Samstag, Juli 27, 2024

Wie die Wahl auf Straches Lockvogel fiel

Julian Hessenthaler packt auf ZackZack über Ibiza-Hintergründe aus. Von russischem Einfluss in Wien bis zu Schnüfflern im Auftrag von Wirecard und Strache: Die Hessenthaler-Story.

Dieser Artikel ist Teil 2 der Recherche-Reihe „Operation Österreich“.

Teil 1: Die Libyen-Affäre

Teil 2: Wie die Wahl auf Straches Lockvogel fiel

Benjamin Weiser

Wien, 17. November 2022 | Ibiza-Regisseur Julian Hessenthaler sitzt wegen angeblichen Kokainhandels in der Justizanstalt St. Pölten ein. Seine Anwälte glauben: aus Rache an der „Ibiza-Affäre“. Jüngst meldete er sich in einem „Standard“-Gastkommentar zu Wort. Gegenüber ZackZack packt er jetzt umfassend über die Hintergründe von Ibiza aus. Es sei um „schädliche russische Einflussnahme“ gegangen, so Hessenthaler.

Die Wahl des Lockvogels

Zentral beim „Projekt Ibiza“, wie es Hessenthaler nennt: die Wahl der fiktiven Figur Aljona Makarowa. Nach der Ibiza-Enthüllung meldete sich sogar der unfreiwillige Namensgeber des Strache-Lockvogels, Igor Makarow, öffentlich zu Wort. Er habe gar keine Nichte, so der Milliardär. Warum Aljona Makarowa? Namensgeber Makarow habe mehrere Vorteile geboten, erklärt Hessenthaler: „Hätten wir Abramowitsch oder so ausgewählt, hätten aufgrund dessen Bekanntheit sofort die Alarmglocken geklingelt.“

Am wichtigsten sei Hessenthaler zufolge aber ein subtiler Hinweis auf einen Mann gewesen, mit dem Makarow zu tun hatte: Dmytro Firtasch. Der Ukrainer hält sich seit 2014 trotz US-Auslieferungsansuchens in Wien auf und wohnt in einer Villa von ÖVP-Finanzier Alexander Schütz. Laut OLG Wien liege zur letzten Beschwerde im Auslieferungsdrama immer noch keine Entscheidung vor. Seit knapp acht Jahren läuft das Tauziehen nun schon – Ausgang ungewiss.

Beim ukrainischen Tycoon handle es sich laut Hessenthaler um den „für Österreich interessanten Konnex Makarows“. Das Umfeld von Firtasch gilt als eine Art Bindeglied rechter Kreise von Moskau bis Washington, Sebastian Kurz flog in seinem Privatjet herum. Wird Firtasch geschützt? Die österreichische Justiz bestreitet das, Firtaschs Anwälte sind äußerst kreativ bei der Verteidigung ihres Mandanten.

Im Reich des Gashandels

Blick auf zwei Oligarchen, die mit Gas Milliarden scheffelten. Makarow und Firtasch hatten in den Nuller-Jahren zunächst kooperiert. Dem US-Magazin „Foreign Policy“ zufolge löste Firtasch Makarow dann aber als Russlands privilegierten Gas-Emissär ab. Beiden wird eine Verbindung zum berüchtigten Mafiaboss Semion Mogilewitsch nachgesagt. Mal ist von Distanzierungen zu lesen, ein anderes Mal soll Firtasch Makarow in die Nähe dieses „Paten“ gerückt haben. Firtasch und Makarow bestreiten jedwedes Naheverhältnis zu Mogilewitsch.

Wer in das Gas-Geschäft eintritt, hat Insidern zufolge zwangsläufig mit Leuten aus der Halbwelt zu tun. Laut einem von Wikileaks veröffentlichten Dokument soll Firtasch einmal zu Protokoll gegeben haben: „Wenn die Regierung das Land nicht effektiv regieren kann, herrschen die Gesetze der Straße.“ Es ist eine Welt, die auch in Wien angesiedelt ist. Dass das „Projekt Ibiza“ in diesem Dickicht seinen Anfang nahm, „ist nur keinem so richtig aufgefallen“, betont Hessenthaler im Gespräch mit ZackZack.

Wenn man diese Spur aufnimmt, führt sie immer wieder zum Rohstoffhandel. Dominierend im Gas-Business ist der teilstaatliche russische Konzern Gazprom. Dort ziehen unter anderem Ex-KGB-Leute die Fäden, teils läuft das Geschäft über weitläufige Firmenkonstrukte, wie das Magazin „Stern“ schreibt. Firtaschs Gazprom-Erfahrung ist mit der Geschichte des inzwischen liquidierten Zwischenhändlers RosUkrEnergo verbunden. Je 50 Prozent von RosUkrEnergo hatten Gazprom und der Raiffeisen Investment AG gehört, wobei letztere die Anteile für Firtasch (45 Prozent) treuhänderisch gehalten hatte.

Dass Firtasch ein Raiffeisen-Großkunde war, brachte der Bank Kritik ein, er wechselte schließlich zur mittlerweile abgewickelten Wirecard-Bank. Auf dutzenden Konten, die ZackZack vorliegen, gingen Millionen ein und aus. Für Personal Trainer, Anwälte aus aller Welt und Firmen von Zypern bis Österreich. Das Geschäft brummte also zuletzt noch. Bislang, so scheint es, prallen die Vorwürfe der USA an dem Ukrainer ab.

Stadt der Zufälle und Russlandfreunde

Im Gazprom-Dunstkreis tummelt sich auch der US-sanktionierte Gashändler Centrex. Adresse: Wiedner Hauptstraße 17, Tür 7. Eine Tür weiter, bei Nummer 8, sitzt der einstige Wirecard-Kunde Gradus Proximus, geführt von den Ex-BMI-Kabinettsleuten Christoph Ulmer und Thomas Zach. Sind die Büroräume baulich voneinander getrennt? Man wolle zwar keine Stellungnahme abgeben, gleichzeitig aber wird betont, man wolle nicht mit der Centrex in Verbindung gebracht werden. Verständlich, da gewisse Russlandkontakte seit dem Krieg in der Ukraine genauer durchleuchtet werden.

In der Centrex sitzt ein Vertrauter des Investors Martin Schlaff, welcher mit dem mutmaßlichen Geheimdienst-Mittelsmann Grigory Luchansky einst auf einen lettischen Öl-Transit schielte. Laut BMI-Chats setzte sich Ulmer für die österreichische Staatsbürgerschaft von genau diesem Luchansky ein.

Sicher ist: Derlei Kontakte laufen auffällig oft in der Anwaltskanzlei von Gabriel Lansky und Gerald Ganzger zusammen. Man vertritt das Ex-BMI-Trio um Ulmer, Zach und Ex-Marsalek-Kontakt Wolfgang Gattringer, aber gerne auch russische Kunden. So kam es, dass die Kanzlei einst für die Ausreise eines Ex-KGB-Manns in Erscheinung trat – im Auftrag der russischen Botschaft. Das „Profil“ schrieb dazu im Jahr 2012: „Verdienen lässt sich mit dieser Klientel zwar prächtig. Für Anwälte besteht in dem Biotop aus Ex-Geheimdienstlern, Oligarchen und despotischen Regierungschefs allerdings stets das Risiko, in juristische Grauzonen vorzudringen oder selbst in Gefahr zu geraten.“ Ob die Kanzlei etwas mit Centrex zu tun hat, bleibt unklar – man gab keine Stellungnahme ab.

Strache und Gudenus bissen nicht an

Ein Grund, warum etwaige Russland-Connections auf Ibiza schließlich „unter den Tisch fielen“, wie Hessenthaler zu ZackZack sagt, liegt auch an Gudenus und Strache. So sehr sich die Ex-FPÖler für die „Krone“ interessierten, so wenig gaben sie zum Tanz mit Moskau preis. Mit guten Verbindungen in den Kreml wurde zwar geprahlt, „die Konversation beim Thema Russland ging aber nicht richtig weiter“, so Hessenthaler zu ZackZack. Lediglich manche Stellen des Strache-Gudenus-Streifzugs seien relevant gewesen. Et­­­wa, als Strache einen Wahlkampfberater erwähnte, der für Benjamin Netanjahu, Wladimir Putin, Donald Trump und die Brexit-Kampagne unterwegs gewesen sein soll. Strache wollte ihn anheuern.

„Spätestens nach der ersten Trump-Kandidatur habe ich mit entsprechenden Recherchen begonnen“, sagt Hessenthaler. Die globale Geldwäsche-Enthüllung „Russian Laundromat“ (zu Deutsch: „Russischer Waschsalon“), die „Malversationen im internationalen Finanzverkehr“ aufdeckte, habe einen wichtigen Anstoß geliefert. Mit in der Ziehung: Österreichs mittlerweile abgewickeltes Skandalhaus Meinl Bank.

Rund um den US-Wahlkampf 2016 habe Straches Chauffeur erstmals Geldtaschen aus Osteuropa erwähnt. Die Beträge hätten sich „zuvor schon im Zuge der EU-Wahlen 2014 merklich erhöht“, so Hessenthaler. Es war der Strache-Chauffeur, der die von ZackZack und der „SZ“ später enthüllten Sporttaschen voller Geld im Kofferraum des Vizekanzler-Autos fotografiert hatte. Strache bestreitet, jemals Geld aus Sporttaschen erhalten zu haben. Von dort habe die Spur laut Hessenthaler zum mutmaßlichen Mandatskauf des Ex-FPÖ-Politikers Thomas Schellenbacher geführt.

Hessenthalers damalige These: „Ich dachte mir, man versucht mit solchen oder anderen Modellen, Gelder via extrem überhöhte Geschäfte zu waschen und in die Politik zu schleusen“. Doch alle Ermittlungen, von Geldwäsche über Untreue bis Mandatskauf (der nicht strafbar ist), wurden eingestellt.

Wiener Detektei jagte Hessenthaler und Wirecard-Kritiker

Nach Ibiza habe Hessenthaler allerdings weiterrecherchiert. In der Hochphase der Wirecard-Berichterstattung der „Financial Times“ arbeitete er mit dem Migrationsexperten Kilian Kleinschmidt zusammen. Den beiden seien immer wieder dieselben Personen und Merkwürdigkeiten aufgefallen, wie das Libyen-Projekt von Jan Marsalek (siehe „Die Libyen-Affäre“) zeigt.

Eine schillernde Figur aus Wien erwähnt Hessenthaler im Gespräch mit ZackZack mehrmals: Detektiv und Ex-Polizist Christoph G., ehemaliger Geschäftsführer der Wiener Detektei PRM. Wirecard-Experten ordnen ihn der PRM International Dubai zu. In einem Mailverkehr von Marsalek über mobile Sicherheitslösungen kommen G. und Zach vor. Worum es dabei konkret ging, wollten beide nicht sagen. Fraglich bleibt daher, warum mit Zach ein ORF-Stiftungsrat, der wohl mächtigste zumal, in einem derartigen Kontext auftaucht.

Was aber hat es mit der PRM auf sich? Die Firma geriet spätestens mit der Bespitzelung von Aufdeckerjournalisten und Kritikern in die Schlagzeilen. Auf Ibiza hatte Strache noch von G. geschwärmt, ehe er ausgerechnet ihn nach der Veröffentlichung des Videos auf Hessenthaler ansetzte, „um mich zu ‚überprüfen‘“, erzählt Hessenthaler. Wirecard-Shortseller Fraser Perring behauptet gegenüber ZackZack, ein Team um G. hätte im Dezember 2016 versucht, „mich bei der Schule meiner Tochter zu kidnappen.“ Man sei bis zu neun Wochen hinter ihm her gewesen, so Perring. Verifizieren lässt sich das nicht, G. war für die Redaktion nicht erreichbar. Doch Berichten zufolge gab es in England zumindest eine temporäre Festnahme in diesem Zusammenhang.

Jedenfalls ist G. offensichtlich jemand, der die Polizei nicht nur aus seinem früheren Job kennt. Folgt man dem ZackZack vorliegenden Polizeiprotokoll, geriet G. im Zuge der Drogenrazzia bei Martin Hos Lokal Dots im Mai 2020 ins Visier der Cops. Er wurde mit „hohen Summen an Bargeld“ ins Lokal zurückgeschickt. Für Hessenthaler sei G. ein „Kuriosum“ des Ibiza-Projekts gewesen. Ein Projekt, das den St. Pöltener Insassen bis heute nicht loslässt. Auch wegen dubioser Vorgänge nach Ibiza. Dazu mehr in Teil 3 von „Operation Österreich“.

Titelbild: ZackZack / Miriam Mone

Autor

  • Ben Weiser

    Ist Investigativreporter und leitet die Redaktion. Recherche-Leitsatz: „Follow the money“. @BenWeiser4

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