Samstag, Juli 27, 2024

Rede zur Militärparade: Putin spinnt Bedrohungs-Szenario weiter

Rede zur Militärparade:

Russlands Präsident Wladimir Putin warnte am russischen „Tag des Sieges“ über Nazi-Deutschland vor einem neuen Weltkrieg. Er behauptete, der Westen plane eine Invasion in Russland.

Moskau/Kiew, 09. Mai 2022 | Der russische Präsident Wladimir Putin hat in seiner groß angekündigten Ansprache vor einem dritten Weltkrieg gewarnt. Seit Beginn des Angriffskriegs Russlands auf die Ukraine hatten Putin und sein Außenminister Sergeij Lawrow wiederholt mit diesem Szenario gedroht und auch immer wieder Atomwaffen ins Spiel gebracht. Die Argumentation sinngemäß: Russland wolle keine Eskalation, doch wenn es sich vom Westen bedroht fühle, müsse es sich verteidigen.

Putins Rede war mit Spannung erwartet worden. Am 8. Mai 1945 war der Zweite Weltkrieg in Europa mit der Kapitulation der deutschen Wehrmacht zu Ende gegangen, Russland feiert diesen Anlass traditionell am 9. Mai. Der “Tag des Sieges” über Nazi-Deutschland ist ein staatlicher Feiertag.

„Spezialoperation“ mit Kriegsverbrechen

In seiner Rede zum Sieges-Gedenken sagte Putin, es sei die Aufgabe, “wachsam zu sein und alles zu tun, damit sich die Schrecken eines globalen Krieges nicht wiederholen“. Er fand auch eine neue Erklärung für den Angriff auf die Ukraine: Der Westen bereite “die Invasion unseres Landes, einschließlich der Krim” vor. Die Ukraine habe sich aufgerüstet mit Waffen der NATO und so für das Land eine Gefahr dargestellt. Feinde Russlands nutzten Terroristen, um Russland zu schaden, behauptete Putin. Er sprach erneut von einer “Spezialoperation” im Nachbarland Ukraine.

Fakt ist: Während Russland davon spricht, vom Westen bedroht zu sein und Menschen schützen zu wollen, die von einem angeblichen Nazi-Regime ermordet werden, lässt Putin Schulen, Krankenhäuser und Wohngebiete bombardieren. Russische Soldaten foltern und ermorden seit Wochen ukrainische Zivilisten. Die Bilder aus Butscha gingen um die Welt. Inzwischen mehren sich auch Beweise: Die Menschenrechts-NGO Amnesty International dokumentiert die Kriegsverbrechen Russlands.

Konstruierte Nazi-Erzählung als Invasions-Vorwand

Der „Tag des Sieges“ hat in Russland generell eine große Bedeutung, bekommt aber vor dem Hintergrund des laufenden Angriffskriegs auf die Ukraine eine besondere Wichtigkeit. Denn Vorwand für den Angriff auf die Ukraine war von Anfang an die seit Jahren von Russland aufgebaute Erzählung, dort verfolge ein Nazi-Regime die russischsprachige Bevölkerung – bis hin zum Völkermord.

Der Versuch, das mit der Tatsache in Einklang zu bringen, dass der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj selbst Jude ist, gipfelte zuletzt in der absurden Behauptung des russischen Außenministers, Hitler selbst habe auch jüdisches Blut gehabt und Juden seien seit jeher die größten Antisemiten. Für diese Aussage Lawrows hatte sich Putin beim israelischen Ministerpräsidenten Naftali Bennett entschuldigt.

Im Vorfeld von Putins Rede veröffentlichte das ukrainische Außenministerium ein Video-Statement von Wolodymyr Selenkskyj. Darin verwehrte er sich dagegen, dass Russland sich den Sieg über den Nationalsozialismus aneigne. Die ukrainischen Verteidiger verglich er mit “unseren Vorfahren”, die schon die Nazis erfolgreich aus ukrainischen Städten vertrieben hatten. Den russischen Besatzer wiederum rückte er in die Nähe der Nazis. Am Tag des Sieges kämpfe die Ukraine für einen weiteren Sieg, so Selenskyj: “Kein Besatzer kann in unserem freien Land Wurzeln schlagen.”

Keine Einsatz-Ankündigung

Eine Generalmobilmachung oder den Einsatz neuer Waffensysteme kündigte Putin dagegen nicht an. Im Vorfeld der Rede war darüber spekuliert worden, dass der russische Präsident solche Schritte verkünden könnte. Stattdessen erwähnte er Hilfen für die Kinder und Familien gefallener Soldaten. Putin beendete seine Rede mit einem Schlachtruf an die Soldaten: „Für Russland! Für den Sieg! Hurra!“

Aktuelle Zahlen zu russischen Kriegstoten gibt es nicht. Im Ö1-Morgenjournal am Montag hieß es, das russische Verteidigungsministerium zähle 1.351 Kriegstote, wobei die Zahl sechs Wochen alt sei. Aufgrund von Zensurmaßnahmen dürfen keinerlei andere Angaben zu militärischen Verlusten gemacht werden. In Russland darf auch weiterhin nicht öffentlich von einem “Krieg” gesprochen werden.

G7-Staaten planen Öl-Embargo

Im Vorfeld von Russlands Sieges-Feier war am Sonntag bekannt geworden, dass die G7-Staaten sich auf einen Ausstieg aus russischem Öl geeinigt haben. Alle G7-Staaten hätten sich dazu verpflichtet, die Einfuhr von russischem Öl auslaufen zu lassen oder zu verbieten – die USA selber haben bereits ein entsprechendes Importverbot verhängt. Weitere Mitglieder der Gruppe sind Kanada, Großbritannien und Japan.

Der Gruppe gehören mit Deutschland, Frankreich und Italien auch drei führende EU-Staaten an. In Brüssel verhandeln die EU-Länder aber noch über ein Öl-Embargo gegen Russland und weitere Strafmaßnahmen. Streit gab es zuletzt noch über Ausnahmeregeln von dem Importstopp für Länder wie Ungarn, Tschechien, die Slowakei und Bulgarien. Gespräche dazu sollen nächste Woche fortgesetzt werden.

(pma/apa)

Titelbild: APA Picturedesk

Autor

  • Pia Miller-Aichholz

    Hat sich daran gewöhnt, unangenehme Fragen zu stellen, und bemüht sich, es zumindest höflich zu tun. Diskutiert gerne – off- und online. Optimistische Realistin, Feministin und Fan der Redaktions-Naschlade. @PiaMillerAich

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