Samstag, Juli 27, 2024

Die Wucht der BMI-Chats und die Folgen – Kommentar

Kommentar

Die BMI-Chats wirbeln die Innenpolitik durcheinander. Unterdessen gerät die ÖVP immer mehr unter Druck und bereitet offenkundig Gegenschläge vor. Was bisher geschah:

Benjamin Weiser

Wien, 14. Februar 2022 | Seit Monaten wertet ZackZack die BMI-Chats aus, am 19. Jänner veröffentlichten wir die erste Geschichte (Schwarze Netzwerke in der Justiz). Was folgte, war ein mittelschweres Justizbeben, in dessen Folge OGH-Vizepräsidentin Eva Marek entmachtet wurde.

Hohe Wellen

Weitere Enthüllungen wie Fremdenrechtliche Knaller, einer üblen Story über den Missbrauch des Innenministeriums (BMI) zum Zwecke rechtspopulistischer Propaganda, oder auch Merk dir die Arschlöcher als beispiellose „Jagd“ auf Nicht-Parteigänger in der Polizei schlugen medial hohe Wellen. In Deutschland griffen „Der Spiegel“ und die „Süddeutsche Zeitung“ die ZackZack-Enthüllungen auf. Wie ein ÖVP-Mann Verfassungsschutzchef wird, sorgte vor allem in Salzburg für Aufregung. Auch in der „Krone“ waren Berichte über die sogenannte Hallein-Connection aus schwarzen Polizisten, die Karriere machten, zu lesen.

„Der Standard“ veröffentlichte als erstes Medium die Interventionsliste von Wolfgang Sobotka. Er ist der Mann, der in der Nachrichtenflut – zusammen mit Johanna Mikl-Leitner – zu den Protagonisten gehört. So hatte Sobotka laut Chats seinem damaligen Kabinettschef Michael Kloibmüller den Auftrag Stopp den Vorgang, bis ich Klarheit habe gegeben, um einen schwarzen Beamten zu unterstützen. Die “Augsburger Allgemeine” widmete den BMI-Chats am Dienstag sogar die Seite 3.

ZackZack publizierte zudem Chats, die zeigen, wie sich das BMI-Netzwerk um die Mission Staatsbürgerschaft für einen umstrittenen Oligarchen kümmern wollte. Allein diese Geschichte legt offen, wie weit das schwarze Netz offenbar reicht: Von der Staatsspitze über einfache Polizisten bis hin zu einer zweifelhaften Grauzone aus Geheimdiensten, Oligarchen und Wirecard.

Gegenschläge

Apropos Wirecard. Immer mehr Spuren des gescheiterten Skandalkonzerns und seines ehemaligen Vorstandes Jan Marsalek führen direkt in den Maschinenraum der ÖVP. Seit ZackZack und insbesondere deutsche Medien diese Verbindungen aufzeigen, wird in Wien krampfhaft versucht, die größte Affäre der deutschen Nachkriegsgeschichte einer kleinen Gruppe aus ehemaligen österreichischen Geheimdienstlern umzuhängen. Deren Umtriebe werden von der hiesigen Kripo mit einer Härte und Sorgfalt verfolgt, die man sich beim Aufarbeiten des strukturellen Versagens im eigenen Ministerium wünschen würde. Um den Nebel zu verdichten, werden auch Opposition und kritische Medien in eine Art Verschwörung mitreingezogen. „Staatsfeinde“ sollen dabei auch jene sein, die Jan Marsalek anders als Wolfgang Sobotka nie persönlich zu Gesicht bekamen.

Ähnlich wie in der Ibiza-Affäre befassen sich BMI und Bundeskriminalamt also ausgiebig mit den vermeintlichen „Hintermännern“ der BMI-Chats. Was gerade mit Julian Hessenthaler passiert, hat unter anderem der „Falter“ recherchiert. Diese regelrechte Jagd auf echte und mutmaßliche Whistleblower ist nicht weiter überraschend. Einerseits, weil Österreich die EU-Forderung nach einem Whistleblowerschutzgesetz einfach nicht umsetzen will; andererseits wohl aus dem einfachen Grund, dass höchste BMI-Verantwortungsträger, deren Aufgabe vollumfängliche Aufklärung wäre, selbst in den Chats vorkommen. Erste Versuche, die öffentlich hochrelevanten Enthüllungen von ZackZack zu kriminalisieren, scheiterten an der Wucht der Chat-Inhalte.

Aktuell wird aber eine mediale Kampagne lanciert. In diesem Zusammenhang übt sich „Die Presse“ an „gerichteter Aufdeckung“. Neueste Anwürfe gegen Kritiker des BMI-Netzwerks veranschaulichen, dass die Medienaffäre rund um Sebastian Kurz bei weitem nicht nur den Boulevard umfasst. Selbstverständlich ist es das gute Recht von Journalisten, Ermittlungsakten anders zu interpretieren als ihre Konkurrenz. Spannend wird aber sein, ob „Die Presse“, die in einigen Teilen sehr wohl eine Qualitätszeitung ist, aus den Nowak-Schmid-Chats lernen wird. Chefredakteur Rainer Nowak hat sich dafür schon entschuldigt, das ist zu begrüßen. Jedes Medium, jeder Journalist macht Fehler. Auch wir. Für prozessbegleitende PR einer regierenden Partei sollte man sich allerdings nie instrumentalisieren lassen.

Seit dem Erscheinen des Bestsellers „Kurz – Ein Regime“ von Peter Pilz ist die Nervosität hoch, auch bei Bundeskanzler Karl Nehammer. Neben der Kriminalisierung investigativer Berichterstattung in der Sonntags-„Krone“, steht die Inszenierung als nahbarer Regierungschef im Vordergrund. Seine Partei könnte ähnlich wie die italienischen oder französischen Konservativen implodieren, doch bei Nehammer menschelt es. Ob diese Strategie aufgeht, ist zu bezweifeln. Dafür bräuchte der Kanzler nämlich zwei Dinge, die er derzeit (noch) nicht hat: Hausmacht in der ÖVP und den Mut, vorher protegierte Gefolgsleute im Zweifel fallen zu lassen.

ZackZack wird weiterhin unbeirrt Missstände aufdecken. Treten Sie noch heute in den ZackZack-Club ein, um furchtlose und saubere Recherche ohne Subventionen der Bundesregierung zu finanzieren.

Titelbild: APA Picturedesk

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