Im U-Ausschuss hat sich bestätigt: Thomas Schmid engagierte sich unüblich stark für einen Steuererlass für Sigi Wolf. Eine misslungene Schlussverhandlung im Finanzministerium besiegelte letztlich einen Nachlass von rund vier Millionen Euro.
Wien, 11. März 2022 | Nun ist es U-Ausschuss-offiziell: Thomas Schmid hat Investor und Multimillionär Siegfried Wolf eine einmalige Steuer-Sonderbehandlung organisiert. Das stand durch zahlreiche Chats bereits im Raum. Letztendlich kam das Finanzamt Wolf entgegen – im Endeffekt aufgrund einer misslungenen Schlussbesprechung im Finanzministerium.
Wie vehement und beharrlich Schmid vorging, erzählten zwei Finanzbeamte vor dem ÖVP-Korruptions-U-Ausschuss. Er war damals Generalsekretär im Finanzministerium. Der pensionierte Finanzamtsfachvorstand Gerhard W. und Steuer-Sektionschef Gunter Mayr bekamen Schmids Interventionen mehr oder weniger direkt mit – W., weil seine Vorgesetzte Helga K. sich für Wolf engagiert haben soll, Mayr, weil Schmid ihn direkt kontaktiert und unter Druck gesetzt haben soll. An ähnliche Fälle, in denen sich das Kabinett derart eingemischt hätte, können sich beide nicht erinnern.
Wolf war Chefsache im Finanzamt
Gerhard W. war als Fachvorstand im Finanzamt Wiener Neustadt/Neunkirchen 2017/18 für Sigi Wolfs Steuerverfahren zuständig. Sigi Wolf war im Finanzamt Chefsache. Dass eine Handvoll prominente Steuerpflichtige Sache der Vorständin waren, nahm W. zur Kenntnis, als er 2004 unter ihr Fachvorstand wurde. Er habe sich gedacht, das sei eben so bei Fällen, die mediale Aufmerksamkeit erregen könnten. Finanzamtsvorständin Helga K. hob Wolfs Steuerunterlagen und auch dessen Selbstanzeige sogar in einem eigenen Aktenschrank auf. Einige Akten wurden bei einer Razzia auch bei ihr zu Hause gefunden.
Großbetriebsprüfung schaute genau hin
Zur Erinnerung: 2016 entdeckte die Großbetriebsprüfung (GBP), dass Sigi Wolf in den Jahren 2006 bis 2010 mehr Steuern hätte zahlen müssen – 10,6 Millionen Euro. Es ging um Einkommen aus der Schweiz, das nicht rechtskonform Österreich versteuert worden war. Rechtsgrundlage war das Doppelsteuerabkommen von 2007. Die GBP drohte laut Chats mit der WKStA. Gerhard W. erinnert sich, dass seine Vorgesetzte K. das ihm gegenüber erwähnt hatte, weiß aber nicht, wem die Drohung galt.
Steuer-Sektionschef Gunter Mayr erklärte die rechtliche Lage dem U-Ausschuss so: Österreich hat mit Niedrigsteuerländern Doppelbesteuerungsabkommen. Verdient in diesem Niedrigsteuerland jemand Geld, werden die Einkünfte in Österreich noch einmal versteuert. Allerdings werden die Steuern, die im Niedrigsteuerland bereits gezahlt wurden, angerechnet.
Wolf widersprach GBP
Wolf wurde also eröffnet, dass er Steuern nachzuzahlen hätte, plus Anspruchszinsen von rund 690.000 Euro, sozusagen Strafzinsen für die Verspätung. Die Rechtsansicht der GBP sei klar gewesen, sagte W., Wolf hätte diese aber bestritten und gemeint, es könne zu einer anderen Beurteilung kommen, wenn er entsprechende Beweismittel vorlegte. Bloß, die legte er nicht vor. Es sei zu viel Zeit vergangen, er habe keine Dokumente mehr, soll Wolf laut W. gesagt haben. Wolfs mündliche Aussage war dem Finanzamt – Überraschung – zu wenig.
Sie nannten ihn „Sigi“
Thomas Schmid und Wolfs Steuerberater blieben beharrlich. Ihr Ziel: eine Steuerreduktion und dass die Anspruchszinsen erlassen würden. Dafür war laut W. die steuerliche Vertretung Wolfs öfter mit Finanzamtsvorständin Helga K. in Kontakt – das ging bereits aus Chats hervor.
Ob er Wahrnehmungen zum Verhältnis zwischen K. und Wolf habe, wollte der U-Ausschuss wissen. „Sie hat ihn ‚Sigi‘ genannt“, erinnert sich W. Bei einem Termin im Sommer 2016 im BMF wollte Schmid von W. wissen, ob er eine andere Beurteilung der Steuerpflichten zulässig fände. W. verneinte und sagte vor den U-Ausschuss, er „hatte den Eindruck, ihn überzeugt zu haben”.
Auch Gunter Mayr bekam Besuch von Wolfs Steuerberatern. Thomas Schmid hatte das eingefädelt mit der Anmerkung, dass „die GBP einen sehr strengen Standpunkt vertreten würde“. Dass Steuerberater beim Steuer-Sektionsleiter vorsprechen, „ist schon eher unüblich“, sagte Mayr dazu vor dem U-Ausschuss.
Der Termin habe nicht lang gedauert, da Mayr die Meinung der GBP teilte, dass Wolf 10,6 Millionen Euro nachzuzahlen hatte. Dass Wolf auch noch wollte, dass ihm die Anspruchszinsen erlassen würden, fand Mayr reichlich absurd, wie er vor dem U-Ausschuss sagte. Immerhin hätte dieser seine Steuern falsch erklärt. Dem „Falter“ gegenüber behaupteten Wolfs Steuerberater, sie hätten die Änderungen im Doppelbesteuerungsabkommen aus dem Jahr 2007 übersehen.
Weil Mayr auf seiner Rechtsmeinung bestand, zitierte ihn Thomas Schmid in sein Büro. Er könne sich an den Termin noch sehr gut erinnern, weil er sehr unerfreulich gewesen sei. Schmid habe ihm persönliche Vorwürfe gemacht und dann gesagt, sie würden nun gemeinsam Helga K. anrufen und noch einmal mit ihr reden. Für Mayrs Geschmack seien in dem Telefonat „sehr unübliche Aussagen“ gefallen. Auch zwischen Schmid und K. war von „Sigi“ die Rede. Mayr bekam dadurch den Eindruck, dass Schmid und K. befangen seien, sagte er vor dem U-Ausschuss. Ihm sei das Ganze unangenehm gewesen, er habe den Raum verlassen.
K. fand Kompromisse
Auch W. wollte Wolfs Antrag auf Zinserlass abweisen und bereitete einen entsprechenden Bescheid vor. W. hatte geprüft, ob es in der Vergangenheit vergleichbare Fälle gegeben hatte, die für oder gegen eine Genehmigung des Antrags sprachen. Er fand nichts und hätte dem Antrag nicht stattgegeben. Er informierte K. über seine Ansicht. Diese beauftragte ihn dennoch damit, einen positiven Bescheid zu erlassen. W. sagte vor dem U-Ausschuss, er habe den Antrag dann „auftragsgemäß erledigt“.
Helga K. soll gegenüber Mayr außerdem einen Steuerdeal vorgeschlagen haben, dass man zwei Drittel von Wolfs Einkünften besteuern und ein Drittel steuerfrei stellen könne. Mayr hielt sich weiter an die Rechtsansicht der GBP.
BMF forderte Stellungnahme vom Finanzamt
Rücksprache mit dem BMF gab es zum Zinserlass nicht, mit dem Verweis auf eine gestrichene Fußnote in einer Vorschrift. Laut W. war der Passus tatsächlich gestrichen worden, allerdings wurde übersehen, dass die Zustimmungspflicht des BMF nach wie vor aufrecht war. Auf Nachfrage erfuhr W. von einem „Organ“, dass diese Fehlbeurteilung auch anderen Finanzamtsvorständen passiert sei.
Das BMF war im Nachhinein jedenfalls gar nicht begeistert und soll eine Stellungnahme dazu gefordert haben, wieso das Finanzamt Wiener Neustadt/Neunkirchen nicht Rücksprache gehalten hatte. W. war mittlerweile K. nach deren Versetzung nach Baden als Vorstand in Wiener Neustadt nachgefolgt.
Chats weisen darauf hin, dass K.s Versetzung eine Belohnung für ihre Mitarbeit in der Steuersache Wolf war. Der Vorstandsposten in Baden war kein gehaltstechnischer Aufstieg für K. Baden sei aber das aufkommensstärkste Finanzamt und daher laut Insider W. sehr hoch angesehen.
W. leitete K. die BMF-Anfrage weiter und bat sie, diese zu beantworten – schließlich sei er nicht involviert gewesen. K. soll dem BMF geantwortet haben: „Das Einvernehmen mit Herrn Generalsekretär wurde hergestellt“ und, dass das Ministerium daher nicht vollkommen außen vor gelassen worden sei.
Schlussbesprechung mit „Ersatzmannschaft“
Die von Mayr angestrengte Schlussbesprechung, um die Steuerfrage Sigi Wolf endlich abzuschließen, wurde immer wieder verschoben – sehr untypisch, wie Mayr dem U-Ausschuss gegenüber feststellte. Als der Termin letztendlich im Oktober 2016 stattfand, waren die eigentlich zentral involvierten Personen nicht dabei. Gerhard W. fehlte, Helga K. war nicht anwesend, die Leiterin der GBP fehlte ebenfalls, das BMF wurde durch den Leiter der Strafsachenstelle vertreten. Ihnen gegenüber sollen laut Mayr Siegfried Wolf, drei Vertreter der Beratungsfirma PricewaterhouseCoopers (PwC) sowie eine Steuerberaterin von Wolf gestanden haben.
Mayr konnte nicht teilnehmen, erhielt später aber das Protokoll. Von der letztendlichen Steuerreduktion von 10,6 auf 6,3 Millionen habe er aus den Medien erfahren. Vor dem U-Ausschuss zeigte Mayr sich nicht überrascht über das für den Fiskus ungünstige Ergebnis. Die Anwesenden hätten sicher ihr Bestes gegeben, aber es sei eben „die Ersatzmannschaft“ vor Ort gewesen.
Letzten Endes wurde zugunsten Wolf also die steuerliche Bemessungsgrundlage um 25 Prozent reduziert. Auch die Anlasszinsen änderten sich damit marginal auf 629.941 Euro, wie ZackZack bereits berichtete. Der entsprechende Bescheid wurde im Dezember 2016 ausgestellt. 2019 hat das Finanzministerium festgestellt, dass dieser Deal rechtswidrig war und einen neuen Steuerbescheid ausgestellt. Wolf soll dagegen laut „Falter“-Bericht von Dezember 2021 Beschwerde vor dem Bundesfinanzgericht eingelegt haben.
(pma)
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