Kommentar
Österreichs Medienlandschaft müsste eigentlich vor einer Zäsur stehen. Doch abseits von Sobotka-Normalisierung rund um die Concordia-Preise und erzwungener ÖVP-Wirtschaftsbund-Aufdeckung tut sich nicht viel. Das könnte sich noch bitter rächen:
Benjamin Weiser
Wien, 30. April 2022 | Die von Ex-Kanzler Kern in den Raum gestellte Sobotka-Intrige ist nur auf ZackZack zu lesen. Ein Innenminister, der seinen eigenen Regierungschef bei einem fremden Premier sabotiert haben soll, ist den großen Tankern keine Meldung wert. Gleichzeitig ist jedes Erbrochene der türkisen Parteielite gegenüber der WKStA in irgendeiner größeren Tageszeitung zu lesen, meistens sogar in vielen.
Erzwungene Aufdeckung
Ist es abgebrüht oder zynisch, dass ich meiner Redaktion sage: Das ist doch gut, dann kommen die Leser zu uns? Die Sobotka-Geschichte zeigt immerhin, wie überschaubar die Konkurrenz bei kritischer Berichterstattung oft ist. Das ist wirtschaftlich gedacht nicht unwichtig für ein Medium wie ZackZack, das ohne Kanzler-Presseförderung und Regierungsinserate auskommen muss. Wir brauchen Unterstützung von Leuten, die uns als vierte Gewalt dauerhaft haben wollen. Andererseits: für das Land ist der Zustand am „Markt“ eine Katastrophe.
Markt ist ohnehin ein Begriff, der in diesem Zusammenhang völlig falsch ist. Denn Markt bedeutet eigentlich Wettbewerb, der wird aber durch die Subventionierung ansonsten nicht überlebensfähiger Printzeitungen verzerrt. Auf Gutsherrenart werden Inserate verteilt, vor allem in der Coronakrise zeigte sich die Macht der Politik über Medien in Österreich.
Gewiss, es gibt zum Glück nicht nur uns. Dass etwa die „Vorarlberger Nachrichten“ (VN) durch kritische Kolleginnen von Oe1 und „Der Standard“ quasi gezwungen werden, die heimische Inseratenaffäre rund um den Vorarlberger ÖVP-Wirtschaftsbund mitaufzuklären, ist gut und wichtig. Die Selbstkritik der Bregenzer ist allerdings ohrenbetäubend leise. Immerhin sind die VN Teil des Problems und Beleg dafür, dass die Medienkrise nicht nur den derben Großboulevard betrifft. Das zeigte sich auch schon bei zweifelhaften Chats des Chefredakteurs der Zeitung „Die Presse“, die notwendige Distanz zur Regierung schnellstmöglich erlernen sollte, ist doch der türkise Messias zumindest kurzfristig von dannen gezogen.
Die große Nabelschau
Man sollte sich aber nicht zu viel erwarten. Solange Sobotka, über dessen mutmaßliche Schandtaten am eigenen Land offenbar erst noch „recherchiert“ werden muss, ausgerechnet bei der Preisverleihung des Presseclubs Concordia über „Fakt und Fake“ schwadronieren darf, ist absolut nichts besser als zu Kurz-Zeiten. Der Presseclub hätte die Verleihung an einem anderen Ort stattfinden lassen und die Einladung des Nationalratspräsidenten dankend ablehnen müssen. Kein Journalistenpreis ist so wichtig, dass er von der Kanzel des Autoritären aus ins Lächerliche gezogen wird.
Man hört unterdessen, dass Kurz‘ Mediendompteur Gerald Fleischmann im Hintergrund immer noch die Fäden ziehen soll. Einige Überreste des türkisen Regimes halten sich hartnäckig. Sie könnten, das nur als kleines Gerücht nebenbei, übrigens die Quelle für so manche Anti-ÖVP-Geschichte sein. Die Hinweise mehren sich, dass Nehammer, Wallner & Co. Intrigen der Kurz-Jünger fürchten müssen. Vor dem Parteitag am 14. Mai wurden noch schnell Logo und Parteiname geändert, so kann der heilige Sebastian dem Karl nicht die Show stehlen. Wird er aber, denn was gibt es Geileres für Kurz-treue Journalisten, ihren ehemaligen Shootingstar wieder live zu Gesicht zu bekommen? Niemals vergessen, dass es vor allem reichweitenstarke Medien (manche davon mutmaßlich gekauft) waren, die den Aufstieg des Messias herbeischrieben.
Nicht viel Zeit
Für substanzielle Veränderungen gibt es meistens kleine Zeitfenster. Jetzt wäre so eines da. Politik, zumal zu lange an der Macht, reinigt sich nur dann, wenn sie Druck von außen bekommt. Österreichs Journalismus hat hier eine demokratiepolitische Verpflichtung, damit nach dem großen Korruptionsaufräumen nicht wieder ein neuer Kurz kommt. Die Älteren werden sich erinnern: nach der Zeit der „mani pulite“ (Aktion „saubere Hände“ gegen kriminelle und korrupte Eliten in Italien), war die Opposition unfähig für ein Gegenmodell zur kaputten italienischen Christdemokratie. Empor stieg: Silvio Berlusconi.
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