Dieser Text ist in seinen Grundzügen nun einige Jahre alt. Und obwohl ich inzwischen selbständig bin, aus purem Glück den Weg aus der Armut geschafft habe, hat er nichts an Gültigkeit verloren, denn Altersarmut ist bei mir Fakt. So wie bei Zigtausenden anderen auch.
So wie heute hier zu sitzen und vielleicht einen Kaffee zu trinken, ist für mich die Ausnahme. Denn Altersarmut ist bei mir vorprogrammiert. Ich bin 43, habe zwei Jobs, und bin ständig auf der Suche nach mehr. Erfolglos. Mit vier Kindern ist die Realität aber nun mal so, dass mehr nicht drin ist. Zumindest meistens bei den Frauen.
Hätte ich mir das früher träumen lassen? Nein. Aber wahrscheinlich war ich auch zu naiv. Beim ersten Kind fand ich schnell wieder zurück ins Arbeitsleben. Vollzeit in einem kleinen Unternehmen und trotz Kinderkrippenkind eine Führungsposition. Ich lebte meinen Traum. War doch einfach, Kind und Karriere unter einen Hut zu bringen. Geht beides. Damals hatte ich eine Stadtwohnung, ein tolles soziales Umfeld, kein Problem, falls Überstunden nötig waren.
Das traditionelle Familienbild als Armutsfalle
Ich war jung, dumm und überheblich. Und dann hab‘ ich geheiratet. Sozusagen eine „richtige“ Familie gegründet, wie es mir vom Umfeld ständig nahegelegt wurde. Braucht Frau, um endlich eine richtige Frau sein zu dürfen. Der Mann baute seine Firma auf, ich war für den Nachwuchs zuständig. Wir wollten beide eine große Familie. Ist doch wunderschön. Eigene Firma und arbeiten gehen, sobald die Kinder im Kindergarten sind. Sollte doch erfahrungsgemäß kein Problem sein. Kannte ich immerhin aus eigener Erfahrung. Wird sich schon nicht geändert haben.
Sicher nicht.
Doch oft kommt es im Leben so, wie frau sich das nicht erträumt hatte: dein Kind hat von Geburt an schwere gesundheitliche Probleme. So massiv, dass die ersten Lebensjahre an arbeiten überhaupt nicht zu denken war. Aber gut, die Firma lief und finanziell war es nicht wirklich eng. Also hab‘ ich mich auf das Dasein als Mutter konzentriert. Nebenbei ein wenig gejobbt. Aushilfsjobs, Spielgruppen, Nachhilfe. Die Jahre vergingen, das Kind kam in die Schule, hatte aber aufgrund der Grunderkrankung viele Fehlzeiten. Jobsuche? Noch unmöglich. Wird aber bald besser. Das sagst du dir dann immer vor.
Vor einigen Jahren wurde es gesundheitlich bei der Kleinen so gut, dass ich begann, Bewerbungen zu schreiben. Eine nach der anderen. Ich glaube, es gibt keine Stellenanzeige und Firma in meiner Umgebung, die ich nicht kannte. Vom Büro über Handel bis Tankstelle und Gastgewerbe. Von Teilzeit bis Vollzeit, von freier Dienstnehmerin bis freiberuflich. Eine Mutter mit vier Kindern, die jahrelang zu Hause war? Wer nimmt die schon. Die erste Zeit war extremst deprimierend. Absagen, wenn sie denn überhaupt kamen.
Und kam es ausnahmsweise zu einem Vorstellungsgespräch, drehten sich die Fragen nur darum, wie ich mit vier Kindern Job und Familie vereinbaren wolle. Dass die Kinder einen Vater haben, der noch dazu im gleichen Haushalt wohnt, war nie Thema. Väter kümmern sich anscheinend nicht um Kinderangelegenheiten. Noch immer nicht. Ist sowas wie ein Fremdwort. „Wie, Ihr Mann übernimmt auch die Kinderbetreuung? Das ist aber sehr löblich“, oder „Alle Achtung vor ihrem Mann, wenn er einverstanden ist, dass sie arbeiten gehen“. Einzelfälle von alten Patriarchen? Eher nicht. Die Gesprächspartner waren größtenteils unter 40, viele von ihnen Frauen.
Back to the 50´s.
Soziale Hängematte dank Familienbeihilfe…glauben noch immer einige
Neben der erfolglosen Jobsuche, die sowieso extrem an deinem Selbstbewusstsein nagt, kommen die Vorbehalte deiner Umgebung. Manche offen, manche hinter deinem Rücken. „Die will ja gar nicht arbeiten gehen; wieso hat´s auch so viele Kinder bekommen; typisch. Die lebt doch eh gut von der Familienbeihilfe“. Frau lernt, damit zu leben. Ignorieren. Ab und an die Versuche, sich zu verteidigen. Aber ehrlich – wofür? Dass ich seit gut 20 Jahren vier Kinder großziehe? Versuche, ihnen die Bildung bieten zu können, die sie am besten fördert. Dass ich trotz langer Zeit der Armut nicht aufgegeben habe, Bildung an oberster Stelle einzuordnen? Verteidigen, weil ich als Frau und Mutter mehr stressresistent und multitaskingfähig bin als die meisten der Topmanager dieses Landes? Verteidigen, weil ich Frau bin?
Ich hab‘ es satt. Satt, mich dafür entschuldigen zu müssen, Mutter zu sein. Satt, mich erklären zu müssen, wie ich die Kinderbetreuung hinbekomme. Satt, mir ständig anhören zu müssen, wie wundervoll der Vater ist, weil er seinen Teil der Hausarbeit und Kindererziehung übernimmt, wenn ich die paar Stunden in der Arbeit bin. Wir sind Eltern. Wir sind Partner. Wir sind ein Team. Bei uns gibt es keine Rollenverteilung.
Ich will mich nicht mehr erklären müssen, ich will Vereinbarkeit!
Der Altersarmut werde ich nicht mehr entkommen. Ich habe mich jahrelang für die Kinder entschieden. Anfangs freiwillig, danach, weil es eben so sein musste. Wäre ich lieber arbeiten gegangen? Natürlich. Konnte ich es ändern? Nein. Werde ich in Zukunft oft den Vorwurf hören, ich sei selbst schuld an meiner Altersarmut? Mit Sicherheit. Will ich mich jedes Mal erklären, dass es mit einem beeinträchtigten Kind eben nicht so läuft, wie frau sich das ausgemalt hatte? Nein, ich bin müde. Müde, mich immer wieder erklären zu müssen, so wie tausende andere Mütter in unserem Land auch.
Würde ich den gleichen Weg nochmal gehen? Ja. Mit einem einzigen Unterschied: ich würde bereits in jungen Jahren beginnen, gegen diese Ungerechtigkeiten anzukämpfen. Würde schon viel früher aufstehen und laut werden. Würde mich einsetzen, dass Mütter und Väter ab dem ersten Tag der Geburt des Kindes wirklich die gleichen Rechte und Pflichten haben. Gleich, ob als Partner oder getrennt lebend. Ein Wunschdenken.. Doch ich wünsche es mir für meine Kinder. Ein Leben ohne Angst, wie die Karriere weitergeht nach dem ersten Kind. Ohne Bedenken, wie die Vereinbarkeit klappen könnte, ohne Angst, alleinerziehend in die Armutsfalle zu tappen oder später in die Altersarmut. Kinder dürfen in einem der reichsten Länder dieser Welt kein Grund mehr für Gehaltseinbußen oder gar Armut sein. Wir haben das Jahr 2023. Und zu viele Frauen überlegen, ob sie es sich tatsächlich leisten können, ein Kind zu bekommen. Ein Armutszeugnis für dieses Land.
Titelbild: Christopher Glanzl