich selbst zu befreien. Die Strafjustiz kann nur aufklären. Die Veränderung muss von außen kommen, von einer neuen Politik oder dem zweiten Medienvolksbegehren.

 

Wien, 13. November 2022  „Es gibt zwei Menschen, die ich wirklich beneide: Mit Sebastian Kurz würde ich gerne tauschen, wie André Heller würde ich gerne sein.“ Das stammt von „profil“-Herausgeber Christian Rainer, der damals noch nicht wissen konnte, was jetzt alle wissen. Ich würde dem „profil“-Chef auch heute weder Haltung noch Bilderrahmen abkaufen.

Christian Rainer ist ein Rainer Nowak ohne Chats. Rainer Nowak ist ein Matthias Schrom mit journalistischem Talent. Und ein „Immundefekt“ ist laut Wikipedia eine „Schwächung der Abwehrfunktion, also der Fähigkeit, sich gegen eindringende Krankheitserreger zu wehren“. Die Schmid-Chats belegen den flächendeckenden Medien-Befall durch Parteibuchwirtschaft, Regierungsinserate und Gefälligkeitsjournalismus bei gleichzeitigem Totalausfall ihres Immunsystems. Die Einfallstore sind die Büros der Chefredakteure, Herausgeber und Geschäftsführer.

Die schwerwiegendste Zeile des Befunds lautet: „In Österreich ist die Strafjustiz die wichtigste Kraft der journalistischen Erneuerung.“ Damit ist fast alles gesagt. Dazu wird der Heilungsprozess durch einen weiteren Umstand erschwert: Die Patienten sind überzeugt, dass sie weitgehend gesund sind.

Blaue und schwarze Tickets

Seit die Chats aufgetaucht sind, hört man von ZiB bis „Die Presse“: „Ich kann meine Arbeit machen, der Fellner/Nowak/Schrom (Antwort je nach befallenem Medium) hat sich nie eingemischt!“ Ganze Redaktionen rühmen sich, dass sie etwas machen, was anderswo selbstverständlich ist: ihre Arbeit. Ihr Stolz hat einen Grund: Seit Jahren wissen sie, was rund um sie und über ihnen passiert. Aber für sie ist alles in Ordnung, solange der Chef ihnen nicht die Wünsche der ÖVP ins Ohr brüllt.

Alle im ORF haben gewusst, dass Schrom auf einem FPÖ-Ticket gesessen ist und seine Chefin auf einem der niederösterreichischen ÖVP. Besonders am Beginn der Pandemie hat die ZiB 1 wochenlang wie eine Belangsendung des Kanzlers und seiner Familie geklungen. Ein paar Kilometer weiter in der „Presse“ kennen alle die Nowak-Chats, die ZackZack schon im Oktober 2021 veröffentlicht hat. Die ZiB hat wenigsten jetzt die Chats veröffentlicht, und die Redakteursversammlung verlangt die Neuausschreibung der Leitungen von drei Sendungen. Für „Die Presse“ versichert Oliver Pink, dass dort verlässlich weitergemacht wird, wo Nowak aufhören musste. An Kurz stören ihn nur „die Umfrage-Obsession“, das „zu starke, recht unentspannte Kontrollbedürfnis“ und die „damit einhergehende Einteilung in Freund und Feind, die zu einer Verhärtung führte“. Wer kriminelle Auswüchse als „Verhärtungen“ verharmlost, zeigt wohl an, dass er nur auf das nächste Signal der „Familie“ wartet.

Mitwisser und Mitläufer?

Sind jetzt alle, die sich mit den Verhältnissen arrangiert haben, Mitläufer? Auch hier gilt dieselbe Antwort wie für die Politik. Bis vor wenigen Jahren konnte man vom ORF bis zum „Kurier“ in Ruhe arbeiten, wenn man die „Rahmenverhältnisse“ akzeptierte. Die Inseratenkorruption war vom Wiener Stadtrat Werner Faymann und der Leitung des „Wohnbau-Kurier“ erfunden worden. Man wusste, dass das nicht sauber war, aber das Geld – behauptete man –  ermöglichte die Finanzierung der „echten“ Redaktion in der „Innenpolitik“, die nur ein bisschen ÖVP-lastig war. Damit fand man sich ab, wie mit den Parteiposten im ORF, deren Inhaber trotz allem meist Journalisten waren.

Auch das wurde mit Sebastian Kurz anders. Der junge Führer der ÖVP bot, verlangte und bekam mehr: organisierten Jubel, Wahlkampfhilfen, offene Ohren für Propaganda aller Art. Mit brachialer Gewalt versuchte das Regime Kurz die Justiz in die Knie zu zwingen. Dagegen hat sich nicht nur die WKStA erfolgreich gewehrt. Die Medien wurden gekauft. Dort ist kaum jemand aufgestanden. Jetzt sind alle überrascht, dass sie erfahren, was sie längst wissen mussten.

Ein Jahr nach dem Kurz-Sturz und mit einer ÖVP, die sich immer schwächer an die Macht klammert, bricht alles auf. „Richard Schmitt“ und „Wolfgang Fellner“ waren noch Einzelfälle. Mit Nowak und Schrom ist das vorbei. Wenn dann noch weit größere Affären platzen, geht es der Medienbranche wie der Politik, auf die sie bis vor kurzem verächtlich hinabgeschaut hat.

Zweites Volksbegehren

Wie in der Politik kommt die Erneuerung auch bei den Medien nicht von innen. Einige von ihnen werden zugrunde gehen, andere mühsam einen Ausweg finden. Noch mehr „Edelfedern“ werden sich als Wedelfedern lächerlich machen. An der Raiffeisen-Spitze setzt der wichtigste Mann immer noch auf die Rückkehr von Sebastian Kurz. Solange sich das nicht ändert, können Richard Grasl und Martina Salomon das „Kurier“-Tool auch weiterhin für die ÖVP einsetzen.

Die Änderung kann nur von außen kommen. Ihre Ziele sind klar:

  • Verbot von Regierungsinseraten
  • Medienförderung ohne Regierungseinfluss
  • Verschärfung des Medienkartellrechts
  • Abschaffung des ORF-Stiftungsrats
  • Unabhängigkeit des ORF durch neues ORF-Gesetz
  • und jetzt auch Rettung der Wiener Zeitung.

Aber wer soll das durchsetzen? Die Grünen sind dabei, mit ihrer Medien-Abgeordneten Eva Blimlinger die Wiener Zeitung zu zerschlagen, die Journalistenausbildung dem Bundeskanzleramt zuzuschieben und kritische online-Medien von jeder Presseförderung auszuschließen. Solange es eine Mehrheit aus ÖVP und Grünen gibt, ist in der Medienpolitik mit dem Schlimmsten zu rechnen.

Damit bleibt der Vorschlag von Ex-ORF-Radiochef Karl Amon: das zweite Medienvolksbegehren. Warum nicht? Im Grunde wäre es nichts anderes als die Fortführung des Anti-Korruptions-Begehrens, vielleicht sogar mit einigen der Proponenten, die dieses zum Erfolg gemacht haben.

Land am Sumpfrand

An dem Versuch, Land am Rande des Sumpfes zu befestigen, arbeiten auch viele andere mit online-Medien, die man nicht kaufen, sondern nur unterstützen kann. ZackZack ist eines von ihnen. Ich weiß, dass wir besser sein könnten und uns manchmal wichtiger machen als wir sind. Aber wir versuchen etwas, was andere aufgegeben haben: einen Journalismus der Tatsachen, ohne Einfluss von Parteien.

Die Chat-Medien können weiter mit Regierungsinseraten und Presseförderung rechnen. Wir bekommen von ÖVP und Grünen nichts, weil wir im Gegenzug nichts bieten.

Daher an dieser Stelle noch einmal meine Bitte: Wir brauchen Mitglieder im ZackZack-Club. Das sind ein paar Klicks auf unserer Seite und zehn Euro im Monat. Pressefreiheit ist das wert, hoffentlich vielen.

Weihnachtswunder

Aber vielleicht kommt alles anders. Nach den nächsten Enthüllungen brechen noch größere Dämme. Von „profil“ bis „Kurier“ reicht es den Redaktionen. Die ÖVP-Statthalter und die türkisen Wedelfedern werden auf die Straße gesetzt, die ORF-Parteibücher nach St. Pölten und in ein paar andere Städte zurückgeschickt. Dann beginnt es zu schneien und ein großer Schlitten fährt von Redaktion zu Redaktion, wo sich ein bärtiger Mann als Knecht Ruprecht vorstellt und Geschenke verteilt.

Weil ich an den Weihnachtsmann glaube, bin ich mir sicher, dass es so kommt.

Titelbild: APA Picturedesk

Autor

  • Peter Pilz

    Peter Pilz ist Herausgeber von ZackZack.

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