Samstag, Dezember 7, 2024

Aslan: “Im Mittleren Osten regiert das Geld die Politik”

Bis 2021 stand Berivan Aslan unter Polizeischutz: ZackZack Türkiye hat mit der Grünen-Politikerin über die Reform der Wiener MA35, über die Lage im Iran und den Wahlkampf in der Türkei gesprochen.

Wien | Berivan Aslan gilt als prominentes Gesicht der österreichischen Grünen. Die Tirolerin ist seit 2020 Landtagsabgeordnete in Wien. In den Siebziger Jahren kam ihr Vater aus politischen Gründen nach Europa, erzählt sie ZackZack Türkiye. Ihre Mutter zog erst Ende der 80er Jahre mit ihren Kindern nach Österreich. „Sie waren nicht freiwillig hier. Sie verpassten die letzten Momente mit ihren eigenen Eltern, das war schmerzhaft“, sagt Aslan.

Die Politikerin, die von 2014 bis 2017 für die Grünen im Nationalrat saß, stand besonders ab 2020 im internationalen Fokus der Aufmerksamkeit, als sie monatelang fast eingesperrt in einer Wohnung unter verschärftem Polizeischutz stand. Ein mutmaßlicher Auftragsmörder des türkischen Geheimdienstes stellte sich den österreichischen Behörden und gab an, einen Mordauftrag erhalten zu haben. Kurz vor der Verhandlung wurde der mutmaßliche Auftragsmörder vom österreichischen Innenministerium abgeschoben. Aslan bemängelt,  dass der Fall für die Hintermänner „rechtlich und politisch konsequenzenlos“ blieb.

(C) ZackZack/Christopher Glanzl

Türkischer Wahlkampf

Derzeit läuft – trotz der verheerenden Erdbebenkatastrophe – der Wahlkampf in der Türkei, den auch Berivan Aslan aus Österreich beobachtet. Ihr liegen besonders die vielen Oppositionspolitiker am Herzen, die inhaftiert oder mit einem Berufsverbot belegt wurden – ZackZack hat berichtet. Aslan: „Einige von ihnen mussten wegen der Haftstrafen ins Exil fliehen. Ohne internationale Unterstützung ist es schwierig, eine parlamentarische Mehrheit ohne die AKP zu schaffen.“ Die europäischen Politiker müssten aufhören, die menschenrechtswidrige Politik der AKP zu unterstützen, fügt sie hinzu.

Auch die Kurdenfrage beschäftigt die Grüne, die selbst Kurdin ist. Am 13. November 2022 hatte es auf der İstiklal Caddesi in İstanbul einen Bombenanschlag gegeben, für den die Erdogan-Regierung die als Terrororganisation eingestufte PKK beschuldigte. Was sagt Berivan Aslan dazu? „Alle, die sich mit der türkischen Politik beschäftigen, wissen, dass jede Explosion vor den Wahlen der AKP-Regierung zugutekommt. Die PKK hat sich eindeutig distanziert und den Angehörigen ihr Beileid ausgesprochen. Mich interessiert eher, wie die NATO zu diesen wiederholten Verstößen gegen das Völkerrecht stehen.“ Die Türkei, meint sie, sei „nicht irgendein Land, sie ist ein EU-Beitrittskandidat“. Und: „Die kurdische Bevölkerung hat die Nase voll, ständig Menschenleben zu opfern, wenn türkische Wahlen bevorstehen und nationalistische Stimmen gebraucht werden.“

(C) ZackZack/Christopher Glanzl

Graue Wölfe

Auch in Wien kam es 2020 zu Ausschreitungen zwischen kurdischen Demonstrantinnen und türkischen Rechtsextremen im 10. Wiener Gemeindebezirk. Aslan kritisiert, dass das Innenministerium (BMI) die Ermittlungen ergebnislos einstellte. „Es war fatal“, sagt sie, „dass man politisch zurückgerudert ist.“ Zum ersten Mal in der Geschichte Österreichs sei eine ausländische rechtsextreme Gruppe wie die Grauen Wölfe,so schnell präsent und gewalttätig gewesen. Es hätte viel Ermittlungsmaterial gegeben für die Behörden: „Anstatt hier die Chance zu nutzen, diesen Extremismus zu bekämpfen, hat die rechtspopulistische Politik daraus nur einen ‚kurdisch-türkischen Streit‘ gemacht.“ Es habe sich aber vielmehr um einen Konflikt „zwischen Demokratinnen und Antidemokraten“ gehandelt.

(C) ZackZack/Christopher Glanzl

Apropos Demokratie: Ein Thema, das Aslan in ihrer politischen Arbeit besonders wichtig ist, ist die Wiener Ausländerbehörde MA35, wo sie viele Baustellen sieht. ZackZack gegenüber schlägt sie eine lange Liste an Verbesserungen vor: „Wir als Grüne fordern eine Beschleunigung der Verfahrensdauern, eine Digitalisierung der Prozessabläufe, eine nachhaltige Aufstockung des Personals, eine Aufstockung von Weiterbildungsangeboten für Mitarbeiter und die Schaffung von mehr Transparenz bei der Umsetzung der einzelnen Reformschritte, einschließlich einer halbjährlichen Evaluierung der Reformfortschritte.“

Frage der Staatsbürgerschaften

Dass die regierende Wiener SPÖ die Prozesse erleichtern will, an Staatsbürgerschaften zu gelangen, begrüßt sie grundsätzlich – allerdings: „Als Verfechterin der Menschenrechte finde ich es großartig und zeitgemäß, dass ein solches politisches Ziel gesetzt wird, aber hier passt die Theorie nicht zur Praxis. Die Verschärfungen in unserem kaputten Fremdenrecht und Staatsbürgerschaftsrecht wurden unter SPÖ-Kanzlerschaften beschlossen.“ Die Missstände in der MA35 seien so groß, dass erst die Rahmenbedingungen für eine vereinfachte Staatsbürgerschaft geschaffen werden müssten, bevor man weiter über Reformen reden könne, argumentiert Aslan. Außerdem wirft sie die Frage auf: „Warum hat die Wiener SPÖ den NEOS die MA35 überlassen, wenn das Thema für sie so wichtig ist?“

Feministische Außenpolitik

Im April 2019 wurde Berivan Aslan von der Internationalen Organisation für Migration (IOM) und der Organisation Female Voices of the World (FVW) in der Kategorie Menschenrechte für ihr friedenspolitisches Engagement ausgezeichnet. Aktuell beschäftigt sie insbesondere die Lage im Iran: „Wenn es mehr als 400 Menschenleben kostet und eine österreichische Kleinstadt ins Gefängnis bringt, dann ist es eher eine Revolution als ein Protest.“ Die Menschen im Iran hätten es satt, weiterhin „von diesen menschenverachtenden Köpfen“ regiert zu werden, die „noch dazu auf roten Teppichen in Europa empfangen“ würden.

(C) ZackZack/Christopher Glanzl

Was können wir tun? „In der Politik des Mittleren Ostens regiert das Geld die Politik, also sollten zuerst die Finanzquellen des Regimes abgeschnitten werden“, so Aslan. „Wir brauchen gezielte Sanktionen, die das iranische Regime direkt treffen und die Ausweitung seines Atomprogramms zu militärischen Zwecken verhindern.“ Gleichzeitig dürften diese Sanktionen die iranische Bevölkerung nicht weiter wirtschaftlich benachteiligen, meint sie. „Die Fortsetzung der Atomverhandlungen darf nicht auf Kosten von Demokratie und Grundrechten gehen.“

Titelbild: ZackZack/Christopher Glanzl

Autor

  • Gabriel Hartmann

    Reporter für türkisch-österreichische Gschichten. Beobachtet die Entwicklungen und den Wahlkampf in der Türkei. Dil kılıçtan keskindir.

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