Samstag, Juli 27, 2024

Polizeifall „Pilnacek“: “Wir wollen Handy, Schlüssel und Computer”

Kurz nachdem Justiz-Sektionschef Christian Pilnacek leblos am Ufer eines Donau-Altarms gefunden wurde, begann die Polizei hektisch zu suchen – nach Handy, Laptop und Schlüsseln. Wer hat ihr den Auftrag erteilt? Die Landespolizeidirektion Niederösterreich weigert sich, dazu Fragen zu beantworten. Teil 1 einer ausführlichen ZackZack-Recherche zum Polizeifall „Pilnacek“.

20. Oktober 2023. Christian Pilnacek liegt leblos im Seichtwasser am Ufer des Altarms, der fünfzig Meter weiter auf der Höhe von Rossatz vom Süden her in die Donau mündet. Über der Schotterbank, auf der er liegt, ragt eine begrünte Böschung steil auf zum Rand eines Güterwegs, der das Ufer von einem Obstgarten trennt.

Die „Via Donau GmbH“ betreut die Hochwasserschutzdämme an Donau, March und Thaya. Früh am Morgen hat ihr LKW mit dem Transport von Material am Güterweg begonnen. Der Fahrer entdeckt den leblosen Körper des Sektionschefs. Kurz darauf treffen erste Polizeibeamte und Feuerwehrleute ein.

Der Generalsekretär

Mehr als ein Jahrzehnt war Christian Pilnacek der mächtigste Mann der österreichischen Justiz. Als Chef einer Doppelsektion hielt er von der Aufsicht über die Staatsanwaltschaften bis zur Zusammenarbeit mit dem Parlament alle politisch wichtigen Fäden des Justizministeriums in seiner Hand.

Als Generalsekretär teilte er sich einen Bürozugang mit der Justizministerin. Wer nicht rechts zur Ressortleiterin, sondern links zu ihm abbog, wusste warum.

Pilnaceks Ruf gründete sich auch auf eine außerordentliche Kenntnis des Strafrechts und der Regeln seiner Prozesse. Seine Macht verdankte er aber zwei völlig anderen Bereichen: der Politik und den Medien. Mit beiden war Pilnacek so vertraut, dass er wie ein Schattenjustizminister öffentliche Meinungen und politische Entscheidungen prägte.

Rossatz

Um 6.30 Uhr wacht Karin Wurm in Rossatz auf. Pilnaceks Lebensgefährtin weiß nicht, dass ihr Mann 200 Meter entfernt am Ufer liegt. Sie sucht ihn in ihrem Haus. Als sie ihn nicht findet, weckt sie Anna P.

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Bild: Karin Wurm mit ihrem Lebensgefährten Christian Pilnacek. Foto: KW

Anna P. wohnt bei ihrer Freundin Karin Wurm. Von dort pendelt sie jeden Tag in die Arbeit nach Wien. Im Büro von Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka ist sie Referentin für „zivilgesellschaftliche Angelegenheiten“. Über Sobotka hat sie auch Michael Takacs kennengelernt.

Takacs

Takacs ist ein verlässlicher Beamter der ÖVP. Im Kabinett des Innenministers hat er Wolfgang Sobotka, Karl Nehammer und Gerhard Karner gedient. Für ihn ist die Bundespolizeidirektion in der Generaldirektion für Öffentliche Sicherheit geschaffen worden. Seit dem 1. Juli 2022 ist er ihr erster Direktor.

Beim berühmten Bootsunfall von Kanzler-Ehefrau Katharina Nehammer, bei dem das Handy von Sobotka-Kabinettschef Michael Kloibmüller zuerst im Wasser und dann bei ZackZack landete, fiel auch Sobotka-Kabinettsmitarbeiter Takacs in die Donau. Bis heute weiß Takacs nicht, was mit seinem Handy geschehen ist.

Anna P. greift zum Telefon und ruft Michael Takacs im Ministerium an. Takacs rät P., sofort mit der Suche nach Pilnacek zu beginnen. Mit dem Anruf aus Rossatz wissen ÖVP-Spitzen im Innenministerium schon früh, dass Christian Pilnacek vermisst wird.

Am Altarm

Karin Wurm setzt sich zu Anna P. ins Auto. Sie fahren die Straßen der Umgebung ab und kommen zum Güterweg. Ein rot-weiß markierter Schranken versperrt die Zufahrt.

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Bild: Schranken vor dem Fundort. Foto: ZackZack

Wurm und P. sehen, wie ein Polizeibeamter einen LKW von „Via Donau“ vorbeifahren lässt. Später erfährt Wurm, dass der LKW-Fahrer die Polizei informiert hat: „Ich habe einen gefunden“.

Karin Wurm beschreibt dem Beamten Christian Pilnacek und wird am Ufer ein Stück weitergeschickt. Im Donauarm ist Niedrigwasser. Wurm erinnert sich: „Es hat wochenlang nicht geregnet“. Wurm sieht, dass Pilnacek im Seichtwasser am Rücken liegt. „Er hat ausgeschaut wie reingelegt“.

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Bild: Karin Wurm zeigt den Ort, an dem Pilnacek aufgefunden wurde. Foto: ZackZack

Zwei uniformierte Polizistinnen aus Mautern stehen am Ufer. Nirgends ist eine Absperrung. Niemand denkt daran, mögliche Spuren zu sichern. Der LKW kann weiterhin vorbeifahren.

Ein Feuerwehrmann erzählt: „Dann sind die Kriminalbeamten gekommen, zuerst aus Mautern, dann aus Krems und dann noch aus St. Pölten. Die sind zu uns Feuerwehrleuten gekommen, haben den Zeigefinger auf den Mund gelegt und uns klargemacht, dass wir mit niemandem über das, was hier passiert, reden dürfen“.

Wurm sieht zu, wie Pilnacek auf einer gelben Bahre über den Weg getragen und auf der anderen Seite des Güterwegs abgelegt wird. Eine Polizistin fordert Pilnaceks Lebensgefährtin auf: „Drehen Sie sich um!“

Keine Obduktion

Kurz nach 08.00 Uhr trifft die Rossatzer Hausärztin Dagmar Wagner am Altarm ein. Sie stellt fest: Der Tote liegt am Rücken, die Totenstarre ist noch nicht eingetreten. Nach Schätzung der Ärztin könnte der Tod rund um sechs Uhr eingetreten sein. Wurm erinnert sich an eine „Schramme auf der rechten Schläfe“.

Inzwischen drängen sich Kriminalbeamte am Fundort. Karin Wurm weiß: „Wie die Ärztin gekommen ist, waren schon etliche Beamte in Zivil dort. Einer hat ihr gesagt, dass sie als Polizei keine Obduktion wollen. Sie hat darauf gefragt: Seht ihr noch wen, der zuständig ist? Dann hat sie ihnen klargemacht, dass nur sie darüber entscheidet – und eine Obduktion anordnet. Die Beamten waren alles andere als glücklich darüber.“

Wagner wundert sich über die Reaktion eines Beamten und erzählt das Wurm: „Stell dir vor, was der gesagt hat: Das kostet mich den Job.“ Auf ZackZack-Fragen will die Ärztin dazu nichts sagen: „Ich bin an meine berufliche Verschwiegenheitspflicht gebunden.“

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Bild: Karin Wurm zeigt, wo Pilnacek abgelegt wurde. Foto: ZackZack

Ein Beamter fordert Karin Wurm und Anna P. zum Gehen auf: „Bitte gehen Sie nach Hause!“ Noch immer ist keine Tatortgruppe am Fundort der Leiche. Niemand denkt daran, Spuren zu sichern.

„Handy, Schlüssel, Geldbörse“

Um 10.00 Uhr läutet es an Wurms Haustür. Zwei männliche Kriminalbeamte stehen vor der Tür: „Wir wollen Handy, Schlüssel, Geldbörse und Computer“. Sie weisen sich nicht aus und legen keine staatsanwaltschaftliche Anordnung zur Sicherstellung von Gegenständen aus dem Pilnacek-Besitz vor. Nach einem USB-Stick fragen sie nicht.

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Bild: Hauseingang Wurm/Pilnacek. Foto ZackZack

In wessen Auftrag stellen die Beamten Pilnaceks Schlüssel zu Wohnung, Autos und Daten sicher? Haben die Beamten eine staatsanwaltschaftliche Anordnung oder sind sie in anderem Auftrag unterwegs?

Karin Wurm lässt sie nicht ins Haus. Doch das Auftreten der Polizisten ist so bestimmt, dass sie Pilnaceks Handy, die Schlüssel zu seiner Wiener Wohnung, die Autoschlüssel und seine Geldbörse in einen Plastiksack packt und alles den Beamten übergibt. Nur Pilnaceks privaten Laptop suchen die Beamten vergeblich.

Karin Wurm erhält weder eine Begründung für die Forderung noch eine Bestätigung für die Übergabe. Sie weiß nur: Das Handy ist nicht ausgeschaltet, aber ohne PIN oder Fingerabdruck nicht zu entsperren.

Ein Detail macht Wurm heute noch stutzig: „Christian hat immer einen USB-Stick bei sich gehabt. Egal, ob im Anzug oder in der Jogging-Hose, der Stick war immer in seiner Tasche.“ Sie beschreibt ihn als „silbernen USB-Stick mit schwarzer Kappe“. Bei der Suche nach Handy und Schlüssel finden sie keinen USB-Stick. „Wir haben ihn im Haus nicht gefunden. Der Stick ist verschwunden.“

Mauer des Schweigens

Gestern früh stellte ZackZack 14 Fragen an das Landeskriminalamt Niederösterreich. Die Landespolizeidirektion Niederösterreich brauchte 22 Stunden für folgende Antwort, die ZackZack ungekürzt wiedergibt: „Zu Ihrer gestrigen Anfrage zum ua Sachverhalt darf ich Ihnen mitteilen, dass das Ermittlungsverfahren der Polizei Niederösterreich abgeschlossen und der Staatsanwaltschaft Krems den Vorschriften entsprechend berichtet wurde. Ich ersuche Sie daher um Verständnis, dass wir Ihnen keine Auskünfte erteilen können.“

Das Ermittlungsverfahren betraf die Ursache des Todes von Christian Pilnacek. Über diese Erhebungen hat die Kripo der Staatsanwaltschaft ordnungsgemäß berichtet. Aber niemand, der einen Todesfall klärt und keinen Verdacht auf Fremdeinwirken hegt, sucht nach Computern, Handys, Sticks und Wohnungsschlüsseln.

Paragraf 110 (2) der Strafprozessordnung stellt unmissverständlich klar: Sicherstellung ist von der Staatsanwaltschaft anzuordnen und von der Kriminalpolizei durchzuführen.“ ZackZack fragte: Hatten die Beamten eine Anordnung der Staatsanwaltschaft zur Sicherstellung mit sich?“ Die einfache Antwort darauf könnte „Ja“ lauten. Aber die niederösterreichische Polizei verzichtet darauf, mit einer einfachen Antwort jeden Verdacht zu zerstreuen. Damit bleibt der Verdacht, die Polizei hätte Pilnaceks Handy, Schlüssel und Brieftasche in anderem Auftrag „sichergestellt“.

Warum hat die Polizei keine Bestätigung der Sicherstellung übergeben? Auch hier ist ein Verdacht nicht entkräftet: Aus dem Dokument wäre hervorgegangen, dass es keinen oder den falschen Auftrag der Staatsanwaltschaft gab.

Eine entscheidende Frage kommt zum Schluss: Hat die Polizei die Gegenstände der Staatsanwaltschaft übergeben? Die niederösterreichische Polizei verweigert die Antwort.

Pilnaceks Wissen

Zu Lebzeiten war Christian Pilnacek der Mann, bei dem im Justizministerium alle Fäden zusammenliefen. Im September 2010 hatte Pilnacek mit der Sektion IV die Kontrolle über das „Strafrecht“ und damit über alle Staatsanwaltschaften der Republik übernommen. 2018 stieg er noch eine Stufe höher und wurde Generalsekretär.

An der Spitze der Weisungskette entschied Pilnacek immer öfter selbst, welches Verfahren bis zur Anklage geführt und welches – in seiner Diktion – „daschlogn“ wurde. Herbert Kickl mit seiner dubiosen Agentur „ideenschmiede“ gehörte mit René Benko und dessen „Chalet N“ am Arlberg zu den Nutznießern. Gegen Kickl durfte auf Pilnaceks Weisung nicht ermittelt werden, gegen Benko wurde die fertige Anklage der WKStA niedergeschlagen.

So sammelte Pilnacek aber nicht nur schwarze und blaue Sympathien, sondern vor allem Wissen über die Spitzen der Partei, die 2017 mit Sebastian Kurz wieder die Macht übernahm. Dieses Wissen, so erzählt man in Pilnaceks engstem Umfeld, trug er als Lebensversicherung auf dem verschollenen Stick ständig mit sich.

2018 versuchte er mit „Eurofighter“ das größte Korruptionsverfahren Österreichs abzuwürgen. Das führte zum entscheidenden Konflikt mit der WKStA. Pilnacek verlor ihn. Bei Durchsuchungen wurden auf seinem Handy Chats gefunden, die zu seiner Suspendierung  durch die Justizministerin führten.

Doch im Oktober 2023 war Pilnacek wieder guter Dinge. Er war überzeugt, dass er seine letzten Verfahren gewinnen und rehabilitiert ins Amt zurückkehren würde. Mit Karin Wurm hatte er eine Lebensgefährtin gefunden, mit der er glücklich war. Dann kam der 20. Oktober.

Immer wieder

Schon zu Mittag sind Wurm und P. zur polizeilichen Einvernahme nach Mautern bei Krems bestellt. Chefinspektor Hannes Fellner hat im Landeskriminalamt in St. Pölten die Ermittlungen übernommen. Fellner leitet die Gruppe „Leib und Leben“ des niederösterreichischen Landeskriminalamts. In den nächsten Wochen wird er in der Suche nach den Pilnacek-Spuren eine Rolle spielen.

Fellner befragt Anna P., um Karin Wurm kümmert sich ein anderer Beamter. Wurm erinnert sich: „Zuerst hat er nach dem Vortag gefragt, wo Christian Pilnacek war. Ich habe alles detailliert erzählt, von den gemeinsamen Terminen in Krems bis zu seiner Einladung in der ungarischen Botschaft. Dann wollte er wissen, wo der Laptop ist, immer wieder. Auch nach der schwarzen Aktentasche, die Christian immer bei sich hatte, und nach dem USB-Stick hat er gefragt“.

Vom Ufer des Altarms bis zum gemeinsamen Haus von Pilnacek und Wurm scheint immer klarer: Die Beamten suchen nicht nach Spuren einer möglichen Todesursache, sondern nach Spuren von Pilnaceks Datenträgern. Offensichtlich haben sie einen Auftrag.

Kurz: Selbstmord

Der erste, der mehr zu wissen scheint, ist Sebastian Kurz. Der Ex-Kanzler steht in Wien an diesem Tag wegen des Verdachts der falschen Zeugenaussage vor Gericht. Nach der Verhandlung erklärt er gegen 18.00 Uhr vor dem Gerichtssaal als erster öffentlich, Pilnacek habe Selbstmord begangen: „Am heutigen Tag ist es vor allem der Tod von Christian Pilnacek, der mich extrem betroffen macht. Ich habe gestern Abend noch mit ihm telefoniert und wenige Stunden später hat er sich das Leben genommen.“ Für den angeklagten Ex-Kanzler ist es „irgendwie fast unbeschreiblich, dass ich wenige Stunden vor seinem Tod mit ihm noch telefoniert habe“.

Keiner der anwesenden Journalisten fragt nach. „Wenige Stunden vor seinem Tod“ – das heißt „wenige Stunden vor sechs Uhr früh“. Niemand will wissen, wann Pilnacek und Kurz miteinander telefoniert haben – vor, während oder nach der verhängnisvollen Fahrt auf der Donauuferautobahn. Niemand fragt, ob Pilnacek Kurz auch da noch zu dessen Strafprozess beraten hat – oder ob es bereits um etwas anderes ging. Und niemand stellt die Frage, woher Kurz schon vor Beginn der gerichtsmedizinischen Untersuchung weiß, dass sich der Sektionschef das Leben genommen hat.

Keiner weiß zu diesem Zeitpunkt, ob die ÖVP bereits alternative Fakten schaffen lässt. Niemand interessiert sich für das, wo sich viele Antworten auf die Fragen der letzten Stunden finden könnten: das Handy von Christian Pilnacek. Und niemand weiß, dass einige Spuren zu einem Dirigenten der niederösterreichischen Polizei führen: zu Wolfgang Sobotka.

Auch lesen:

ZackZack-Serie “Polizeifall Pilnacek” Teil 2: Sobotka im Cavalluccio

“Polizeifall Pilnacek” Teil 3: Staatsanwaltschafts-Mail bestätigt: LKA-Aktion „Pilnacek“ war illegal 


Titelbild: ROLAND SCHLAGER / APA / picturedesk.com, HELMUT FOHRINGER / APA / picturedesk.com, Christopher Glanzl/ZackZack, ZackZack

Autor

  • Peter Pilz

    Peter Pilz ist Herausgeber von ZackZack.

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