Schallenberg verteidigt die Personalie Berchtold mit einer „unabhängigen Begutachtungskommission“. Doch die besteht aus ÖVP-nahen Diplomaten. Darunter Kurz- und Sobotka-Vertraute sowie eine aktuelle ÖVP-Klub-Beraterin.
Benjamin Weiser
Wien | Seit etwa eineinhalb Jahren berichtet ZackZack regelmäßig über türkise Postenbesetzungen im Außenministerium (BMEIA). Doch keine Personalie hat bisher für so viele Emotionen gesorgt wie die Etienne Berchtolds.
Der ehemalige Pressesprecher von Sebastian Kurz ist seit kurzem Botschafter Österreichs in den Vereinigten Arabischen Emiraten. An seiner grundsätzlichen Qualifikation für den diplomatischen Dienst zweifelt niemand, doch für den Posten eines Botschafters gehört es in der Regel dazu, zumindest einmal stellvertretender Leiter einer Botschaft gewesen zu sein. Nicht so bei Berchtold. Ein noch besser qualifizierter Mitbewerber bekam jetzt laut „Standard“ vor der Gleichbehandlungskommission im BMEIA Recht.
Begutachtungskommission: 100 Prozent ÖVP
Außenminister Alexander Schallenberg will das nicht akzeptieren. Er teilt die Einschätzung, parteipolitische Motive seien ausschlaggebend gewesen, nicht. Und beruft sich auf die sogenannte Begutachtungskommission, die de facto über Botschafterposten entscheidet. Letztere sei unabhängig und agiere selbständig, so der Minister in der sonntäglichen ZiB2. Er halte sich an deren Empfehlung. Doch was ist dran an der angeblichen Unabhängigkeit? Hochrangige Insider sagen: Nichts, die Kommission sei quasi ein Vehikel des Ministers.
ZackZack liegt die Liste der vierköpfigen Begutachtungskommission vor, die ausschließlich aus ÖVP-nahen Diplomaten besteht. Eine davon kam zwar erst im Sommer dazu, hatte mit Berchtolds Bestellung also nichts zu tun. Jedoch geschah der Wechsel innerhalb der Parteifamilie. Ohnehin gilt: Steht es 2 zu 2, entscheidet die Stimme der Vorsitzenden. Auch die sechs Ersatzmitglieder sind entweder politisch klar bei der ÖVP verortet oder sind der Vorsitzenden direkt unterstellt.
Wer sind die Menschen, die über Top-Karrieren im BMEIA entscheiden? Schallenberg soll mit Sigrid Berka die Vorsitzende selbst installiert haben. Die hatte in der Vergangenheit interessante politische Posten bekleidet, zum Beispiel als stellvertretende Kabinettschefin des damaligen Außenministers Sebastian Kurz. Das ist schon deshalb pikant, weil mit Berchtold ein Kurz-Vertrauter Botschafter wurde. Berka war zudem Beraterin der Ex-Ministerinnen Ursula Plassnik, Maria Fekter und Josef Pröll (alle ÖVP) gewesen.
Die drei weiteren Mitglieder dieser einflussreichen Wohl- oder Wehe-Kommission sind ZackZack-Informationen zufolge allesamt bei der Fraktion Christlicher Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter (FCG). Innerhalb der Fraktion hat es laut Insidern in den vergangenen Jahren zwar immer wieder auch Kritik an den türkisen Umfärbungsaktionen gegeben. Damit hätten sich jene aber Karrierewege verbaut.
Vom Dienst freigestellt – für den ÖVP-Klub
Wirft man einen Blick auf die sechs Ersatzmitglieder der Begutachtungskommission, ergibt sich fast dieselbe politische Eintönigkeit. Denn dort sitzt etwa auch Gesandter Florian Korczak, ehemals außenpolitischer Berater des Nationalratspräsidenten Wolfgang Sobotka. An seiner Seite weiß er Gesandte Lydia Ladurner. Sie ist derzeit offenbar vom Dienst als Beamtin im BMEIA freigestellt und darf sich als außenpolitische Beraterin des ÖVP-Parlamentsklubs verdingen. Wie das mit dem riesigen Einfluss desjenigen Gremiums zusammenpasst, das über wichtigste Posten der Diplomatie entscheidet, ist nicht überliefert.
Unter den weiteren vier Ersatzmitgliedern sind zwei in ihrem normalen Dienst direkt der Vorsitzenden Berka unterstellt. Berka ist nämlich als Sektionsleiterin im BMEIA Chefin eines Abteilungsleiters und dessen Stellvertreterin, die beide als Ersatz im Gremium bereitstehen. In BMEIA-Kreisen glaubt man nicht, dass sich die zwei gegen ihre eigene Chefin stellen könnten, würde deren Stimmen schlagend werden.
Die zwei anderen Ersatzmitglieder weisen schließlich FCG-Zugehörigkeit auf. Hinter vorgehaltener Hand heißt es, Minister Schallenberg habe sich im ORF zur Lachnummer gemacht. „Das Außenministerium soll das Protokoll der Kommission veröffentlichen. Dann wird man sehen, dass die von Schallenberg ernannte Vorsitzende Berchtold vorgeschlagen hat“, schimpft ein hochrangiger Diplomat gegenüber ZackZack.
Hat sich der Minister seine eigene Posten-Kommission gebastelt? Auf eine ZackZack-Anfrage reagierte das BMEIA trocken: „Die Zusammensetzung der Ständigen Begutachtungskommission ist im Ausschreibungsgesetz geregelt. Zwei Personen (1 Mann/ 1 Frau) sind demnach vom zuständigen Bundesminister zu bestellen, je eine von der Personalvertretung und der Gewerkschaft Öffentlicher Dienst (GÖD) zu nominieren. Personalvertretung und GÖD steht die Wahl ihrer Vertreter:innen natürlich frei.“ Es gebe zudem überhaupt keinen Grund, Berchtold abzuberufen.
Explosive Stimmung im Ministerium
Insider wollen das Postenkarussell nicht akzeptieren und zeigen weitere Bestellungen auf, die noch für Gesprächsstoff sorgen könnten: „Wenn ein unterlegener Kandidat bei der Nachfolge von Linhart in Paris (jetzt Botschafter in Berlin, Anm.) klagt, ist das nächste Mal ‚Feuer am Dach‘: Ex-Kurz und aktuelle Nehammer-Mitarbeiterin Kaudel-Jensen (Linharts designierte Nachfolgerin in Paris, Anm.) war nämlich auch noch nie Stellvertreterin und kriegt auf Anhieb eine der größten und wichtigsten Botschaften!“
Jedenfalls ist die Diskussion rund um Berchtolds Posten in Abu Dhabi noch lange nicht vorbei. Ewa Ernst-Dziedzic vom grünen Koalitionspartner der ÖVP pocht auf das Gutachten der Gleichbehandlungskommission. NEOS-Abgeordnete Stephanie Krisper findet deutliche Worte: „Die türkise Postenkorruption greift offenbar auch dort, wo scheinbar faire Auswahlverfahren stattfinden. Es muss in Österreich wieder zählen, was man kann und nicht, wen man kennt. Weiterhin ist die Parteinähe für Karrieren entscheidend. Dass diese Regierung sowas noch verteidigt, anstatt endlich für objektive Besetzungen zu sorgen, etwa durch Einbeziehung wirklich unabhängiger Externer, zeigt: Ihr fehlen politisch Kraft und Wille für die nötige Sanierung unserer Demokratie.“
Sollte der gegen Berchtold unterlegene Kandidat übrigens auf Schadensersatz klagen, hätte er wohl gute Chancen. Denn das Gutachten der Gleichbehandlungskommission sei die Grundlage für Zivilgerichte bei der Bestimmung der Höhe etwaiger Ansprüche, sagt ein hochrangiger Diplomat zu ZackZack.
Updates 6.02., 16:13 Uhr: Die Begutachtungskommission besteht aus vier Mitgliedern und sechs Ersatzmitgliedern. In einer früheren Version war die Rede von sieben Ersatzmitgliedern. 17:04 Uhr: Statement des BMEIA nachgereicht.
Titelbild: EVA MANHART / APA / picturedesk.com