Samstag, Oktober 5, 2024

500.000 Euro für “Austrian spies”? Neue Spionage-Spur zu Wirecard und Russland

Laut neuen Unterlagen aus dem Firmenkonstrukt von Jan Marsalek soll im September 2017 eine halbe Million Euro an “österreichische Spione” geflossen sein. Die Spur führt nach Luxemburg und Singapur, dahinter soll der FSB stecken. Die Justiz stellte dazu vor kurzem ein Rechtshilfeersuchen an Deutschland.

Österreichische (Ex-)Nachrichtendienstler saugen geheime Informationen ab, liefern diese über den früheren Wirecard-Manager Jan Marsalek an den russischen Geheimdienst FSB und erhalten dafür Geld – so lautet im Kern der Vorwurf der Spionage-Affäre, die seit Monaten die Öffentlichkeit beschäftigt. Als Beschuldigte gelten neben Marsalek in erster Linie der untergetauchte, einstige BVT-Abteilungsleiter Martin Weiss und der Ex-Verfassungsschützer Egisto Ott, der vergangene Woche enthaftet wurde und die Vorwürfe vehement bestreitet, ZackZack berichtete.

Wie viel Geld für Polizei-Abfragen, sensible Daten oder heikle Hardware geflossen sein soll, darüber wurde bislang wenig Konkretes berichtet. Laut ZackZack-Recherchen verfolgt die Staatsanwaltschaft Wien nun allerdings eine neue Spur, die die Ermittler von Deutschland über Luxemburg bis nach Singapur führt: Die Rede ist von rund 500.000 Euro – exakt sind es 494.320 – die allein im September 2017 für “österreichische Spione” innerhalb Jan Marsaleks verschachteltem Firmennetzwerk geflossen sein sollen. Das geht aus neuen Unterlagen hervor, die im Zuge der Wirecard-Ermittlungen von den Behörden in Deutschland sichergestellt wurden.

Vor drei Wochen schickte die Staatsanwaltschaft Wien dazu eine Europäische Ermittlungsanordnung nach München, um mehr über die brisanten Zahlungsflüsse zu erfahren.  

Brisanter Hinweis aus Deutschland

Erste Hinweise zu den Geldtransfers erhielten die heimischen Behörden bereits im März. Per schriftlichem „Informationsaustausch ohne Ersuchen“ meldete sich die Leitende Oberstaatsanwaltschaft in München bei der Staatsanwaltschaft in Wien. „Im Zuge der hier geführten Ermittlungen (…) wurden im Rechtshilfewege unter anderem Beweismittel aus Singapur und Luxemburg erlangt, insbesondere Kontounterlagen, aber auch schriftliche Aufzeichnungen“, heißt es in dem Schreiben, das ZackZack vorliegt. Die Münchner Justiz teilte mit, dass die dort erlangten Informationen für die Verfahren in Österreich „von Bedeutung sein“ können.

Konkret geht es um das Firmennetzwerk des Briten James Henry O’Sullivan, der als Treuhänder für Wirecard in Asien hunderte Millionen Euro verwaltete. O’Sullivan ist ein enger Vertrauter von Jan Marsalek und laut dem britischen Aufdecker-Journalisten Dan McCrum eine „düstere Schlüsselfigur im Wirecard-Skandal“, wie er in einem Presse-Interview sagte. Seit letztem Jahr steht O’Sullivan in Singapur wegen mutmaßlichem Betrug vor Gericht.

Marsalek-Vertrauter O’Sullivan am Weg zu seinem Gerichtsprozess in Singapur. Foto: ROSLAN RAHMAN / AFP / picturedesk.com

Ein weiterer, ZackZack namentlich bekannter Brite soll O’Sullivans Firmennetzwerk als “Buchhalter” von Luxemburg aus mitorganisiert haben. Bei dortigen Durchsuchungen und Sicherstellungen fanden Ermittler dann unter anderem Listen mit schriftlichen Anmerkungen für Überweisungen von O’Sullivans Firmen in Singapur. Mehrere Vermerke lassen aufhorchen: Zu Transaktionen aus dem Jahr 2017, die von einer Singapur-Firma namens „Strategic Corporate Investments Ltd“ an die Firma “RISC Ltd” mit unbekannten Sitz getätigt wurden, finden sich Anmerkungen mit der Bezeichnungen “Spies recoup BZW” – also “Entschädigung von Spionen BZW”.

Zu einer einzelnen Transaktion vom 20. September 2017 in Höhe von 494.320 Euro wurde explizit vermerkt: “Austrian spies to be recouped from BZW”, also “Österreichische Spione sollen entschädigt werden von BZW”. Bei diesen Vermerken handelte es sich offenbar nicht um offizielle Verwendungszwecke, sondern interne Notizen, die zur Nachvollziehbarkeit getätigter Überweisungen geführt wurden. Um wen es sich bei “BZW” handelt, scheint noch unklar. Deutsche Ermittler dürften die Luxemburger Listen jedenfalls mit Kontoauszügen aus Singapur abgeglichen- und Übereinstimmungen gefunden haben. In Summe wurden an die ominöse “RISC Ltd” bzw. eine “RISC DWC LLC” von Juli bis Dezember 2017 in fünf Transaktionen mehr als zwei Millionen Euro überwiesen.

Hinweise zu Zahlungen innerhalb Marsaleks Firmennetzwerk für “Spione”

“Entschädigungszahlungen für österreichische Spione”

Für die heimischen Spionage-Ermittlungen sind die Funde eine neue, heiße Spur. In einem Anlassbericht Anfang Juni hielten Beamte der AG Fama fest: „Die Bezeichnung „Austrian spies“, als Anmerkung zum Verwendungszweck einer Zahlung von 494.320 Euro, lässt bei einer Gesamtbetrachtung des Tatvorwurfs gegen Jan Marsalek (..) keinen weiteren Interpretationsspielraum zu“. Die Staatsanwaltschaft Wien schickte daraufhin eine offizielle Europäische Ermittlungsanordnung nach München, um mehr Informationen zu erlangen.

Die Ermittler gehen davon aus, dass der russische Geheimdienst FSB hinter den Transaktionen aus Marsaleks Wirecard-Firmennetzwerk steht: “Eine nachrichtendienstliche Vorgangsweise des russischen FSB besteht darin, dass vor allem eine Rückverfolgbarkeit zum FSB bzw. zu Russland verhindert werden muss und deswegen die Finanzierung derartiger „Projekte“ durch Scheinzahlungen über Firmen verschleiert werden.” An wen die angeblichen “Entschädigungszahlungen” weiter verteilt worden sein könnten, bleibt vorerst offen. In Österreich gelten bekanntlich die Ex-BVT-Beamten Weiss, Ott sowie der BVT-IT-Techniker Anton H. als Beschuldigte. Für die genannten gilt die Unschuldsvermutung. Die Ermittlungen laufen daneben auch gegen “unbekannte Mittäter”.

Plausibel erscheint der AG Fama der Zeitraum, in dem die Überweisungen getätigt wurden. Egisto Ott soll nämlich ab Juli 2017 Polizei-Datenbanken nach Personen durchforstet haben, an denen der FSB ein Interesse gehabt haben dürfte – wie etwa den früheren Oberst Dmitry Senin. Ott selbst bestreitet vehement, als illegaler Spion im Dienste Russlands tätig gewesen zu sein. Vielmehr sprach er zuletzt gegenüber ZackZack von einem “dienstlichen Auftrag”, den er als BVT-Beamter zu Senin erhalten habe. Seinen jüngsten Aussagen über eine angebliche “Operation Doktor” wird von der Staatsanwaltschaft Wien aktuell ebenfalls nachgegangen.

Eine ZackZack-Anfrage an den Anwalt von James Henry O’Sullivan zu den verdächtigen Vermerken blieb bislang unbeantwortet. O’Sullivans Vertrauter Jan Marsalek befindet sich auf der Flucht. Zu ihm wurde erst vergangene Woche via “Spiegel” bekannt, dass der Generalbundesanwalt ein Spionage-Verfahren eingeleitet hat. Denkbar ist, dass die nun aufgetauchten “Entschädigungszahlungen” hier eine Rolle einnehmen.


Titelbild: ZackZack-Montage – PETER KOLB / APA / picturedesk.com – BMI-Magazin: Alexander Tuma 2015 – ZackZack

Autor

  • Thomas Hoisl

    Ist seit April 2024 bei ZackZack. Arbeitete zuvor u.a. für "profil". Widmet sich oft Sicherheitsthemen oder Korruptionsfällen.

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