Freitag, April 26, 2024

RSF-Präsident Hausjell für neue ORF-Führung

Der Journalismus leidet Reporter ohne Grenzen-Präsidenten Fritz Hausjell zufolge unter Glaubwürdigkeitsverlust. Er fordert eine Überarbeitung der Medienbranche. 

Wien, 29. Dezember 2022 | Das Spannungsverhältnis Politik und Medien wirkt sich auf die Glaubwürdigkeit des Journalismus aus. Chats, Sideletter und Inseratenaffären haben das Vertrauen in die Medien geprägt, meint der Präsident von Reporter ohne Grenzen Österreich (RSF) im APA-Interview. Er tritt etwa für die Formulierung eines Code of Conducts, eine Selbstbeschränkung der Regierungs-PR und eine Neuausschreibung von ORF-Führungspositionen ein.

Dramatischer Absturz im Pressefreiheitsindex

Die heimische Medienbranche hatte heuer einen Absturz von Platz 17 auf Platz 31 im Pressefreiheitsindex von RSF zu verdauen. Mitschuld waren Angriffe auf Journalisten bei Coronademos, “Schikanen seitens der Polizei, bezahlte Umfragen in Boulevardmedien und eine Politik, die durch Korruption und Bestechung geprägt ist”, wie es bei der Präsentation im Mai hieß. Im Interview mit ZackZack im Frühling diesen Jahres sah der Medienexperte auch Einschüchterungsklagen von einflussreichen Personen gegen Medien sowie die starke Verflechtung von Eigentümern als Ursache für den Absturz im Pressefreiheitsranking. Die Mittel für Regierungs-PR seien gewachsen, während im Journalismus Arbeitsplätze verloren gingen. Chancengleichheit sei nicht mehr gegeben, konstatiert Hausjell.

Problematische Lösungsansätze

Um gegenzusteuern, solle sich die Politik bei den Aufwendungen für die Eigeninszenierung selbst beschränken – etwa auf 25 Prozent der gegenwärtigen Ausgaben. Zu begrüßen sei, dass ein Gesetzesentwurf verschärfte Transparenz bei der Inseratenvergabe der öffentlichen Hand vorsieht. “Eine tatsächliche Objektivierung findet aber nicht statt”, bemängelt der 63-Jährige. Denn es habe keine Konsequenzen, wenn ein Ministerium weiterhin willkürlich inseriert. Auch den Umstand, dass keine Deckelung der Inseratenausgaben vorgesehen ist, kritisiert Hausjell. Insgesamt gäbe es noch viel medienpolitischen Handlungsspielraum. “Es gibt nach wie vor kein Informationsfreiheitsgesetz. Damit sind wir das einzige Land in Europa.” Es handle sich hier um eine Grundsatzfrage: “Wie viel ist uns Demokratie, wie viel ist uns Transparenz wert?”

„Medienpolitik ist nicht Klientelpolitik“

Unverständlich ist für den RSF-Präsidenten, warum Medienministerin Susanne Raab (ÖVP) weiterhin keine Reform der ORF-Gremien anstrebt. Ein publik gewordener Sideletter, der Direktorenposten und den Vorsitz des Stiftungsrats unter ÖVP und Grünen aufteilt, sowie Chats über Einflussnahme auf den ORF sind seit Regierungsbildung an die Oberfläche gelangt. “Medienpolitik ist nicht Klientelpolitik, sondern sollte primär Demokratiepolitik sein. Entgegen einer Gremienreform strebt Raab nach einem Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs (VfGH) die Neuregelung der ORF-Finanzierung an. Wie diese künftig aussieht, ist offen.

Neuausschreibung der ORF-Führungsposten

Der Wissenschaftler tritt dafür ein, die gegenwärtigen ORF-Führungskräfte neu zu bestellen. “Sie haben jetzt alle ein Parteipickerl, manche verdienen es nicht.” Um sie davon zu befreien, sollte eine von einem internationalen Board begleitete Neuausschreibung und genaue Bewertung der Qualifikation der Kandidatinnen und Kandidaten vorgenommen werden – inklusive öffentlichem Hearing. Das durch Chats zutage getretene problematische Naheverhältnis mancher Politiker zu manchen Medien, das zu Rücktritten von Chefredakteuren geführt hat, überrascht Hausjell nicht: “Vertrauen ist eine Währung und die wird verspielt, wenn solche Dinge zum Standard einer Branche werden.” Wahrscheinlich sei es nun notwendig, einen Code of Conduct auf beiden Seiten auszuformulieren.

(nw/apa)

Titelbild: ROBERT JAEGER / APA / picturedesk.com

Nura Wagner
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2 Kommentare

  1. Finde ich sehr gut. Es muss sich etwas ändern. Vl. wird 2023 das Jahr dass hier mal etwas weitergeht. Ich hoffe innig dass die ÖVP unter 20% fällt. Diese Partei blockiert seit Jahrzehnten den Fortschritt Österreichs. Warum gibt es immer noch 20% die so einen Haufen wählen? Wenn nur 1-2% der Allerreichsten profitieren? Ich tippe auf Rassismus. Das kann die ÖVP wie keine andere. Wie kommen wir aus dieser Spirale heraus? 🌩️

  2. Alles dringende, und förderungswürdige Vorschläge denen ich zustimme.
    Nur wird sich das mit der korrupten Regierung nicht spielen. Die Opposition wird vermutlich auch dazu sich verhalten, wenn überhaupt, äussern. Es würde aus heutiger Sicht einen Machtverlust bedeuten, den keiner befürwortet, egal wer in der Regierung sitzt.

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