Samstag, Juli 27, 2024

»Im Zentrum«-Clip geht viral – Millionenerbin sorgt für langes Gesicht bei Raab

»Im Zentrum«-Clip geht viral

Vermögenssteuern statt Einmalzahlungen – das forderte am Sonntag im ORF eine Frau, die davon selbst betroffen wäre. Wir haben uns genauer angesehen, was die schon lange diskutierte Maßnahme in Zeiten der Rekord-Teuerung wirklich bringen würde.

Wien, 22. Juni 2022 | Ein Sendungsausschnitt aus dem letzten ORF-„Im Zentrum“ zum Thema Teuerungskrise schlug besonders hohe Wellen und ging im Netz viral. Er zeigt die zur Runde eingeladene Millionenerbin Marlene Engelhorn in Diskussion mit Familienministerin Susanne Raab (ÖVP), die sichtlich Mühe hatte, das „historische“ 28-Milliarden-Euro-Regierungspaket zu verteidigen.

Millionenerbin hat „brandheißen“ Tipp für Familienministerin

Dieses Paket sei zu wenig effizient und würde seine Wirkung, nämlich zu verhindern, dass weiterhin Menschen in die Armut abrutschen, verfehlen, so Engelhorn. Auch Einmalzahlungen und die Abschaffung der kalten Progression würden das Problem nicht lösen, sondern nur nach hinten verschieben. Zudem würden besonders betroffene Menschen ohne Einkommen kaum davon profitieren.

Man müsse in der Debatte „Vermögen von Einkommen unterscheiden“. Die Millionenerbin und Aktivistin von „taxmenow“, eine Initiative von Vermögenden, die sich für Steuergerechtigkeit einsetzt, hat daher einen „brandheißen“ Tipp für Raab: Vermögenssteuern in Form einer Schenkungs- und Erbschafts- sowie Finanztransaktionssteuer. Diese fordert Engelhorn bereits, seitdem sie weiß, dass auch sie eines Tages einen Millionenbetrag erben wird und sorgte so bereits vor einem Jahr für Aufsehen.

Neu entfachte Debatte um Reichensteuer

Die aktuelle Rekord-Teuerung betrifft einen nicht mehr außer Acht zu lassenden Teil der Gesellschaft – das zeigen nicht nur die immer länger werdenden Schlangen vor den Sozialmärkten. Auch die ORF-Einschaltquoten vom Sonntag – 379.000 Menschen blieben auch nach der ZIB2 noch dran, um die Diskussion zum Teuerungspaket der Regierung zu sehen – deuten an, dass die steigenden Lebenskosten immer weniger Menschen kalt lassen.

Mehrheit für Millionärssteuern

Und auch die Tage danach ist das Thema, das mittlerweile zu einer erneut entfachten Debatte um Vermögenssteuern wurde, in den sozialen Medien und Zeitungsforen präsent. Dass der Ruf nach einer derartigen Steuer lauter wird, zeigte auch die jüngste Umfrage des Meinungsforschers Peter Hajek für ATV im Mai. Demnach würde sich die Mehrheit der österreichischen Bevölkerung (58 Prozent) für die Einführung einer Erbschafts- und Vermögenssteuer ab 500.000 Euro aussprechen.

Trotzdem ist eines klar: Unter einer ÖVP-geführten Regierung wird sich hier in Zukunft nicht viel tun. Daran dürfte auch die Haltung des grünen Sozialministers Johannes Rauch nichts ändern, der sich am Mittwoch in einem Interview mit der “Tiroler Tagszeitung” für eine Steuer auf Millionenerben stark machte: “Jene Menschen, die in den vergangenen 15 Jahren durch ein Erbe enorm profitiert haben, müssen jetzt einen gerechten Beitrag leisten zur Bewältigung der Krisen.”

Aber warum ist dieses Thema in den letzten Jahren von keiner Regierung angegangen worden? Was sind die Hürden? Wo zieht man die Grenze? Und wie würde die Gesellschaft im Detail davon profitieren? ZackZack hat sich mit Ökonomen über wichtige Fragen zu dieser Steuer unterhalten.

Problem: Niemand weiß, wie reich Superreiche tatsächlich sind

Anfang des Jahres sorgte eine Studie der Nationalbank für Wirbel. Demnach könnte dem reichsten Prozent der Österreicher bis zu 50 Prozent des gesamten Vermögens gehören. Doch die beteiligten Forscher mahnten zur Vorsicht. Durch fehlende Transparenz und Daten zum Vermögen superreicher Personen, sei die Erhebung fehlerhaft und unpräzise. Was die Einführung von einer derartigen Steuer erschweren würde, weil sich etwaige Modelle dazu schwer berechnen ließen.

Dass die Datenlage zu privaten Vermögen in Österreich sehr dünn ist, bestätigt auch der AK-Wirtschaftsexperte Matthias Schnetzer gegenüber ZackZack. So hätte man in Ländern wie Frankreich mit einer existierenden Vermögenssteuer deutlich mehr Informationen. Der französische Wirtschaftswissenschaftler und Direktor des EU Tax Observatory, Gabriel Zucman, fordert etwa globale Vermögenskataster, um mehr Transparenz zu schaffen. So wäre es technisch möglich, viele Vermögensgegenstände wie Wertpapiere, Immobilien und Unternehmen digital per Knopfdruck ihren Eigentümern zuzuordnen. Doch der politische Wille, derartiges umzusetzen, fehlt.

Kapital: Ein scheues Reh

So auch in Österreich, wo sich zahlreiche Interessensvertretungen seit Jahren gegen solche Steuern stellen. Laut Schnetzer tun sie das mit immer wiederkehrenden Argumenten. Er verweist im Gespräch mit ZackZack auf eine beliebte steuerpolitische Phrase, dass “Kapital ein scheues Reh” sei. Wird das ängstliche Tier verärgert, zieht es weiter. In Österreich fühle sich dieses Reh, bei solch niedrigen Vermögenssteuern wie kaum irgendwo sonst, derzeit sehr wohl, so der Ökonom.

Kapital niedrig zu besteuern und die Abschaffung von Vermögens- und Erbschaftssteuern sei in den letzten Jahrzehnten in vielen Ländern ein wirtschaftspolitischer Trend gewesen, immer mehr Wissenschaftler würden sich jedoch mittlerweile lautstark für eine Trendumkehr aussprechen. Zudem fordern viele Experten global einheitliche Steuertarife, um das ständige Weiterziehen des “Rehs” zu unterbinden.

Mythos: Ich werde für mein hart erarbeitetes Haus zur Kasse gebeten

Kommt das Thema Vermögenssteuer so wie dieser Tage wieder auf, werden oft Gegenstimmen von Menschen laut, die davon gar nicht betroffen wären. Dieses Argument entkräftet auch der Ökonom des Momentum Instituts, Oliver Picek. Auch wenn es mehrere von Wissenschaftlern errechnete Modelle gibt, so würde es im Schnitt 95 Prozent der Bevölkerung gar nicht treffen. Denn oft würde man vergessen, dass überhaupt erst derjenige Teil – geht man von einer jährlichen Besteuerung von einem Prozent bei einer Grenze von einer Million Euro aus – über dieser Millionengrenze steuerpflichtig wäre. Bedeutet: Wenn also jemand 1,1 Millionen Euro an Vermögen besitzt, würden davon lediglich 100.000 Euro unter die Steuerpflicht fallen – der Betroffene würde somit nur läppische 1.000 Euro an Steuern bezahlen.

Mit diesem angeführten Vermögen zählt man übrigens schon zu den reichsten vier Prozent in Österreich, gibt auch Schnetzer auf Nachfrage zu Bedenken. Richtig zur Kasse gebeten würden also nur die Hyperreichen. Zudem erinnern auch beide Ökonomen daran, dass einige Modelle die Ausnahme des eigenen Wohnsitzes von der Steuer vorsehen. Sinnvoller könnte laut dem AK-Experten jedoch “eine kompensierende Entlastung in Form einer Steuerstrukturreform” sein. Bedeutet: Der Faktor Arbeit würde für alle steuerlich entlastet, während Vermögen höher besteuert würde.

Fazit: Wie viel würde uns allen eine Vermögenssteuer bringen?

Je nach Modell könne man laut Picek mit zwischen 3,3 und 8,8 Milliarden Euro jährlich rechnen. Das entspräche 0,825 bis 2,2 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung (BIP), eine auf Dauer klare Entlastung für das staatliche Budget, so der Momentum-Experte: “3,3 Milliarden Euro wären möglich bei starken Ausweicheffekten und einem einpronzentigen Steuersatz für jedes Vermögen, das die Ein-Millionengrenze überschreitet und einer Person zugeordnet ist. 8,8 Milliarden wären möglich bei niedrigen Ausweicheffekten und einem progressiven, ansteigenden Steuersatz je mehr Vermögen man besitzt.” Das wären nach diesem Modell für ein Vermögen von einer Milliarde dann vier Prozent.

Eines scheint klar: Anstatt wie jetzt beim Teuerungspaket Milliarden vom Steuertopf für ungezielte Einmalzahlungen abzuschöpfen, könnte die regelmäßige Besteuerung von Hyperreichen in Österreich allen mehr bringen.

(mst)

Titelbild: Screenshot/ORF

Autor

  • Markus Steurer

    Hat eine Leidenschaft für Reportagen. Mit der Kamera ist er meistens dort, wo die spannendsten Geschichten geschrieben werden – draußen bei den Menschen.

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