Montag, April 29, 2024

Einmal Altersarmut, bitte!

Dieser Text ist in seinen Grundzügen nun einige Jahre alt. Und obwohl ich inzwischen selbständig bin, aus purem Glück den Weg aus der Armut geschafft habe, hat er nichts an Gültigkeit verloren, denn Altersarmut ist bei mir Fakt. So wie bei Zigtausenden anderen auch.

So wie heute hier zu sitzen und vielleicht einen Kaffee zu trinken, ist für mich die Ausnahme. Denn Altersarmut ist bei mir vorprogrammiert. Ich bin 43, habe zwei Jobs, und bin ständig auf der Suche nach mehr. Erfolglos. Mit vier Kindern ist die Realität aber nun mal so, dass mehr nicht drin ist. Zumindest meistens bei den Frauen.

Hätte ich mir das früher träumen lassen? Nein. Aber wahrscheinlich war ich auch zu naiv. Beim ersten Kind fand ich schnell wieder zurück ins Arbeitsleben. Vollzeit in einem kleinen Unternehmen und trotz Kinderkrippenkind eine Führungsposition. Ich lebte meinen Traum. War doch einfach, Kind und Karriere unter einen Hut zu bringen. Geht beides. Damals hatte ich eine Stadtwohnung, ein tolles soziales Umfeld, kein Problem, falls Überstunden nötig waren. 

Das traditionelle Familienbild als Armutsfalle

Ich war jung, dumm und überheblich. Und dann hab‘ ich geheiratet. Sozusagen eine „richtige“ Familie gegründet, wie es mir vom Umfeld ständig nahegelegt wurde. Braucht Frau, um endlich eine richtige Frau sein zu dürfen.  Der Mann baute seine Firma auf, ich war für den Nachwuchs zuständig. Wir wollten beide eine große Familie. Ist doch wunderschön. Eigene Firma und arbeiten gehen, sobald die Kinder im Kindergarten sind. Sollte doch erfahrungsgemäß kein Problem sein. Kannte ich immerhin aus  eigener Erfahrung. Wird sich schon nicht geändert haben. 

Sicher nicht. 

Doch oft kommt es im Leben so, wie frau sich das nicht erträumt hatte: dein Kind hat von Geburt an schwere gesundheitliche Probleme. So massiv, dass die ersten Lebensjahre an arbeiten überhaupt nicht zu denken war. Aber gut, die Firma lief und finanziell war es nicht wirklich eng. Also hab‘ ich mich auf das Dasein als Mutter konzentriert. Nebenbei ein wenig gejobbt. Aushilfsjobs, Spielgruppen, Nachhilfe. Die Jahre vergingen, das Kind kam in die Schule, hatte aber aufgrund der Grunderkrankung viele Fehlzeiten. Jobsuche? Noch unmöglich. Wird aber bald besser. Das sagst du dir dann immer vor. 

Vor einigen Jahren wurde es gesundheitlich bei der Kleinen so gut, dass ich begann, Bewerbungen zu schreiben. Eine nach der anderen. Ich glaube, es gibt keine Stellenanzeige und Firma in meiner Umgebung, die ich nicht kannte. Vom Büro über Handel bis Tankstelle und Gastgewerbe. Von Teilzeit bis Vollzeit, von freier Dienstnehmerin bis freiberuflich. Eine Mutter mit vier Kindern, die jahrelang zu Hause war? Wer nimmt die schon. Die erste Zeit war extremst deprimierend. Absagen, wenn sie denn überhaupt kamen. 

Und kam es ausnahmsweise zu einem Vorstellungsgespräch, drehten sich die Fragen nur darum, wie ich mit vier Kindern Job und Familie vereinbaren wolle. Dass die Kinder einen Vater haben, der noch dazu im gleichen Haushalt wohnt, war nie Thema. Väter kümmern sich anscheinend nicht um Kinderangelegenheiten. Noch immer nicht. Ist sowas wie ein Fremdwort. „Wie, Ihr Mann übernimmt auch die Kinderbetreuung? Das ist aber sehr löblich“, oder „Alle Achtung vor ihrem Mann, wenn er einverstanden ist, dass sie arbeiten gehen“. Einzelfälle von alten Patriarchen? Eher nicht. Die Gesprächspartner waren größtenteils unter 40, viele von ihnen Frauen. 

Back to the 50´s.

Soziale Hängematte dank Familienbeihilfe…glauben noch immer einige

Neben der erfolglosen Jobsuche, die sowieso extrem an deinem Selbstbewusstsein nagt, kommen die Vorbehalte deiner Umgebung. Manche offen, manche hinter deinem Rücken. „Die will ja gar nicht arbeiten gehen; wieso hat´s auch so viele Kinder bekommen; typisch. Die lebt doch eh gut von der Familienbeihilfe“. Frau lernt, damit zu leben. Ignorieren. Ab und an die Versuche, sich zu verteidigen. Aber ehrlich – wofür? Dass ich seit gut 20 Jahren vier Kinder großziehe? Versuche, ihnen die Bildung bieten zu können, die sie am besten fördert. Dass ich trotz langer Zeit der Armut nicht aufgegeben habe, Bildung an oberster Stelle einzuordnen? Verteidigen, weil ich als Frau und Mutter mehr stressresistent und multitaskingfähig bin als die meisten der Topmanager dieses Landes? Verteidigen, weil ich Frau bin? 

Ich hab‘ es satt. Satt, mich dafür entschuldigen zu müssen, Mutter zu sein. Satt, mich erklären zu müssen, wie ich die Kinderbetreuung hinbekomme. Satt, mir ständig anhören zu müssen, wie wundervoll der Vater ist, weil er seinen Teil der Hausarbeit und Kindererziehung übernimmt, wenn ich die paar Stunden in der Arbeit bin. Wir sind Eltern. Wir sind Partner. Wir sind ein Team. Bei uns gibt es keine Rollenverteilung. 

Ich will mich nicht mehr erklären müssen, ich will Vereinbarkeit!

Der Altersarmut werde ich nicht mehr entkommen. Ich habe mich jahrelang für die Kinder entschieden. Anfangs freiwillig, danach, weil es eben so sein musste. Wäre ich lieber arbeiten gegangen? Natürlich. Konnte ich es ändern? Nein. Werde ich in Zukunft oft den Vorwurf hören, ich sei selbst schuld an meiner Altersarmut? Mit Sicherheit. Will ich mich jedes Mal erklären, dass es mit einem beeinträchtigten Kind eben nicht so läuft, wie frau sich das ausgemalt hatte? Nein, ich bin müde. Müde, mich immer wieder erklären zu müssen, so wie tausende andere Mütter in unserem Land auch. 

Würde ich den gleichen Weg nochmal gehen? Ja. Mit einem einzigen Unterschied: ich würde bereits in jungen Jahren beginnen, gegen diese Ungerechtigkeiten anzukämpfen. Würde schon viel früher aufstehen und laut werden. Würde mich einsetzen, dass Mütter und Väter ab dem ersten Tag der Geburt des Kindes wirklich die gleichen Rechte und Pflichten haben. Gleich, ob als Partner oder getrennt lebend. Ein Wunschdenken.. Doch ich wünsche es mir für meine Kinder. Ein Leben ohne Angst, wie die Karriere weitergeht nach dem ersten Kind. Ohne Bedenken, wie die Vereinbarkeit klappen könnte, ohne Angst, alleinerziehend in die Armutsfalle zu tappen oder später in die Altersarmut. Kinder dürfen in einem der reichsten Länder dieser Welt kein Grund mehr für Gehaltseinbußen oder gar Armut sein. Wir haben das Jahr 2023. Und zu viele Frauen überlegen, ob sie es sich tatsächlich leisten können, ein Kind zu bekommen. Ein Armutszeugnis für dieses Land.

Titelbild: Christopher Glanzl

Daniela Brodesser
Daniela Brodesser
Daniela Brodesser macht als Autorin den Teufelskreis der Armut sichtbar und engagiert sich persönlich gegen armutsbedingte Ausgrenzung und Verzweiflung.
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38 Kommentare

  1. 100 Euro monatlich in eine gute Pensionsvorsorge bis hin direkt in Aktien? Angespart mit Cost Average Effekt über 30 bis 40 Jahre…
    Aber aktuell kann sich ja Niemand mehr etwas sparen? Die meisten sind froh, wenn sie ihre Wohnung halten können? Allein dieser Folterumstand ist zumindest für mich unerträglich und eine schwere Grund- und Menschenrechtsverletzung!

    • Eher nicht empfehlenswert. Bei geringen Beträgen fressen die Kosten den Gewinn auf. Und wenn du Pech hast, trifft die nächste Rezession genau deine Wertpapiere. Ab 1000 Euro kann es erfolgreich sein, aber wieviele Leute können schon so viel weglegen?

      • Seh ich auch so. Letztlich helfen auf der Einnahmenseite nur vermögens- und transaktionsbezogene Steuern um damit ein Mindesteinkommen und Mindespensionen im menschenwürdigen Ausmass zu finanzieren.

    • 100 Euro ergäben bei 5 % (vor Steuern) gerade mal ca. 80’000 Euro vor Steuern nach 30 Jahren. Wenn man da noch die Inflation abzieht, bleibt real kaum was übrig.

      • Wenn man nach 65 Jahren und hier beispielsweise 40 Jahre lang einbezahlt hätte, dann wären es schon über EURO 150.000 und man könnte sich eine Zusatzpension von EURO 500 daraus genehmigen…
        Was die Kosten anbelangt so hätte ich vorgeschlagen in einem der bereits 100 Jahre erfolgreich bestehenden Fonds zu investieren, wo man eigentlich keine Beraterhonorare mehr brauchen würde…
        Natürlich aber ersetzt das deshalb auch noch immer keine für ein Menschenleben angemessene Pension – aber vielleicht könnte diese Idee angewandt zumindest psychisch helfen…?

        • Ja, bei 40 Jahren einzahlen käme man auf 145’000 Euros. Aber wie geschrieben, vor Steuern. Wenn du einen Fonds nimmst, brauchst auch ein Depot, kostet Gebühren, der Fonds verrechnet normalerweise auch einen Ausgabeaufschlag und jährliche Verwaltungsgebühren. Im Prinzip hast du schon Recht, sparen und beiseite legen, was immer möglich ist und Ausgaben weglassen, die nicht wirklich nötig sind. Ich bleib aber dabei, dass es für alle Arbeitenden einen vernünftigen Mindestlohn geben muss, für alle Arbeitslosen eine vernünftige Entschädigung (wie z. B. in der Schweiz) und für alle Rentner eine vernünftige Mindestrente. Diese Mindestlebensgrundlage gehören m. E. in der Verfassung gesichert.

          • Ich frage mich jetzt allerdings, ob Sie nicht wissen, dass es das alles schon gibt in Ö. Mindestlohn mehr oder weniger über die Kollektivverträge, Arbeitslosengeld, Notstandshilfe, Ausgleichszulage zur Pension und wenn man gar nirgends reinfällt zumindest noch Sozialhilfe (früher Mindestsicherung).

  2. Ein Frauenschicksal eben, wie so viele. Solche Zustände werden sich erst ändern sollten wir uns endlich vom Patriarchat verabschieden. Aber das ist leider weit und breit nicht in Sicht. Zurück in die Vergangenheit heißt die Devise und der Machismo feiert fröhliche Urstände. Keine gute Zeit für Frauen und auch keine gute Zeit um Kinder zu kriegen. Traurig ist ja auch, dass nicht ein einziger Mann hier offen zugeben kann, dass die Frauen benachteiligt werden weil sich die Väter viel zu wenig um ihre Kinder kümmern. Alles andere muss da als Erklärung für die Altersarmut der Frauen herhalten, von der Finanzkrise bis zur Plandemie und den Grünen……feige ziehen sie den Kopf und den Schwanz ein……was für ein jämmerliches Schauspiel vom angeblich starken Geschlecht…..stark nur im Sprücheklopfen und auf dicke Hose machen…..und genau das ist das Grundübel.

    • Weisst du, an deiner persönlichen tiefen Frustration und Unzufriedenheit ist weder das Patriarchat schuld noch irgendein Mann, der nicht zugibt, was du meinst, dass es schuld sei …. an deiner persönlichen Misere ist nur eine schuld – und das bist du selber. Und solange du das nicht erkennst, kommst du auch nicht heraus. Es wird schlimmer. Sei einmal ehrlich zu dir selber und antworte nur dir selber: Ist es in den letzten Jahren schlimmer geworden ? Und wann werde ich bereit sein, die Verantwortung für mein Leben zu übernehmen ?

      • @PV
        Faszinierend das zu lesen. Du lebst das halbe Jahr in Asien und wählst gar nicht in Österreich.

        Aber Hauptsache, Du bist dagegen. Egal gegen was. 😃
        Das kannst ned erfinden……

        • Das verstehst du nicht. Zu wenig Bildung, zu wenig Lebenserfahrung, vor allem aber eine dramatische Unfähigkeit sich in eine andere Denk- oder Lebensweise hineinzuversetzen.

  3. Kinderarmut, Altersarmut, Armut in allen Generationen weitet sich seit Jahren aus, beschleunigt nach 2008 (Finanzkrise) und noch einmal schneller ab 2020 (Plandemie). Krieg, Klima usw. werden das noch verschärfen, die Inflation, die alle Armen trifft, aber auf der Gegenseit Grossgewinnler hat bringen ganze Gruppen neuer Armen hervor, der Mittelstand verschwindet nach unten.
    Kinder kriegen und aufziehen ist der statistische Hauptfaktor um arm zu werden, ganz im Gegensatz etwa zu asiatischen Ländern (wo ich das halbe Jahr lebe), wo viele Kinder den alt werdenden Eltern ein angenehmes Zuhause ermöglichen und sie unterstützen können.
    Wenn in den westlichen Ländern, eben auch in Österreich, Kinder haben in die Armut führt, heisst das, dass man Familien mit Kindern und den Kindern selber keinen Wert zuschreibt, man weder diese Familien noch die Kinder wertschätzt. Wie mit Kindern umgegangen wird, haben uns die letzten drei Jahre drastisch vor Augen geführt. Eine solche Gesellschaft hat keine Zukunft und – um eine Feststellung Freud’s zu zitieren – sie verdient es auch gar nicht.

      • Hast du ? Ich habe schon lange nicht mehr gewählt, ich behalte meine Stimme und gebe sie nicht ab.

        • Indirekt aber hast Du aus meiner Sicht damit auch gewählt?
          Aber vielleicht bräuchten wir ein System mit so und so viel Stimmen für ein Mandat und wenn weniger wählen gehen, dann gibt es auch weniger Mandatare?
          Auch würde ich gern 10 Stimmen haben und diese vergeben dürfen, um mehr differenzierter wählen zu können?

          Aber vielleicht gehe ich auch nicht mehr wählen, denn ich möchte nicht, dass dieses System weiter an der Macht bleibt und anders kann ich das vermutlich in keiner anderen Form noch nicht kundtun, ausser hier und in anderen Foren zumindest meine Meinung und meine Kritik weiter kundzutun?

          • Hat man gewählt, wenn man nicht gewählt hat?
            Hat man gewählt, wenn man zwischen Omo, Persil und Weisser Riese wählen konnte ?
            Nicht wirklich, oder?
            Aber vielleicht gibt es wirklich Umstände, die das Wählen einer Partei aus Gründen des “geringeren Übels” nahelegen können. Auch von der Regel des Nichtwählens kann man in besonderen Situationen abweichen.

          • @Putinversteher 9:25

            Zusammengefasst bleibt uns mit Wählen und dem Demonstratitonsrecht nur sehr wenig zum Protest in unserer ohnehin schon nur noch Wahldemokratie noch übrig…

    • Endlich einmal jemand der die fehlende Wertschätzung den Familien / Kindern gegenüber anspricht. Österreich ist im Grunde kinderfeindlich: Am Land als billige Arbeitskräfte benötigt – in der Stadt werden ihnen die Spielplätze durch Parkplätze weggenommen.
      Die Politik hinkt einem Angebot für eine halbwegs gute Vereinbarung Familien-/Berufsleben seit vielen Jahren hinterher und wird in ähnlicher Zusammensetzung immer wieder gewählt. Das spricht sich und für das Land. Wer dann als SNU Väter zu einer Zwangskarenz verpflichten will, hat nicht bedacht dass es nach wie vor Mütter sind die ihre Kinder stillen. Dürfte auch in nächster Zeit so bleiben. Und: Väter sind besser als manchmal ihr Ruf.

  4. Da kommt der Zynismus von Gewessler gerade recht. Die Familie kann ein Stück Haut opfern, sich ein Tatoo stechen lassen und alle bekommen von den Grünen das Klimaticket. Das Leben ist schön.

  5. Sehr gut, weiter so!

    Unsere Gesellschaft krankt unter Anderem an dem völligen unvermögen Wertschätzung dort zuteil werden zu lassen, wo die hingehört….

    Stattdessen umjubeln wir Schlaumaier-Menschen irgendwelche Bands, Andrew Tate oder Superheldenfilmchen.

    Der Mensch ist oft wirklich eine Karikatur seiner selbst.

  6. Sehr gut nachvollziehbare Lebensgeschichte bei welcher man wahrlich mitfühlen und sich auch gut in die oft schicksaalhaft wechselnden Motivlagen hineinversetzten kann.
    Meiner Meinung nach ein Zeitdokument, dass es in Österreich die letzten 30 Jahre keine funktionierende SPÖ mehr gab und noch immer nicht gibt.
    Aber hoffe ich doch sehr, dass die gemeinsamen Ehejahre mit diesem Zusammenhalt auch eine gemeinsame Rücklage für das Alter schaffen konnte, aber auch zwei Pensionen geteilt durch zwei?

  7. Altersarmut beginnt bereits früher, viel viel früher, dahinwuaschtln das man über die Runde kommt und am.ende mit NIX aufwachen….und es wird immer schlimmer weil die nächste Generation die korruption und plünderung durch die aktuelle, von Kurz eingeführte kriminelle Organisation begann die Kosten zahlen muss…

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