Samstag, Juli 27, 2024

Russische Diplomaten wegen Spionagevorwürfen ausgewiesen

Österreich weist vier russische Diplomaten aus, ihnen wird Spionage vorgeworfen. Von „ein Witz“ bis „großer Schritt“: Experten beurteilen die Entscheidung unterschiedlich. Ein hochrangiger Diplomat fragt sich, warum die Ausweisung so plötzlich kam.

 

Wien, 07. April 2022 | Jetzt ging es dann doch sehr schnell. Nachdem sich Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) am Dienstag in der Zib 2 noch skeptisch gezeigt hatte, wurden jetzt vier russische Diplomaten aus Österreich ausgewiesen. Bis spätestens 12. April sollen sie das Land verlassen haben. Es handelt sich um drei Wiener Botschaftsangehörige und einen Diplomaten aus dem Generalkonsulat in Salzburg.

Diplomat: „Vorher keinerlei Anhaltspunkte?“

Der Vorwurf ist brisant, denn begründet wurde der Schritt mit einem Bruch des „Wiener Übereinkommens über diplomatische Beziehungen“, was im Diplomatenjargon Geheimdienst- und Spionagetätigkeiten bedeutet. Und diese sind in Wien in letzter Zeit aus dem Ruder gelaufen. Dass die Einschätzung nur eineinhalb Tage nach Schallenbergs Auftritt kommt, überrascht jedenfalls.

Ein hochrangiger Diplomat findet das im Gespräch mit ZackZack „eigenartig“. Er sagt: „Man hat also diesen eindeutig und klar völkerrechtswidrigen Angriff Russlands auf sein Nachbarland gebraucht, um plötzlich herauszufinden, dass die Aktivitäten dieser Leute im Widerspruch zur Wiener Diplomatenrechtskonvention sind – sie also Spionage betrieben haben. Dafür gab es vorher keinerlei Anhaltspunkte?“, so der Insider aus dem Außenministerium. ZackZack liegen mehrere Dokumente vor, wonach die Kenntnis österreichischer Ermittler über etwaige russische Spionageaktivitäten seit Jahren sehr genau sein dürfte – und zwar schon vor den Wirecard-BVT-Umtrieben.

Experte sieht „großen Schritt“ – für österreichische Verhältnisse

Geheimdienstexperte Thomas Riegler sieht indes für österreichische Verhältnisse einen „großen Schritt“. Er sagt: „Nach dem Giftanschlag auf Sergej Skripal 2018 wurden in ganz Europa Diplomaten ausgewiesen, in Österreich aber kein einziger. Erst nach dem Cyberangriff auf das Außenministerium 2020, der einer russischen Hackergruppe zugerechnet wird, wurde ein Diplomat ausgewiesen.“ ZackZack berichtete mit „Der Spiegel“ und „Der Standard“ über Hintergründe zur Aufklärung des Cyber-Angriffs. Dabei spielte auch der flüchtige Wirecard-Vorstand Jan Marsalek eine Rolle.

„Österreich war hier lange sehr vorsichtig“, so Riegler, „auch wegen möglicher russischer Gegenmaßnahmen, die die kleine Botschaft in Moskau lahmlegen könnten. Außerdem sind Länder mit einer hohen Dichte an internationalen Organisationen von sich aus weniger bereit, solche Schritte zu setzen. Die Schweiz verhält sich da nicht anders als Österreich.“ Wien und Genf sind Hotspots der Diplomatie. Das macht die Städte zur Zielscheibe von Spionage, andererseits auch zum begehrten Treffpunkt internationaler Verhandlungen – ein Spannungsfeld, das gerade im Krieg heikel ist. In Österreich sind hunderte russische Diplomaten akkreditiert, 150 an der russischen Botschaft und weitere an den Vertretungen der Russischen Föderation bei UN, OSZE & Co. Darunter befinden sich traditionell auch Geheimdienstler. Die hohe russische Präsenz führt auch zu entsprechender Präsenz der US-Dienste.

NEOS-Brandstätter bleibt skeptisch

Derweil zeigt sich NEOS-Außenpolitiksprecher Helmut Brandstätter skeptisch: „Too little, too late. Das kann ja nur der Anfang gewesen sein. Und es bleibt die Frage, warum sich auch die ÖVP gegenüber Putin noch immer so schwertut.“ Unter Sebastian Kurz war Österreich sichtlich Putin-freundlich. Auch jetzt gilt Österreich als Bremser bei den Sanktionen, sowohl was die Umsetzung als auch den Entschluss neuer Maßnahmen betrifft. Der Zeitpunkt der Diplomatenausweisung ist auffällig. So kündigte das Bundeskanzleramt an, dass Nehammer in den kommenden Tagen in die Ukraine reisen und den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj treffen wird.

(wb)

Titelbild: APA Picturedesk

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