Samstag, Juli 27, 2024

Der Gegenschlag der Fleischmänner

Der Strafantrag gegen Sebastian Kurz war das Startsignal für den türkisen Gegenschlag gegen WKStA und Richter.

Gestern stellte Andreas Cervinka auf Twitter eine gute Frage: „Liebe Frau Thalhammer, Sebastian Kurz wurde angeklagt. Ok. Wieso dreht es sich seitdem laufend um Peter Pilz?“

Genau das frage ich mich auch. Es stimmt, ich habe die „profil“-Chefredakteurin auf zwei Falschmeldungen rund um die Kurz-Anklage hingewiesen. Ihre Reaktion war, gelinde gesagt, unverhältnismäßig. Aber das ist ihre Sache und vielleicht auch die von „profil“.

„Reporter ohne Grenzen“-Vorsitzender Fritz Hausjell gab Thalhammer daraufhin einen guten Rat: „Ich empfehle Journalist*innen im Falle eines Politikers, der sie strikt ins Freund/Feind-Schema presst(e), um besondere Distanz zur Polit-PR. Zudem lohnt selbstkritischer Rückblick, weil Fleischmänner wieder da sind.“

Aber die Frage bleibt. Es war ja nicht Thalhammer alleine, die auf den Strafantrag gegen Kurz bemerkenswert reagierte. In dem, was von Thalhammer und „Oe24.at“ bis „Kurier“ und „Kronen Zeitung“ an Seltsamem zu lesen war, zeichnet sich ein Muster ab. Es ist das Muster des Gegenschlags der ÖVP.

Der Gegenschlag

Offenbar hat man in den beiden Hauptquartieren der ÖVP in der Bundespartei und im Kurz-Büro mit der Anklage gerechnet. Das, was seit Freitagmorgen läuft, ist durchdacht und abgestimmt.

In der ersten Welle sollen zwei Ziele angegriffen und beschädigt werden: die WKStA und der Richter, der das Verfahren leiten soll.

Der Angriff auf die WKStA

Die WKStA hat die ÖVP überrascht. Niemand dort scheint mit einem detailliert begründeten 108-seitigen Strafantrag gerechnet zu haben. Wer ihn liest, weiß, dass die Anklage exzellent begründet ist.

Auf die Anwälte der drei Angeklagten wartet schwer Arbeit. Aber Kurz und seine Partei haben neben Anwälte auch Fleischmänner. Deren erstes Mittel hat sich oft bewährt: Aus der ÖVP wird geleakt und dann gleich mit dem Finger auf andere gezeigt: „Leaker!“ Genau das scheint mit der Anklageschrift vor zwei Tagen geschehen zu sein. Als sich Sebastian Kurz routiniert darüber aufregte, dass er „von Journalisten“ zuerst informiert worden sei, war schnell klar, dass das Teil des Nebels war. Fakt ist: Das Exemplar des Strafantrags, das unter Wiener Medien in Kopien zirkulierte, stammte nicht aus der Justiz und damit nicht aus der WKStA.

Es ist üblich, dass Anwälte der Beschuldigten Dokumente dieser Art an „befreundete“ Journalistinnen „hinausspielen“ und sich in der Berichterstattung dafür eine Gegenleistung erwarten. „Profil“ scheint die Kopie als erstes Medium erhalten zu haben. Auf die Frage, ob das Dokument über die Chefredakteurin „gespielt“ worden ist, gibt sie keine Antwort.

Für mitschwimmende Journalisten ist es ganz einfach: Kurz beschwert sich über „Leaks“ und sie berichten darüber. Ernsthafte Journalisten würden prüfen, ob der Kurz-Vorwurf stimmt. „Profil“ muss wissen, woher die Kopie stammt. Aber „profil“ schweigt.

„Der Standard“-Redakteur Markus Sulzbacher wundert sich: „Schon beachtlich, wer für Kurz ausreitet. Noch beachtlicher, wer sein WKStA-Framing übernimmt.“

Mit dem falschen „Leaks“-Vorwurf soll die Glaubwürdigkeit der WKStA beschädigt werden. Gelingt das, droht der nächste übliche Schlag: die Enttarnung des „roten Netzwerks“.

Das Risiko

Für Sebastian Kurz und die ÖVP wächst mit Prozessbeginn auch das politische Risiko dramatisch. Hier setzt das nächste Framing ein: Das „Risiko“ wird von der ÖVP auf die WKStA umverteilt. Der Kurier übertitelt seinen Leitartikel: „Mit der Anklage gegen Sebastian Kurz geht die WKStA ein hohes Risiko ein“.

Kurier-Innenpolitik-Chef Martin Gebhart gibt die Risiko-Linie für die WKStA vor: „Für sie wird es zu einem Tanz auf des Messers Schneide“. Gebhart weiß, was fehlt: „Seitdem Sektionschef Christian Pilnacek und Oberstaatsanwalt Johann Fuchs von der Ministerin an den Spielfeldrand gestellt wurden, scheint es keine wirkliche Fachaufsicht mehr zu geben“. Für dieses Ziel werden offensichtlich “Kurier”-Messer geschliffen und „oe24“-Granatwerfer befüllt.

Die „Kronen Zeitung“ geht einen Schritt weiter: “´auf tönernen Beinen´: Woran die Anklage gegen Kurz scheitern könnte“.

Damit soll der Fokus verschoben werden. Leserinnen und Leser bekommen den Eindruck, dass neben Kurz auch der WKStA der Prozess gemacht wird. „Verliert“ die WKStA, dann steht für sie, wie der „Kurier“ erklärt, „viel auf dem Spiel“. Ein rechtsstaatliches Verfahren wird so in einen Machtkampf umgedeutet. Am Rande stehen Journalisten ÖVP-naher Medien und vergeben die Punkte, die über Sieg und Niederlage entscheiden.

Der Angriff auf den Richter

Im Fall “Kurz, Bonelli und Glatz-Kremsner” verhandelt ein Einzelrichter. Er führt das Verfahren und entscheidet am Ende über Schuld oder Unschuld.

Michael Radasztics ist aufgrund der Geschäftseinteilung durch „Zufallsgenerator“ zum Kurz-Richter bestimmt worden. Als Staatsanwalt hat er sich durch langjährige und hartnäckige Eurofighter-Ermittlungen einen Ruf als Vertreter einer unparteilichen und unbeeinflussbaren Strafjustiz erworben. Als Richter scheint die ÖVP gerade das von ihm zu befürchten. Also wird gegen Radasztics mobil gemacht. Wie das von „oe24.at“ bis Thalhammer bewerkstelligt wird, habe ich gestern auf ZackZack beschrieben.

Radasztics hat rund um „Eurofighter“ bereits einen Rufmordversuch überstanden. Wahrscheinlich weiß er, was ihm von türkiser Seite bevorsteht. Die ÖVP-Granatwerfer in den Redaktionen werden bereits geladen. Erste Nebelgranaten geben einen Vorgeschmack, was die Öffentlichkeit rund um die Hauptverhandlung erwartet.

Vorspiel mit Kurz

Dabei geht es nicht nur um WKStA und einen Richter. Die Angriffe der ÖVP gelten einem System, an dem sie eines stört: dass es nicht mit türkisen Zügeln gelenkt werden kann.

Während sich Sebastian Kurz auf die Anklagebank vorbereitet, fährt Karl Nehammer auf der Regierungsbank den Kurz-Kurs gegen den Rechtsstaat weiter. Ziel der ÖVP sind auch in der Justiz ungarische Verhältnisse. „Alles unter Kontrolle“ – das ist von Medien bis Justiz europaweit das Ziel der erstarkenden Rechtsblöcke.

Der erste Kurz-Prozess ist politisch ein Vorspiel. Gelingt es der ÖVP und ihren Medien, das Verfahren ins Zwielicht zu drängen, hat sie – unabhängig vom Urteil – ein Etappenziel erreicht.  

p.s.: Wer eine gut begründete Warnung vor einem ÖVP-Angriff auf die Justiz lesen will, kann das übrigens in „profil“. Der Journalismus lebt auch dort.

Links:

“ZackZack”: Nebelgranaten für Kurz

“profil”: Kurz-Anklage: Ein heikler Moment

Geändert um 10.18 Uhr

Autor

  • Peter Pilz

    Peter Pilz ist Herausgeber von ZackZack.

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