Hunderte Dokumente zeigen, wie stark Kreml-nahe Netzwerke das Privatjet-Business dominieren und Wien als Drehscheibe nutzen. Die UniCredit Bank Austria fällt dabei mit umstrittenen Finanzierungen auf. Internationale Recherche mit IrpiMedia (Italien).
Recherche von Benjamin Weiser und Lorenzo Bagnoli. Mitarbeit: Nura Wagner. |
Wien/Rom | Im Geschäft mit Privatjets ist Diskretion die wichtigste Währung. Vor allem für Kreml-nahe Akteure. ZackZack und „Radio Free Europe/Radio Liberty“ lüfteten im Juni 2022 den Vorhang hinter den Wiener Privatjets aus dem Reich des russischen Staatskonzerns Rosneft. Doch es zeigt sich: Das ist kein Einzelfall.
Monatelang gingen wir zusammen mit der italienischen Investigativplattform „IrpiMedia“ Spuren nach, sichteten hunderte Dokumente, sprachen mit Insidern (Hier geht’s zum Text von “IrpiMedia”). Die Recherche enthüllt, wie die österreichische Privatluftfahrt von Playern mit starken Zugängen in Richtung Kreml beherrscht wird. Mittendrin: die Bank Austria, eine Tochter der italienischen UniCredit Group. Besonders im Umfeld des Wiener Privatjet-Riesen Avcon Jet taucht die Bank Austria mit diskreten Finanzierungsgeschäften auf. Zuweilen im Rahmen seltsamer Deals.
Die Bank
Die Bank Austria ist neben der Raiffeisenbank International (RBI) und der Erste Bank eines der drei großen Geldhäuser in Österreich. An der Spitze: Der 52-jährige Robert Zadrazil. Der österreichische Banker kann auf eine knapp 20 Jahre lange Karriere in der UniCredit-Familie zurückblicken. Seit 2018 steht er auch dem Aufsichtsrat der Österreichischen Kontrollbank vor und sitzt damit an einer wichtigen Schnittstelle des österreichischen Kapitalmarktes.
Jedoch war sein bisheriger Weg am Finanzplatz Wien nicht frei von Kritik. So sah sich die Bank Austria im Jahr 2017 gezwungen, einen Bericht im „Falter“ zu kommentieren. Im Fokus dabei: der Lobbyist Andreas Königsberger und seine undurchsichtigen Geschäfte mit der Bank Austria. Der Bank zufolge habe das aber nichts mit Zadrazils reger Nutzung von Avcon Jet-Maschinen – darunter auch Königsbergers damalige Cessna Citation CJ2 – zu tun gehabt. Doch bis heute sind die geschäftlichen Verbindungen zum Umfeld von Avcon Jet ein brisantes Thema im Bankkonzern.
Das Geschäft mit den fliegenden Millionenwerten ist komplex. Über Leasinggesellschaften finanziert der UniCredit-Konzern Privatjets. Zielpublikum dieser Finanzierungen sind zumeist schillernde Unternehmerpersönlichkeiten aus der vormaligen Sowjetunion, die gerne ihre Vermögen im sicheren Europa parken. Und mit dem nötigen Kleingeld sind ebendiese Jets frei buchbar – das ist das Millionen-Business von Avcon Jet.
Die Flugzeug-Dealer
Auch die Bundesregierung nutzt diesen Service, im Jahr 2022 etwa der Innenminister und sein Kabinett – für ein Meeting in Brüssel „Zur Situation in der Ukraine“. Neben dem Flugpreis fallen noch weitere Kosten für Piloten oder Wartungsteams an, die wiederum von externen Dienstleistern bereitgestellt werden. Wie sich durch Firmenbuchrecherchen nachvollziehen lässt, ist Avcon Jet an allfälligen Ersatzteil- und Arbeitskräfteüberlassungsfirmen praktischerweise selbst beteiligt. Eine Win-Win-Situation.
Eine mehr als 80 Flieger starke Flotte und weit verzweigte Firmenkonstrukte machen Avcon Jet zu einem der europäischen Marktführer. Am Wiener Firmensitz in der Wohllebengasse im vierten Wiener Gemeindebezirk ist zumindest offiziell eine weitere illustre Firma angesiedelt: die Pyxis Aviation Group. Ein Broker, der geeignete Käufer für Maschinen suchen soll. Auf den Schildern im Eingangsbereich sieht man Pyxis Aviation nicht.
Aber wie hängen Avcon Jet und Pyxis Aviation zusammen? Von beiden wurde im Jahr 2015 die Wiener Firma My24Jets GmbH gegründet. Im maltesischen Sliema hat man denselben gesetzlichen Vertreter und sitzt gemeinsam an einer Adresse, die von außen wie ein privater Wohnkomplex wirkt. Beide, Avcon Jet und Pyxis Aviation, tauchen auch rund um die „Paradise Papers“ auf, einem riesigen Offshore-„Steueroasen“-Leak. Das lässt freilich nicht automatisch auf illegale Aktivitäten schließen.
Weitere Recherchen zu Pyxis Aviation führen zu einer eine britische Büroadresse. Dort lässt sich ein Luxus-Cottage bestaunen. Bei Avcon Jet wiederum landet man in Südafrika. In einer Unterkunft namens „Nova Constantia“ in Kapstadt. Im Nobelbezirk Constantia kann man sich ein paar Tage mit Pool und Tennisplatz gönnen. Ein Hinweis auf das Flugzeug-Business? Fehlanzeige. Eigentümer und Hotelmanager waren für die Redaktion nicht erreichbar. Welchen Zweck haben all diese Standorte? Darauf gibt es von Avcon Jet und Pyxis Aviation auf Nachfrage keine Antwort.
Moskauer Spuren: „Nicht innerhalb unseres Risikoappetits”
Auf dem Papier sind bei Avcon Jet EU-Staatsbürger in Verantwortung – eine Voraussetzung für die Erteilung der Lufttüchtigkeit. Aufsichtsrat und Ex-SPÖ-Finanzminister Andreas Staribacher gilt als Vertrauensmann für jene in der Branche, die viel Wert auf Diskretion legen. Für Schlagzeilen sorgten manche dennoch. So deckte ZackZack auf, dass der von Avcon Jet gemanagte Firtasch-Flieger von Sebastian Kurz gebucht wurde. Dmytro Firtaschs Firmen waren bis vor Kurzem in einer Nebenstraße des Wiener Avcon Jet-Sitzes angesiedelt. Knappe 200 Meter weiter: die Handelsvertretung der Russischen Föderation und Ex-Avcon Jet-Aufsichtsrat Andrej Kotchetkov.
Kotchetkov ist ein alter Bekannter. Er erlangte durch die Ibiza-Affäre und die von der Finanzmarktaufsicht gestoppte Alizee Bank zweifelhafte Prominenz. Offiziell ist der in Moskau geborene Geschäftsmann Österreicher. Welche Rolle spielt er? Ein ZackZack und „IrpiMedia“ vorliegender „Periodic Risk Review“, eine Beurteilung der Risiken von Geschäften mit Avcon Jet Limited (Isle of Man), beweist: Kotchetkov war noch Stand 2018 wirtschaftlich Berechtigter (englisch: Ultimate Beneficial Owner) von Avcon Jet Limited, deren 100-Prozent-Anteilseignerin Miraculix Business Beteiligungs GmbH wiederum bei der Avcon Jet AG in Wien sitzt. Das konterkariert Branchengerüchte, wonach sich Kotchetkov schon lange davor zurückgezogen haben soll. Avcon Jet äußerte sich auf Anfrage nicht dazu.
Nicht zuletzt bei der Zahlungsabwicklung wird man kreativ: Avcon Jet Limited setzt bei der Bezahlung der Crew auf Banken aus Steueroasen, etwa die Cayman National Bank (Isle of Man). Im Umfeld dieser Bank heißt es laut einem vorliegenden Mailverkehr aus dem Oktober 2019, dass sich der mit Avcon Jet verbundene Piloten-und Service-Dienstleister SOS Limited aufgrund von Russland-Connections nicht „innerhalb unseres Risikoappetits“ bewege. In einem anderen Mail ist die Rede davon, dass „dieses Konto (SOS Limited) auf ‘Hohes Risiko’ angehoben werden muss“. Ob man nach diesen Urteilen noch ein Konto von SOS Limited geführt hat, wollte die Cayman National Bank auf Anfrage nicht sagen.
Es gibt aber noch mehr Spuren nach Moskau. Das Portal „50 Sky Shades“ (2015) und die Zeitung „Novaja Gazeta“ (2010) berichteten von einer finnischen Jet-Firma namens Airfix Aviation, die dem Putin-nahen Oligarchen Gennadi Timchenko zugerechnet wurde. Wegen US-Sanktionen landeten die Jets unter anderem bei Avcon Jet. In den Berichten findet auch die Gazprom-nahe Firma ZGG-Zarubezhgazneftechim Trading GmbH Erwähnung, die dem finnischen Luftfahrregister zufolge bereits im Jahr 2009 einen Flieger an einer Wiener Adresse parkte. Dort wiederum hat eine illustre Tarnfirma von Gazprom ihren Sitz: die Centrex Europe Energy & Gas AG.
Ein mysteriöser Dreifach-Verkauf
Doch zurück zur Bank Austria. Viel Geld wird gerade bei Jet-Verkäufen oder Neufinanzierungen umgesetzt. Und hier kommt die UniCredit-Banktochter ins Spiel. Auf Grundlage umfangreicher Dokumente lässt sich ein merkwürdiger Deal nachzeichnen, bei dem nicht nur die Bank Austria beteiligt war, sondern eben auch jener Broker aus dem Avcon-Universum: Pyxis Aviation. Sie erinnern sich, die Firma ohne Türschild im vierten Bezirk.
Wir begeben uns ins Jahr 2017. Ein Jet vom Typ Gulfstream G280, der eine Höchstgeschwindigkeit von 870 km/h hat, fliegt mit dem österreichischen Kennzeichen OE-HKT quer über den Globus. Leasingnehmer ist die Wiener Firma KamAvia Handels GmbH. Ab 2017 stemmt die Bank Austria-Leasinggesellschaft BACA HYDRA die Finanzierung des Flugzeugs. Avcon Jet ist auch mit von der Partie und übernimmt im Oktober 2021 das Management der Maschine.
Und dann verändert ein Tag die Welt: am 24. Februar 2022 fallen russische Truppen in die Ukraine ein. In der Branche bricht Panik aus. Jeder weiß, dass bei Sanktionen ab jetzt wieder genauer hingesehen wird. Ob der Flieger betroffen ist, ist unklar – Experten sprechen beim Thema Sanktionen generell von massiver Rechtsunsicherheit. Auf jeden Fall soll der Jet abgestoßen werden. Der Weg dorthin wirft viele Fragen auf: Im Mai 2022 interessiert sich die britische Jetcraft Global (UK) Limited für die Gulfstream, geht aber vorerst leer aus. Das Angebot liegt ZackZack und „IrpiMedia“ vor und ist auf satte 14,4 Millionen US-Dollar taxiert.
Keine zwei Monate später geht ein mysteriöser Dreifach-Verkauf über die Bühne. Am 12. Juli 2022 sichert sich der Avcon Jet-nahe Broker Pyxis Aviation das Flugzeug. Viel vor hat man damit offenbar nicht, denn noch am selben Tag wird die Maschine wieder verkauft. Seltsamerweise an die zuvor unterlegenen Briten von Jetcraft. Schließlich wird die Gulfstream ein drittes Mal am 12. Juli 2022 verkauft. Diesmal geht das Flugzeug an die US-Firma Dream Catcher LLC 2020.
Drei Verkäufe am selben Tag? Welchen Sinn hatte die zwischengeschaltete Pyxis Aviation, wenn der Endkunde bereits klar war? Dazu haben Whistleblower eine brisante These: Der angebliche „Back to Back“-Verkauf habe dazu gedient, Pyxis Aviation lukrative Erträge in die Kasse zu spülen. Wie entsprechende Papiere zeigen, steht in einem Feld des ersten von drei nahezu gleichzeitig abgeschlossenen Verträgen lediglich „Foreign Seller“ (ausländischer Verkäufer). Anstelle des Platzhalters müsste eigentlich die Verkäuferin des Jets, die Bank Austria-Leasinggesellschaft, stehen. Stattdessen ist nur die Unterschrift eines Bank-Mitarbeiters verewigt (von ZackZack geschwärzt). Whistleblower sehen darin eine „sehr unübliche“ Vorgehensweise.
UniCredit hält alle Vorschriften „genauestens ein“
Ein Sprecher der UniCredit betont auf Nachfrage, man gebe „grundsätzlich keinen Kommentar zu (potenziellen) Kunden oder einzelnen Geschäftsfällen ab“, will aber darauf hinweisen, „dass wesentliche der von Ihnen aufgestellten Behauptungen sachlich falsch sind.“ Darüber hinaus halte der Konzern und seine Tochtergesellschaften „alle nationalen und internationalen rechtlichen Vorschriften genauestens ein, insbesondere auch in Bezug auf Geldwäsche und Finanzsanktionen, und wendet diese ausnahmslos an. Insbesondere den Vorwurf, die UniCredit hätte Geschäftsbeziehungen zu sanktionierten Personen, weisen wir entschieden zurück.“
Info-Box: Warum Leasinggeschäfte heikel sein können
Ein Leasingvertrag sieht vor, dass eine Partei einer anderen gegen Zahlung einer Leasingrate die Nutzung seines Privatjets überlässt. Nach einem vertraglich festgelegten Zeitraum kann der Nutzer den Jet gegen Zahlung einer Gebühr erwerben. Es sind drei Formen des Leasings möglich: operatives Leasing (reine Vermietung), Finanzierungsleasing (der Nutzer kauft das Objekt) oder Rückmietungsverkauf (jemand verkauft ein Objekt an eine Leasinggesellschaft und nutzt es gegen Zahlung einer Gebühr). In der Branche wird in der Regel auf Finanzierungsleasing zurückgegriffen.
Mit Blick auf Geldwäschebekämpfung könnten manche Leasingverträge ähnliche Risiken aufweisen wie „Loan back“-Kredite (Kredite an sich selbst), so der Vize-Direktor von Transcrime, Michele Riccardi zu „IrpiMedia“: „Zwei Firmen, A und B, könnten den Kauf und Verkauf eines Jets nutzen, um mittels Dreieck mit einem Leasingunternehmen C, das alle Vorschriften einhält, Geld zu waschen. Dieses hypothetische Schema könnte direkte Verbindungen mit Hilfe komplexer Firmenstrukturen verbergen, wodurch eine Identifizierung des wirtschaftlichen Eigentümers eines Vermögenswertes schwierig wird“.
„Das war’s wohl mit unter dem Radar“
Wie eng das Geschäftsverhältnis der UniCredit-Familie zu Pyxis Aviation zu sein scheint, illustriert ein weiterer Fall. Offensichtlich mit dabei: Bank Austria-CEO Zadrazil. Im April 2016 löst die italienische UniCredit Global Leasing Export eine Finanzierung auf. Es geht um die Embraer Legacy 600 mit dem Kennzeichen M-ESGR, die zunächst einer Firma des russischen Ex-Energieministers Sergej Generalov und dann dem ukrainisch-russischem Oligarchen Konstantin Grigorischin zugerechnet wird – beide können die Maschine nicht halten. UniCredit-Gutachter setzen den Mindestverkaufspreis bei 6,5 Millionen US-Dollar an. Für die Vermittlung des Fliegers werden drei Broker-Firmen zugelassen. „Wenn so ein Jet am Markt frei ist, spricht sich das herum“, sagen Insider zu ZackZack.
Stunden nach dem ersten Angebot ist die UniCredit-Tochter alarmiert: „Das war’s wohl mit unter dem Radar. Das ist doch die M-ESGR in dem specsheet von M., oder? Woher haben die das alles jetzt schon? Vor Allem (sic!) inkl. der professionellen Fotos?!?!?“, schreibt ein Mitarbeiter in einem Mail. Noch am selben Tag wird von der Abteilungsleitung die Anweisung gegeben, jegliche Zuckung am Markt umgehend zu melden: „Sorry Leute, aber die Lage rund um das Flugzeug und die weitere Vorgangsweise ist ein bisschen verzwickt.“
Rolle von Zadrazil bleibt unklar
Mitten in der Nacht auf den 20. September 2016 trudelt plötzlich ein weiteres Angebot ein. Es kommt von Pyxis Aviaton. Problem: Unter den vorgeschlagenen Brokern befindet sich die Firma gar nicht. Bank-intern gilt Pyxis Aviation als umstritten. Als ein UniCredit-Gutachter Kritik anmeldet, wird er abgemahnt und später vom Dienst freigestellt.
Am Morgen nach dem Angebot geht es schnell, damit – wie es heißt – „die Kuh vom Eis sein“ sollte. Warum die Nervosität? Darüber dürfte ein weiteres Mail Aufschluss geben, das eine unübliche Intervention von Bank-Chef Zadrazil höchstpersönlich vermuten lässt. Immerhin hat er mit der italienischen Leasing-Tochter des UniCredit-Konzerns nicht direkt etwas zu tun: „Wir haben vor zwei Wochen den Verwertungsantrag für den Flieger unterschrieben. Darin waren 3 Broker genannt, die uns vom Competence Center Aviation empfohlen wurden. Bank Austria (Zadrazil) hat uns nun gebeten, die Verwertung an Pyxis Aviation zu geben, mit der es in der Vergangenheit zwar Themen gab, mit der es jetzt aber offensichtlich nun eine vertiefte Geschäftsbeziehung gibt.“
Ob die im vorliegenden Vertragsentwurf genannten 2,5 Prozent Provision an Pyxis Aviation tatsächlich ausgezahlt wurden, ist nicht überliefert. Doch das Gesamtbild zeichnet deutliche Konturen: Die Abwicklung gegen interne Widerstände scheint für die Bank Austria kein Problem gewesen zu sein. Auch zu diesem zweiten Fall wollte sich die UniCredit nicht inhaltlich äußern. So bleibt auch die Rolle von CEO Zadrazil letztlich unklar. Avcon Jet, Pyxis Aviation und SOS Limited ließen Anfragen unbeantwortet.
Titelbild: ZackZack/Miriam Mone