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Unverständnis für »Gurkerl«-Chef – Bietet nur 1.850 Euro-Gehalt

Das ist eine Unterüberschrift

Der Chef eines Lebensmittel-Lieferservices klagt über Mitarbeitermangel. Doch das sorgt angesichts eines angebotenen Gehalts von 1.850 Euro brutto im Monat für breites Unverständnis.

Wien, 15. Dezember 2022 | Das Geschäft beim Online-Lieferdienst „gurkerl.at“ läuft gut. Chef Maurice Beurskens erwartet für das Jahr 2022 90 Millionen Euro Umsatz, ein Plus von 40 Millionen im Vergleich zum Vorjahr. Das Unternehmen soll weiter wachsen, doch das gestaltet sich aufgrund fehlender Mitarbeiter als schwierig, so Beurskens gegenüber dem „Standard“.

Während bei „Gurkerl“ 100 Fahrer auf der Warteliste stehen, fehle dieselbe Anzahl von Mitarbeitern im Lager. Schuld sei laut dem Unternehmer die Politik, die es nicht schaffe, „die Menschen wieder in den Arbeitsmarkt zu bringen“. Der Verwaltungsaufwand bei der Einstellung von Mitarbeitern aus dem Ausland sei zu hoch.

Lagerarbeiter verdienen nur 1.850 Euro brutto

Doch die Nutzer im „Standard“-Forum und viele andere in den sozialen Netzwerken vermuten einen anderen Grund, warum sich niemand als Lagerarbeiter bewerben will. Lagerkräfte verdienen beim Online-Lieferdienst durchschnittlich 1.850 Euro brutto im Monat, viel zu wenig, meinen viele. Dass sich bei rund 1.400 Euro netto bei Zehn-Stunden-Schichten und Arbeiten in der Nacht und am Wochenende niemand bewerben möchte, wundert nur wenige. Würde man den Mitarbeitern ein besseres Gehalt bieten, würden auch mehr in diesem Job arbeiten wollen.

Inklusive Zulagen schauen im Durchschnitt 2.200 Euro brutto am Ende des Monats für jeden Arbeiter heraus, gibt Buerskens gegenüber ZackZack an. Mit 1.850 liegt das Gehalt somit knapp über dem Kollektivvertrag (1.816 Euro). Eine laut dem Unternehmer “im Branchenvergleich überdurchschnittliche” Bezahlung, man biete “verschiedene familienfreundliche Arbeitszeitmodelle” an. Mitarbeiter könnten dabei aus einer Vier- und Fünftagewoche und zwischen 30 und 38,5 Stunden wählen, heißt es.

Eine, die gekündigt hat

M. (Name von der Redaktion geändert), eine junge Studentin aus Wien, hat ihren Lager-Job beim Lieferdienst in Wien Liesing an den Nagel gehängt. Dabei sei das Gehalt aber nicht ausschlaggebend für die Kündigung gewesen. Wenig Geld zu verdienen wäre sie auch von bisherigen Studenten-Jobs gewohnt gewesen, erzählt sie gegenüber ZackZack. Vielmehr konnte sie mit den Arbeitszeiten nicht mehr leben.

Laut der Ex-Teilzeit-Mitarbeiterin hätten die Vollzeitkräfte jetzt zur Weihnachtszeit besonders viel zu tun. „Diese müssen jetzt vor Weihnachten teilweise Zwölf-Stunden-Schichten machen.“

Arbeitskräftemangel hausgemacht?

Dass Mitarbeiter oft dort fehlen, wo die Arbeitsbedingungen vergleichsweise weniger gut sind, ist bei Weitem kein neues Phänomen. ZackZack hat sich dem Problem Arbeitskräftemangel ausführlich im Sommer gewidmet. Jene Zeit, in der vor allem die Gastronomie über fehlende Mitarbeiter im Service und in der Küche klagte. Es zeichnet sich ein ähnliches Bild wie jetzt bei den fehlenden Kräften im „Gurkerl“-Lager.

40 Stunden zu familienfeindlichen Arbeitszeiten bei einem Gehalt nur knapp über dem sowieso schon niedrigen Kollektivlohn zu arbeiten, wollen anscheinend immer weniger Menschen. Die steigenden Lebenskosten sorgen dafür, dass es für immer mehr Menschen mit einem solchen Gehalt knapp am Ende des Monats wird.

Wehleiden der Arbeitgeber um vermeintlichen “Mangel”

Mit der Klage über einen „Fachkräftemangel“ würde von manchen Arbeitgebern und ihren Vertretungen sehr oft andere Ziele verfolgt, wie etwa “das Festhalten an relativ schlechten Lohn- und Arbeitsbedingungen oder mehr Arbeitsmigration in Niedriglohnbereichen”, kritisierte AK-Präsidentin Renate Anderl bereits im Sommer. Um Mitarbeiter für das Unternehmen zu gewinnen, müssten daher die Unternehmen bessere Jobs anbieten, anstatt billige Lösungen zu suchen.

Bei “Gurkerl” betont man, dass das Unternehmen “gerne bei der Integration von Mitarbeiter:innen in den Arbeitsmarkt unterstützt”. Derzeit sei beispielsweise der Aufwand für das Anmelden von Mitarbeitern – ganz gleich welcher Herkunft – für ein stark wachsendes Unternehmen ohne großen Verwaltungsapparat schier unmöglich. “Wir denken, dass durch Digitalisierungsmaßnahmen seitens Politik und Behörden Prozesse optimiert und die Wirtschaft weiter gefördert werden würde”, meint Beurskens.

(mst)

Titelbild: ROMEO GACAD / AFP / picturedesk.com (Symbolbild)

Autor

  • Markus Steurer

    Hat eine Leidenschaft für Reportagen. Mit der Kamera ist er meistens dort, wo die spannendsten Geschichten geschrieben werden – draußen bei den Menschen.

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