Samstag, Juli 27, 2024

Presserat: Meiste Beschwerden wegen Corona-Berichterstattung

Jahresrückblick

Auch 2021 betrafen die meisten Beschwerden die Corona-Berichterstattung. Das Medienethik-Kontrollorgan freut sich darüber, dass es anscheinend immer bekannter und besser akzeptiert wird.

Wien, 15. März 2022 | Der Österreichische Presserat hat immer mehr zu tun: Rund 650 Fälle hat er 2021 behandelt, 31 Verstöße gegen die Medienethik stellte er fest. Die meisten Beschwerden betrafen die Corona-Berichterstattung. Die meisten medienethischen Verstöße hat der Presserat aber gegen Persönlichkeitsrechte festgestellt, häufig in Verbindung mit Online-Clickbait. Die “Kronen Zeitung” hatte etwa ein Video veröffentlicht, in dem der tödliche Sturz einer TikTokerin zu sehen war.

Fake News in der Pandemie-Berichterstattung

Maria Berger, Ex-Justizministerin und Vorsitzende des Presserat-Senats 1, sagte, dass in Zukunft wohl Minderheitenpositionen in der Wissenschaft ein immer größeres Thema in der Medienethik werden würden. In der Pandemie sei es immer wieder vorgekommen, dass Meinungen in der Berichterstattung wissenschaftlichen Fakten gleichgesetzt wurden. Bei solchen Versuchen, mehrere Sichtweisen abzubilden, die aber nicht tatsächlich gleichwertig sind, spricht man von „false balance“.

Besonders die Corona-Berichterstattung des „Wochenblick“ hat laut Presserat 2021 häufig gegen medienethische Grundsätze und die journalistische Sorgfaltspflicht verstoßen. In einem Artikel war etwa die Behauptung eines MFG-Politikers veröffentlicht worden, dass auf den Intensivstationen größtenteils Geimpfte lägen. Das entsprach nicht den Tatsachen, die Aussage wurde aber nicht überprüft.

Immer mehr Beschwerden, auch über Politiker-Chats

Im Dezember 2021 gingen Dutzende Beschwerden zum traditionellen „Best-of-Böse“ der Wochenzeitung „Falter“ ein, weil dort Kurz‘ Freundin Susanne Thier als Heilige Maria mit nackter Brust zu sehen war. Der Presserat fand, dass die satirische Darstellung zulässig ist. Dass in solchen Fällen mittlerweile viele Beschwerden eingehen, zeigt laut Geschäftsführer Alexander Warzilek, dass der Bekanntheitsgrad und die Akzeptanz des Presserats über die Jahre gewachsen ist.

Auch über die veröffentlichten Chats aus der Politik beschwerten sich viele. Der Presserat entschied aber, dass solche Chatprotokolle „politisch brisant“ und „aus demokratiepolitischer Sicht von öffentlichem Interesse“ sind. Auch ZackZack hat solche Chats veröffentlich, zuletzt die BMI-Chats.

Einmaliger Beschwerde-Negativrekord waren im November 2020 die mehr als 1.500 Meldungen über die Berichterstattung zum Terroranschlag in Wien.

Untypisch viele Beschwerden über „Der Standard“

In der Beschwerde-Statistik sticht besonders die Tageszeitung „Der Standard“ heraus – neben dem üblichen Spitzenreiter „Kronen Zeitung“ mit 111 Beschwerden. 2021 sind 102 Beschwerden gegen die Zeitung beim Presserat eingegangen. Das sei „weit mehr als bei vergleichbaren ‚seriöse‘ Medien“, sagte Andreas Koller, stellvertretender Chefredakteur bei den „Salzburger Nachrichten“ und Sprecher des Senats 2.

Allerdings stellte der Presserat nur einen Verstoß fest. Die dreistellige Zahl an Beschwerden heiße also nicht, dass der „Standard“ unseriös arbeite, hielt Koller fest. Dass sich so viele Menschen über den „Standard“ beschwert haben, führt er darauf zurück, dass die Tageszeitung online sehr aktiv ist und dadurch eine große Gruppe an Menschen erreicht.

Kritik an politischer Beeinflussung durch Inserate

Im Oktober 2021 beschäftigte die ÖVP-Inseratenaffäre die Öffentlichkeit und auch den Presserat. Der Presserat hielt damals und auch in der Jahreskonferenz am Dienstag fest: Die Unabhängigkeit der Medien sei für die Demokratie essentiell. Er forderte daher, dass die Presseförderung und die Inseratenpolitik neu geregelt würden. Der Presserat prüft in der Regel spezifische Medienethik-Verstöße, gibt aber immer wieder Statements ab, wenn aktuelle Geschehnisse die Medienfreiheit und -ethik betreffen.

Maria Berger sagte bei der Jahreskonferenz: „Die Unabhängigkeit der Medien ist meiner Meinung nach mindestens genauso wichtig wie die Unabhängigkeit der Gerichtsbarkeit.“ Medien gelten im Staat als vierte Säule – neben Gerichtsbarkeit, Gesetzgebung und Verwaltung. Sie sollen durch ihre Berichterstattung die Machtbalance im Staat wahren.

Presserat braucht mehr Geld

Der Presserat freut sich jedenfalls darüber, dass die eingehenden Beschwerden immer mehr Substanz haben. Die Senate werden immer weniger auf eigenes Betreiben aktiv, dafür häufiger aufgrund von Hinweisen aus der Öffentlichkeit.

Warzilek wirbt derzeit beim Medienministerium für mehr Budget – es untersteht Susanne Raab (ÖVP). Es werden immer mehr Fälle gemeldet, die bearbeitet werden müssen. Um auch in Zukunft voll funktionsfähig zu sein, brauche der Presserat mehr Geld. Derzeit arbeitet er mit einem jährlichen Budget von 210.000 Euro. Die Senate, die größtenteils aus Journalisten bestehen, arbeiten ehrenamtlich.

(pma)

Titelbild: APA Picturedesk

Autor

  • Pia Miller-Aichholz

    Hat sich daran gewöhnt, unangenehme Fragen zu stellen, und bemüht sich, es zumindest höflich zu tun. Diskutiert gerne – off- und online. Optimistische Realistin, Feministin und Fan der Redaktions-Naschlade. @PiaMillerAich

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