Ein 39-Jähriger soll jahrelang für Russland in Österreich und international als Spion tätig gewesen sein, vor allem von Wien aus – kein Einzelfall.
Wien/Moskau/Kiew, 19. Dezember 2022 | Ein 39-jähriger griechischer Staatsbürger russischer Abstammung wird verdächtigt, seit mehreren Jahren als Spion für den russischen Militärgeheimdienst GRU (Glawnoje Raswedywatelnoje Uprawlenije, zu Deutsch: Hauptverwaltung für Aufklärung) in Österreich im Einsatz zu sein. Das ließ das Innenministerium (BMI) Montag früh in einer Aussendung wissen. Der Verdächtige dürfte damit in die Fußstapfen seines Vaters treten. Er ist Sohn eines ehemaligen russischen Nachrichtendienstmitarbeiters, der in seiner aktiven Dienstzeit als Diplomat in Deutschland und Österreich tätig war.
Die Ermittlungen wurden im Auftrag der Staatsanwaltschaft Wien von der Direktion Staatsschutz und Nachrichtendienst (DSN) und „in enger internationaler Zusammenarbeit geführt“, schrieb das BMI.
Geheimnisverrat vorgeworfen
Laut BMI war der 39-Jährige nach einer militärischen Spezialausbildung in Russland Mitarbeiter des Militärnachrichtendienstes GRU gewesen. Er stand demnach in Kontakt mit Diplomaten und Nachrichtendienstmitarbeitern aus verschiedenen Ländern. Laut BMI hielt er sich auch kurz vor und während der russischen Invasion in der Ukraine in Moskau auf. Konkret wird dem Verdächtigen vorgeworfen, Staatsgeheimnisse verraten zu haben.
“Es besteht der Verdacht, dass er als Quelle für Informationen zu außenpolitischen, gesamtgesellschaftlichen sowie sicherheitspolitischen Diskursen innerhalb der österreichischen Bevölkerung, des Landes sowie der Presse genutzt wurde und deshalb zur Abschätzung möglicher Reaktionen des Auslands im Vorfeld der militärischen Operation nach Moskau geholt wurde”, teilte das BMI mit.
Wien als Drehscheibe
Wieder einmal steht Wien als Drehscheibe für Spionagetätigkeiten im Fokus. Dort soll der Verdächtige an „konspirativen Örtlichkeiten“ Informationen ausgetauscht haben. Laut BMI ist in zeitlicher und örtlicher Nähe zu den Umtrieben des Verdächtigen auch russisches diplomatisches Personal festgestellt worden. „Die Übergabeorte sind durch Vereinbarungen oder meist unscheinbare Markierungen nur dem Absender und dem Empfänger bekannt bzw. erkennbar und dadurch vor der Entdeckung durch Nichteingeweihte geschützt“, heißt es in der Aussendung.
Generell dürfte der Diplomatensohn recht umtriebig gewesen sein. Im Zeitraum von 2018 bis 2022 hat er insgesamt 65 Reisen „ins innereuropäische Ausland sowie nach Russland, Belarus, die Türkei und Georgien“ angetreten, schreibt das BMI. Außerdem soll er mehrere Liegenschaften in Wien, in Russland und in Griechenland erworben haben. Das BMI betont in diesem Zusammenhang, er sei in der Vergangenheit „kaum einer Beschäftigung“ nachgegangen und beziehe daher „nur geringe Sozialleistungen“ hierzulande.
Mehrere Hausdurchsuchungen
Bei der Durchsuchung von Liegenschaften des Verdächtigen wurden unter anderem ein Signaldetektor, ein Splitterschutzanzug sowie Mobiltelefone, Laptops und Tablets sichergestellt, auf denen in Summe zehn Millionen Dateien ausgewertet wurden. Laut “Kronen Zeitung” wurde von Beamten des Einsatzkommandos Cobra unter anderem “ein hinter hohem Zaun und Gartenhecke verstecktes Haus nahe des Naturparadieses Lobau in Wien” gestürmt.
Verdächtiger auf freiem Fuß
Der 39-jährige Verdächtige befindet sich derzeit aber weiter auf freiem Fuß. „Die weiteren Verfügungen werden von der Justiz angeordnet“, schreibt das BMI etwas kryptisch.
Für die nachweisliche Unterstützung eines geheimen Nachrichtendienstes zum Nachteil Österreichs ist im Strafgesetzbuch eine Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren vorgesehen.
Kein Einzelfall
Dass mutmaßliche russische Spione jahrelang in Österreich tätig sind, ist für Kenner der Materie keine Überraschung. Erst im Juli machte ZackZack in Zusammenarbeit mit der deutschen Tageszeitung “Die Welt” den Fall des ehemaligen russischen Generalkonsuls in Österreich Sergey Ganzha öffentlich, bei dem die Zusammenarbeit der deutschen und österreichischen Behörden zu Wünschen übrig gelassen haben dürfte.
Besonders im Zusammenhang mit dem Wirecard-Skandal und den Russland- und Politik-Verbindungen des flüchtigen ehemaligen Vorstandsmitglieds Jan Marsalek äußerte NEOS-Abgeordnete Stephanie Krisper Zweifel, dass effizient ermittelt werde, auch was die Rolle der Nachrichtendienste angeht.
(pma)
Titelbild: ZackZack/ Christopher Glanzl