Samstag, April 13, 2024

Leben mit der „Bombe im Kopf“

Wegen Personalmangels am AKH wartet Natascha Nimmrichter seit Monaten auf eine Operation, die ihr die Angst vor einer lebensgefährlichen Hirnblutung nehmen soll.

Wien | Seit Juli 2021 lebt Natascha Nimmrichter mit einer Bombe in ihrem Kopf. Drei bis vier Millimeter groß ist die Aussackung an einer Arterien-Verzweigung im Gehirn. Der Zufallsbefund einer Untersuchung wegen Kopfschmerzen lautet: Aneurysma. Es ist zu klein, um operiert werden zu müssen, aber groß genug, um ihr Leben zu verändern.

Nimmrichter, eine kleine, quirlige Frau, ist damals 44 Jahre alt und arbeitet im Service. Sie wird für eine Operation im Oktober 2021 eingeplant. Doch im Februar 2023 wartet sie noch immer auf den Eingriff, der ihr die Angst vor der Hirnblutung nehmen soll. Die Corona-Pandemie und der anhaltende Pflegemangel haben dazu geführt, dass der Eingriff auf unbestimmte Zeit verschoben worden ist.

Auf den Aufnahmen scheint das Aneurysma als heller weißer Punkt auf. (c) ZackZack/Thomas König

Ungewissheit auf unbestimmte Zeit

Seit Jahren lebt Nimmrichter mit Migräne und wird dafür im AKH behandelt. Anfang 2021 bemerkt sie Kopfschmerzen, die ihr neu sind, auf der rechten Seite. Weil Nimmrichters Bruder bereits eine Hirnblutung hatte, ordnet ihr behandelnder Arzt ein MRT zum „Ausschluss eines Aneurysmas“ an.

Dass die OP nun auf unbestimmte Zeit verschoben ist, bedeutet für Nimmrichter, auf unbestimmte Zeit nicht genau über die Aussackung in ihrem Hirn Bescheid zu wissen. Immer wieder spricht sie von der Untersuchung, die zur Eingriffsplanung durchgeführt wird. Diese ergibt, wie das Aneurysma genau beschaffen und wie es am besten operiert wird. „Mich hat, glaube ich, schon die Angst von allen Seiten aufgefressen“, sagt sie.

Die „tickende Zeitbombe“

Meist entdeckt man Aneurysmen erst, wenn sie geplatzt sind. Deshalb haben sie den Ruf, tickende Zeitbomben zu sein. Hirnaneurysmen treten in Österreich und Deutschland bei 1,5 bis fünf Prozent der Bevölkerung auf. Sie können angeboren sein oder sich im Laufe des Lebens entwickeln.

Hirnaneurysmen treten bei Frauen häufiger auf als Männern. Mit dem Alter steigt das Risiko, dass sie platzen. Auch Rauchen, Alkohol- und Drogenkonsum und Bluthochdruck gelten als Risikofaktoren. Ab einer Größe von fünf bis sieben Millimetern werden sie in der Regel operiert.

Nur Notfälle

Wie viele Patienten, die in Österreich auf eine Operation warten, steht Nimmrichter auf einer Warteliste, die nach Dringlichkeit gereiht wird. Wegen Personalmangels und Rückstau wegen Corona sind die Wartelisten in den vergangenen Jahren immer länger geworden. In der Neurochirurgie am AKH ist derzeit ein Drittel der Betten gesperrt, ein Drittel weniger Operationen können durchgeführt werden. Auf anderen Stationen bietet sich ein ähnliches oder sogar noch dramatischeres Bild – ZackZack berichtete. Es fehlen Radiologie-Technologen und Pflegekräfte. Manchmal erfahren die operierenden Ärzte am Morgen des Tages einer Operation, dass wegen fehlenden Personals Eingriffe kurzfristig abgesagt werden müssen.

Der Personalmangel im AKH lässt Wartelisten wachsen und führt dazu, dass Operationen teils am selben Tag abgesagt werden. (c) ZackZack/Christopher Glanzl

Immer wieder hört Nimmrichter, dass aktuell nur Notfälle aufgenommen werden könnten, und dass ihr Aneurysma noch klein und formstabil ist. Sie will operiert, dafür aber nicht erst zum Notfall werden. „Bei Donnerschlag-artigen Kopfschmerzen ist eine sofortige Vorstellung auf der Neurochirurgischen Ambulanz empfohlen“, steht in der Krankenakte. Ein solcher „Vernichtungskopfschmerz“ ist eines der Symptome, das darauf hinweist, dass ein Hirnaneurysma geplatzt sein könnte.

„Es geht immer besser“

„Meine Lebenszeit läuft weiter“, sagt Nimmrichter, „und mein Leben steht einfach still.“ Nimmrichter ist überzeugt davon, das Aneurysma zu spüren. Wenn sie knapp dran war und zum Bahnsteig laufen musste, sitzt sie verzweifelt mit Kopfschmerzen und Sehbeeinträchtigung im Zug, mit dem Gedanken, sich selbst in Gefahr gebracht zu haben. Etwa 15 Minuten lang halten die Beschwerden und damit die Angst an. Allerdings: Die Symptome, die sie auf das Aneurysma zurückführt, decken sich mit jenen von Migräne.

An stressigen Tagen oder wenn sie sich körperlich anstrengt, hat Natascha Nimmrichter besondere Angst vor der “Bombe in meinem Kopf”. (c) ZackZack/Thomas König

Neurochirurg Karl Rössler schließt aus, dass die Symptome, die Nimmrichter spürt, vom Aneurysma stammen. Nicht bei der Größe und Lage, sagt er. Er leitet seit 2019 die Universitätsklinik für Neurochirurgie am AKH. Rössler ist ein schlanker Mann mit weißem Haar, auf seiner Nase sitzt eine Brille. Er hält auch nichts davon, Aneurysmen als „tickende Zeitbomben“ zu bezeichnen. Sie seien sehr häufig, bluten aber nur selten. Er ist überzeugt, dass Nimmrichter nach der Diagnose gut aufgeklärt worden ist. Rössler sagt aber auch: „Ihre Unsicherheit können wir uns ein bisschen anlasten.“ Durch bessere Kommunikation hätte man diese verhindern können. Aber er sieht unzufriedene Patienten ebenfalls in der Pflicht, sich an Ärzte oder die Ombudsstelle im AKH zu wenden.

Diagnose Kontrollverlust

„Wir wissen aus der onkologischen Forschung, dass die Zeit zwischen Diagnose-Stellung und Behandlungsbeginn zu den belastendsten Zeiten zählt“, sagt die Psychologin Birgit Hladschik-Kermer. Sie leitet seit 2017 die Abteilung für medizinische Psychologie an der Medizinischen Universität Wien. Fragen zu ihrem Fachgebiet beantwortet sie ausführlich in melodischem Hochdeutsch, das verrät, dass sie in Vorarlberg aufgewachsen ist. Stimme etwas im Körper nicht, sei das „ein gewisser Kontrollverlust“. Beginne die Behandlung, gewinne man die Kontrolle ein Stück weit zurück.

Verschiebe sich eine Behandlung, müssten Patienten über die Gründe informiert werden, darüber, was das für die Krankheit bedeute und wie gefährlich es sei. Ängste und Befürchtungen sollten offen angesprochen werden. „Das wird oft nicht getan, weil man glaubt, wenn man Ängste anspricht, dann sind sie erst recht da. Aber das stimmt nicht“, sagt die Psychologin. Ängste seien da. Man müsse sie respektieren und könne sie reduzieren, indem man sie anspräche und auf die Bedürfnisse der Patienten achte. Tue man das nicht, seien die Menschen auf weniger verlässliche Informationsquellen angewiesen, etwa das Internet.

Auch Nimmrichter versucht, ihre Angst in selbst gesammelten Informationen zu ertränken, „durch die fehlende Betreuung“, sagt sie. Sie recherchiert zu Hirnaneurysmen und Eingriffsmethoden, liest Studien und hat im Herbst 2022 einen Twitter- und einen TikTok-Account zum Thema erstellt. Mit den Informationen möchte Nimmrichter Betroffenen und Angehörigen helfen. Die TikTok-Videos sind bis zu 22.000-mal gesehen worden.

Die große Hoffnung

Im Sommer 2022 hat sich Nimmrichter an den renommierten Neurochirurgen Andreas Gruber in Linz gewandt. Sie leistete sich dafür die Zugreise hin und zurück, eine Nacht im Hotel und das Wahlarzt-Honorar. Das kann und will nicht jeder, weiß sie. Gruber hält nach der Untersuchung fest, dass eine Operation hinsichtlich der „vergleichbar geringen“ Größe und „des jungen Patientenalters“ zwar nicht notwendig, aber mit geringem Risiko möglich ist. Im Jänner 2023 ist Nimmrichter voller Hoffnung, die Angst vor dem Aneurysma bald hinter sich zu haben. Professor Gruber habe ihr versprochen, dass es bald losgehe, sagt sie: „Ich warte und richte alles her.“ Die OP soll im Linzer Kepler-Klinikum stattfinden.

Nimmrichter hofft, bald in Linz operiert zu werden. (c) ZackZack/Thomas König

Frieden gefunden

Nach den Interview-Anfragen von ZackZack ans AKH erhält Nimmrichter ein Gesprächsangebot. Und Rössler schickt ihr ein E-Mail. Man wolle ihr eine Studie zeigen, „die eindeutig zeigt, dass kleine Hirngefäßaneurysmen nicht so gefährlich sind, wie allgemein gesagt und geglaubt wird“, schreibt er. Wieder fühlt sie sich nicht ernst genommen. Erst der Gefäßspezialist, der sie schließlich anruft, zeigt ihr, „das Verständnis, um das es mir die ganze Zeit gegangen ist“. Er habe ihr sogar angeboten, sie auf der Warteliste vorzureihen. Auch Neurochirurgie-Leiter Rössler räumt ein, dass man jemanden, dem die Diagnose große Angst macht, früher versorgen muss als jemanden, der „cool“ damit umgeht. 

Nimmrichter hat nach dem Gespräch ihren Frieden mit „dem Thema AKH“ gefunden. Ihr Ärger über die Politik hält aber an. „Wenn im größten Krankenhaus keine ordentliche Neurochirurgie die nötige Behandlung anbieten kann, ist das schon ein Armutszeugnis für Österreich“, sagt sie.

UPDATE: Der Artikel wurde am 6. Februar um 11.33 Uhr dahingehend korrigiert, dass das Aneurysma nicht an einer Arterien-Verzweigung im Halswirbelbereich liegt, sondern tiefer im Schädel.

Titelbild: ZackZack/Thomas König

Pia Miller-Aichholz
Pia Miller-Aichholz
Hat sich daran gewöhnt, unangenehme Fragen zu stellen, und bemüht sich, es zumindest höflich zu tun. Diskutiert gerne – off- und online. Optimistische Realistin, Feministin und Fan der Redaktions-Naschlade. @PiaMillerAich
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17 Kommentare

  1. Ich erinnere mich an eine Zeit, in der man uns erklärte, dass die Intensivstationen am Rande des Zusammenbruchs stehen – und dann wurde der Jerusalema-Tanz einstudiert und getanzt ….. und Mitte November heulte im Mittagsjournal eine gewisse Karin Engel (sie bezeichnete sich als Stationsleitung in Linz), dass alle auf ihrer Station hunderte Überstunden machen würden – aber sie selbst ging gleich nach diesem Interview mal fü eine Woche auf Urlaub.

      • Prinzessin Bajrakitiyabha von Thailand ist 23 Tage nach ihrem 3. Booster aufgrund eines Aneurysmas #plötzlichundunerwartet zusammengebrochen und liegt seither im Koma. Thailand prüft jetzt, den Vertrag mit Pfizer zu annullieren, da die kriminelle Vorgehensweise von Pfizer bei der weltweiten Notfallzulassung durch Dr. Sucharit Bhakdi nachgewiesen wurde.

      • Wer sagt das? An plötzlichem Herztod etwa auch? Gibt es denn überheupt eine Übersterblichkeit seit 2021? Oder schwurbelt die Statistik Austria?

  2. Ludwig und Hacker sind Sozialisten und machen daher nichts falsch. An den Zuständen im AKH und den anderen KH in WIen sind Putler, Trump und Bolsonaro schuld, wahrscheinlich auch der Orban, die asozialen Ungeimpften und dann natürlich auch noch die Anziehungskraft des Mondes. Wir müssen eben mehr gendersprechen, brauchen Transgenderklos und Tampons auf Herrentoiletten, dann wird alles gut.

  3. Da ist die Kommunikation von Seiten des AKH wirklich schlecht gelaufen wenn die Frau aus Angst eine zweite Meinung einholt. Leider trägt die Berichterstattung über die angespannte Situation in den Krankenhäusern nicht unbedingt dazu bei, die Menschen zu beruhigen. Seit soviel darüber berichtet wird haben plötzlich immer mehr Leute Angst, falsch oder mangelhaft behandelt zu werden. Die meisten von ihnen allerdings zu Unrecht. Leider haben die Populisten damit auch wieder ein neues Thema entdeckt um die Menschen in Angst und Schrecken zu versetzen damit sie sich dann als Heilsbringer präsentieren können. Nur Lösungsvorschläge für die Spitalsmiesere bringen sie wie immer keine. Wünsche der Frau auf alle Fälle alles gute für die bevorstehende OP im Keppler Klinikum, wo sie bestimmt in besten Händen ist.

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